Der Streit über die russische Gaspipeline »Nord Stream 2« wird heftiger

Pipeline ohne Polen

Die Bundesregierung gerät wegen des russischen Gasleitungsprojekts »Nord Stream 2« immer mehr unter Druck. Die USA und mehrere EU-Mitglieder stehen dem Vorhaben kritisch gegenüber.

Abgesehen von der Migrationspolitik gibt es derzeit kaum ein anderes ­Thema, das die Europäer so sehr entzweit wie der Bau der Pipeline »Nord Stream 2«. Die Trasse soll durch die Ostsee verlaufen und die russischen ­Gaslieferungen nach Europa garantieren.

Die Bundesregierung behandelte die geplante Pipeline bislang immer als eine rein wirtschaftliche Angelegenheit, in die sie sich nicht einmischen wolle. Die Ukraine und andere ost­europäischen Staaten betrachten das Vorhaben hingegen vor allem als den strategischen Versuch der russischen Regierung, sie von der Energiever­sorgung abzuschneiden und erpressbar zu machen. Zudem müsste die Regierung in Kiew auf Transitgebühren in Höhe von mehr als zwei Milliarden Dollar verzichten.

Die Transitverträge mit der Ukraine würden »in jedem Fall beendet«, sagte Alexander Medwedew, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von ­Gazprom, vergangene Woche auf einer internationalen Konferenz der russischen Gasgesellschaft in Berlin. Diese Entscheidung bedeute »aber nicht ­notwendig einen Stopp des Ukraine-Transits insgesamt«. Diese Aussage kommt überraschend, weil Gazprom bis vor kurzem eine Fortführung des Transits noch kategorisch ausgeschlossen hatte. Es sei das erklärte Ziel Russlands, die Rolle der Ukraine als Gastransitland »auf null zu reduzieren«, wie Alexej Miller, Vorstandsvorsitzender von Gazprom, es formulierte. Die Liste der Vorwürfe aus Russland an die ­ukrainischen Behörden ist lang: Die Pipeline sei schlecht gewartet, ihr technischer Zustand teils desaströs. Immer wieder hatte sich die Regierung in Moskau auch über angeblichen »Gasdiebstahl« beschwert und 2009 sogar die Lieferungen durch die Ukraine ganz gestoppt. Für Gazprom kann deshalb nur eine neue Leitung die reibungslose Lieferung nach Europa garantieren. Hinzu kommt, dass sich die russische Erdgasförderung nach Westen in Richtung der Halbinsel Jamal verlagert hat, was die Ostsee-Route nun wesentlich effizienter macht.

Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft reagiert nervös, sein Sprecher verwies auf die über vier Milliarden Euro, die die beteiligten Firmen bereits investiert hätten.

Lange Zeit hatte sich die Bundesregierung nur auf die wirtschaftlichen ­Aspekte konzentriert. Tatsächlich sind einige deutsche Unternehmen eng in das Vorhaben eingebunden. Das Gesamtprojekt leitet zwar der russische Staatskonzern Gazprom, an der Finanzierung sind aber unter anderen der deutsche Energiekonzern Uniper, die BASF-Tochter Wintershall und die österreichische OMV beteiligt. Erst kürzlich hatte das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie die letzte erfor­derliche Genehmigung für einen rund 30 Kilometer langen Trassenabschnitt erteilt.

»Sämtliche Genehmigungen für den deutschen Abschnitt liegen nunmehr vor«, teilte Gazprom mit. Weil die nationalen Genehmigungsverfahren in den anderen vier beteiligten Ländern – Russland, Finnland, Schweden und Dänemark – ebenfalls planmäßig erfolgen, will der russische Konzern in diesem Frühjahr mit den Bauarbeiten beginnen. Im Hafen Mukran auf Rügen, wo die Pipeline wieder auf das Festland trifft, stapeln sich bereits tausende Röhren. Umso größer war wohl der Schock, als vor zwei Wochen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Kehrtwende der Bundesregierung andeutete. Nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko sagte sie, dass bei dem Projekt »natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind«. In einem ­Telefongespräch mit dem russische Präsidenten Wladimir Putin habe sie deutlich gemacht, »dass ein Projekt Nord Stream 2 – ohne, dass wir Klarheit haben, wie es mit der ukrainischen Transitrolle weitergeht – aus unserer Sicht nicht möglich ist«. Zwar hat die Bundesregierung schon früher betont, dass der Ukraine ein Gastransit aus Russland erhalten bleiben müsse. Einen Stopp des Pipelinebaus hatte sie aber stets abgelehnt.

Neben der Ukraine hatte vor allem die polnische Regierung die deutsche Haltung heftig kritisiert und sich als entschiedener Gegner der neuen Pipeline erwiesen. Gemeinsam mit den ­baltischen Staaten sucht die PiS-Regierung in Warschau nach möglichen ­Alternativen und will nun das Projekt der »Baltic Pipe« vorantreiben, einer Pipeline, die Polen und die baltischen Staaten mit dem norwegischen Gas­leitungsnetz verbinden soll.

 

Unterstützung erhalten die Osteuropäer von den USA, die das russische Pipelineprojekt ebenfalls mehr als skeptisch sehen. »Deutschland pumpt ­Milliarden nach Russland«, hatte US-Präsident Donald Trump Anfang April bei einem Treffen mit den Staatschefs der drei baltischen Länder in Washington kritisiert. Das Projekt bedrohe die Stabilität und Sicherheit Europas. Eine Kritik, die Trump beim USA-Besuch von Merkel Ende vergangener Woche wiederholte. Polen hatte die US-Regierung bereits aufgefordert, Firmen, die sich am Bau der Pipeline beteiligen, zu sanktionieren.

Die US-Regierung verfolgt mit ihrer Kritik jedoch nicht nur politische Interessen, sondern auch wirtschaftliche Ziele. Als einer der weltweit größten Produzenten von Flüssiggas suchen die USA selbst Zugang zum europäischen Markt und finden nun in Osteuropa dankbare Abnehmer. Im litauischen Hafen Klaipėda steht seit 2014 eine ­riesige schwimmende Umschlagstation für Flüssiggas. »Independence«, so der Name der Station, deckt bereits rund die Hälfe des litauischen Bedarfs ab. Im polnischen Ostseehafen Świnoujście wurde vergangenes Jahr ein Terminal fertiggestellt, über den nun Flüssiggas aus den USA importiert wird.

Weil auch westliche EU-Mitgliedsstaaten wie Frankreich das Projekt in Frage stellen, gerät die Bundesregierung immer mehr unter Druck. Kein Wunder also, dass der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft nervös ­reagiert. Dessen Sprecher verteidigte vergangene Woche das Vorhaben und verwies auf die über vier Milliarden Euro, die die beteiligten Firmen dafür investiert hätten.
Ähnlich argumentiert der ehemalige Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, der den Ausschuss für Wirtschaft und Energie im Bundestag leitet. Seiner Ansicht nach werde der Konflikt um Nord Stream 2 von den USA absichtlich angeheizt, um die Konkurrenz aus dem Gasmarkt zu verdrängen. Russisches ­Erdgas hingegen sei günstiger und umweltfreundlicher. Auch die AfD hatte vergangene Woche eine Garantie von der Bundesregierung für den Bau der Pipeline verlangt.

Um das Vorhaben zu retten, versucht die Bundes­regierung nun, allen Seiten entgegenzukommen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, die Bundesregierung plane weiterhin fest mit Nord Stream 2. Zugleich versprach er aber in der Bild-Zeitung, dass die Bundesregierung »ganz sicher auch die Interessen der Ukraine berücksichtigen« werde. Außerdem sollten Deutschland und Europa eine Infrastruktur von Flüssiggasterminals schaffen, »um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden«. Bei der Pipeline handele es sich eben um »ein privates Projekt in ­einem hochpolitischen Kontext«. Zumindest bei dieser Aussage werden ihm wohl alle Beteiligten zustimmen.