George Soros ist das neue Feindbild der Antisemiten

Staatsfeind Nummer eins

Als Drahtzieher hinter islamistischen Angriffen, Flüchtlings­bewegungen und der vermeintlichen Vernichtung der Weißen machen Rechte die Juden aus – allen voran den Investor George Soros.

Der mutmaßliche Todesschütze von Pittsburgh, Robert Bowers, wirkt wie der Prototyp des männlichen, weißen US-Amerikaners aus dem lunatic fringe des rechtsextremen Milizensumpfes. ­Offenbar teilte er auch die in dieser Szene grassierenden Wahnvorstellungen von einer »zionistischen Besatzungsregierung«, die mit Hilfe der UN ihr Unwesen treibe und im Auftrag des Weltjudentums plane die USA zu vernichten. Seit einiger Zeit hat dieses anti­semitische Wahnsystem auch die neuesten politischen Entwicklungen aufgenommen: Bei den Massenflucht- und Migrations­bewegungen der vergangenen Jahre handle es sich nämlich in Wirklichkeit um einen perfiden Plan, hinter dem George Soros oder ­jüdische Organisationen wie die HIAS steckten. Ziel des sinisteren Unternehmens sei es, mittels Flüchtlingsmassen vor allem aus der islamischen Welt die USA zu zerstören.

»Nun ja«, mögen sich viele in Europa mit einem Anflug von Schadenfreude und kulturellem Überlegenheitsgefühl denken, »so sind sie eben, die Amerikaner; zum Glück sind wir da anders.« ­Weiter daneben könnte man kaum liegen. Ein kurzer Blick auf die Überschriften einschlägig bekannter und tausendfach besuchter ­Internetseiten sogenannter Islamkritiker und AfD-Sympathisanten in Deutschland reicht aus, um sich vom Gegenteil zu überzeugen: »Umvolkung in Europa: Arbeitet Merkel für den Juden George Soros?«, »Die Islamisierung Europas – ein Soros-Plan?, »Arbeitet Angela Merkel im Auftrag weltweit agierender Geheimgesellschaften an der Vernichtung Deutschlands?«

Bei den Verfassern solcher Zeilen handelt es sich keineswegs nur um vereinzelte rechtsextreme Spinner, sondern um Personen, die regelmäßig auf Veranstaltungen von AfD oder Pegida auftreten und deren Einfluss teils sogar bis in das sogenannte bürgerliche Lager reicht. Schlimmer noch: George Soros und seine Open Society Foundation wurden mit ähnlichen Begründungen inzwischen von der ungarischen Regierung ganz offiziell zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Nun haben Wahn und Wirklichkeit immer gewisse Schnittmengen. Jede antisemitische Verschwörungstheorie verarbeitet Fragmente der Realität und integriert sie in ihr pathologisches Weltbild. Dieser Tage wird in der Uno ein Migrationspakt verhandelt, der ältere internationale Flüchtlingskonventionen und -vereinbarungen ergänzen und verbessern soll. Einigen gilt dieses Dokument nur als weiterer Beleg dafür, dass im Geheimen eine regelrechte »Umvolkung« Europas und der USA von langer Hand geplant sei.

Von jüdischen Drahtziehern gesteuerte Islamisierung des Westens? Klingt das nicht ähnlich verrückt wie die Vorstellung, hinter den Anschlägen von 9/11 oder gar dem »Islamischen Staat« steckten in Wirklichkeit die Juden? Nein. Vielmehr findet der Wahn, dem in Pittsburgh elf Menschen zum Opfer fielen, hier zu sich selbst. Flüchtlinge verwandeln sich so von verzweifelten Menschen, die der Hilfe bedürften, in eine geheime Invasionsarmee, der es sich mit Gewalt in den Weg stellen zu gelte. Vor allem aber müsse, wer das Abendland gegen Invasion und Zersetzung verteidigen will, die Drahtzieher selbst ausschalten. Und die haben sich in den letzten 100 Jahren nicht geändert, es sind dieselben, gegen die alle Anti­semiten ihren Widerstandskampf führen: Wurzellose – heute sagt man lieber: globalistische – Gruppen und Personen, die, wie es in einem der einschlägigen »islamkritischen« deutschen Blogs so prägnant heißt, im Namen der »NWO« (Neuen Weltordnung) die »Zerstörung der weißen Menschheit« planten.