Martina Glass vom Netzwerk Demokratische Kultur im Gespräch über Antifaschismus in Wurzen

»Wir sind hier nicht alleine«

Es ist nicht alles braun in Sachsen. Es gibt verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich gegen die rechte Hegemonie, Rassismus und Rechtsextremismus engagieren. Eine davon ist das Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. Wurzen (NDK) Die Geschäftsführerin des Vereins, Martina Glass hat mit der »Jungle World« über den täglichen Kampf gegen Rechtsextreme und die Förderung demokratischer Kultur in Wurzen.
Interview Von

MGAngriffe auf Flüchtlinge haben Wurzen im Januar in die Schlagzeilen gebracht. Was ist in Wurzen passiert?
Es gab am 12. Januar eine gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten und deutschen jungen Menschen in einem Park am Bahnhof und anschließend vor und in einem Haus, in dem ausschließlich Geflüchtete wohnen. Alles Weitere ist nicht wirklich klar. Man spricht von 30 bis 50 Beteiligten. Von der Polizei gibt es überhaupt kein Statement dazu, außer das auch der Staatsschutz ermittelt.

Welche Rolle hat der Verein, für den Sie arbeiten, das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK), in diesem Konflikt?
Was wir vor Ort machen, nennen wir »Demokratische Bildungsarbeit«, dazu zählt auch antirassistische Arbeit. Wir haben viel Kontakt zu Geflüchteten, weil wir für sie von Anfang an eine Anlaufstelle waren. Unser Haus ist offen für Interessierte und die Infrastruktur, wie beispielsweise das Internet, ist kostenlos nutzbar.

Was ist denn der Hintergrund des NDK?
Das NDK ist in den neunziger Jahren entstanden, als hier Neonazis alle Räume besetzt hielten und auch in der ­Öffentlichkeit sehr offen und offensiv auftraten. Wurzen hatte da bis weit über die Grenzen Deutschlands hinaus diesen sehr schlechten Ruf als »national befreite Zone«. Alternative Jugendliche aus der Umweltbewegung, Punks, Jugendliche von der Kirchengemeinde – solche Leute brauchten einfach einen Raum. Daraus entstand das NDK. Früher eher Treffpunkt und verschiedene kleine Projekte, betreiben wir heute ein großes Haus, das Zentrum mit Kulturkeller, unser Haus ist offen für alle, die sich für die Themen interessieren und sich engagieren möchten. Darüber ­hinaus veranstalten wir Konzerte, aber auch Lesungen, Podiumsdiskussionen und Tischgespräche zu ­aktuellen Themen. Im letzten Jahr haben wir beispielsweise mehrere Ver­anstaltungen zu Fluchtursachen gemacht. Wir behandeln Themen, von denen wir denken, darüber muss man jetzt mal reden. Wichtig ist dabei auch das negative Selbstbild, das viele hier von Wurzen und der ländlichen Region haben. Es gibt diese Stimmung, man sei abgehängt und niemand tue etwas für die Region.

 

»Es steht auch nicht sofort der Mob vor der Tür. Man muss durchaus damit rechnen, aber es gibt keinen Automatismus.«

 

Wenn man durch viele dieser angeblich abgehängten Regionen fährt, sieht man gerade in Sachsen eigentlich nicht unbedingt die ­Zeichen von Armut oder ökonomischem Niedergang. Ist Wurzen denn wirtschaftlich abgehängt?
Ich finde nicht. Ich würde sagen, uns geht es gut. Auch nach Aussage des Bürgermeisters sind Wurzen und das Wurzener Land eine wirtschaftlich aufstrebende Region. Objektiv ist die Lage nicht schlecht, aber die subjek­tive Wahrnehmung ist oft eine ganz andere.

Wie hat sich die Situation seit den neunziger Jahren entwickelt? Konnte die rechte Hegemonie gebrochen werden?
Alternative Jugendliche und Geflüchtete können sich auch heute nicht gänzlich unbedarft in der Stadt bewegen, vor allem nicht abends oder am Bahnhof. Wir, die für das NDK arbeiten, sind schon ein bisschen älter. Angegriffen werden wir heute hauptsächlich über die sozialen Medien, vor allem wenn man in der Öffentlichkeit sehr präsent ist, wie einer unserer Mitarbeiter in letzter Zeit, dann wird es auch mal sehr persönlich. Auch eingeworfene Scheiben und Hakenkreuzschmierereien an unserem Haus kommen vor, aber eine Bombe vor unserer Tür wie Anfang der nuller Jahre, so etwas gab es in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr. Diese Neonazisstrukturen waren in Wurzen nie wirklich weg.

Das offene Auftreten auf der Straße mit Hitlergruß gab es nicht mehr, seit es eine gesellschaftliche Veränderung gab, und die Aktivitäten haben sich verlagert. Die Personen sind bekannt, viele in der Stadt wissen das, bis hin zum Bürgermeister. Die Verflechtungen reichen bis tief in bekannte Neonazistrukturen wie »Blood and Honour« und die Freefight-Szene. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen außerhalb Wurzens tauchen auch immer wieder diese Personen auf.

Wie kam das eigentlich, dass das öffentliche Agieren der Nazis irgendwann tabu war?
Es gab auf jeden Fall eine entscheidende Wende mit der Wahl des Bürgermeisters Jörg Röglin. Mit seinem Vorgänger gab es keine gute Zusammen­arbeit. Mitte der nuller Jahre trat Röglin als Parteiloser an und wurde nach ­seiner ersten Amtszeit wiedergewählt. Heute ist er SPD-Mitglied. Zu ihm gab es vorher schon gute Kontakte. Seine Wahl hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass es einen Umschwung in der Wahrnehmung und Wertschätzung unserer Arbeit gegeben hat. Wir konnten uns etablieren und auch unsere Themen setzen. Wir waren seitdem nicht mehr nur »die Linksextremen«, auch wenn das gerade alles wieder aufkommt. Früher war es aber noch viel stärker. Wir werden gesellschaftlich inzwischen viel ernster genommen.

Wie verhält sich denn die Kommunalverwaltung angesichts des Angriffs auf Flüchtlinge?
Da sind wir schon ein bisschen irritiert. Wir vom NDK sagen, dass es ein rassistisch motivierter Angriff war. Diese Schlussfolgerung basiert auf unserer Erfahrung und dem, was uns ­erzählt wird. Auch wenn keine polizeilichen Ermittlungsergebnisse vorliegen, die besagen, dass es einen rassistischen Hintergrund gab, haben wir ­genug Gründe, davon auszugehen. Von der Stadtverwaltung wurde uns daraufhin umgehend unterstellt, wir würden die ganze Wurzener Bevölkerung als rassistisch bezeichnen. Das haben wir nie getan und das sehen wir übrigens auch nicht so. Es gab sofort eine Abwehrhaltung, obwohl es dieses Problem nun einmal gibt und viele das auch sehr genau wissen. Es wäre eine Chance, sich damit auseinandersetzen und nach außen zu signalisieren, dass wir das hier nicht wollen. Das ist eindeutig ein Rückschritt hinter das, von dem wir dachten, es sei bereits erreicht worden.

Es gibt ja dieses Bild von ländlichen ostdeutschen Ortschaften, wo, sobald dort eine Flüchtlingsunterkunft eröffnet wird, der rechte Mob vor der Tür steht und der Rest der Bevölkerung das wohlwollend beobachtet oder wegschaut. Wie steht es denn um die demokratische Kultur in Wurzen?
Dass es Rassismus gibt, würde ich nie bestreiten. Geflüchtete sind verbalen und körperlichen Angriffen ausgesetzt, die häufig nicht polizeilich erfasst werden. Ich würde aber auch nicht sagen, dass es eine von Grund auf feind­liche Stimmung gibt. Es steht auch nicht sofort der Mob vor der Tür. Man muss durchaus damit rechnen, aber es gibt keinen Automatismus. Die Geflüchteten sind dezentral untergebracht. Es gibt auch hier vor Ort viele Bürgerinnen und Bürger, die sich für diese Geflüchteten engagieren. Die sind sofort gekommen, haben Patenschaften übernommen und Familien begleitet. Es gibt auch sehr viel Offenheit und Engagement. Ohne die Situation beschönigen zu wollen – das wird viel zu selten gesehen. Es gab und gibt jedoch bei der Unterbringung in den Häuser auch Probleme, die dazu führten, dass Geflüchtete wieder weggezogen sind. Andererseits gibt es auch einige, die bleiben wollen.

Wo Sie vom Wegziehen sprechen – oft ziehen doch im ländlichen Raum alle progressiv denkenden jungen Leute bei erster Gelegen­heit nach Leipzig oder Berlin. Wie wirkt sich auf Ihre Arbeit aus, was ich jetzt mal als »ländlichen Herz- und Hirnschwund« bezeichne?
Es ist richtig, dass nach dem Abitur immer erst mal ein ganzer Schwung wegzieht. Jetzt haben wir ja den Fall, dass hier sogar ein alternatives Haus­projekt entstanden ist. Weil es in Leipzig immer enger wird auf dem Immobilienmarkt, gibt es auch unter jungen Menschen, die gerne in Hausprojekten wohnen, einen Trend zum Ländlichen, weil es dort noch günstige Häuser gibt. Wir sind hier nicht alleine. Und vielleicht ist das ja ein Trend.

Welche Folgen wird es haben, wenn die AfD die neue Volkspartei in Sachsen wird?
Wenn die AfD wieder in den sächsischen Landtag einzieht, und das ist momentan leider sehr wahrscheinlich, dann wird es härter. Ganz neu wäre die ­Situation nicht, die NPD war schließlich dort auch sehr lange vertreten. Aber wir sehen unsere Rolle eher darin, die Leute dafür zu sensibilisieren, was die AfD vertritt und wie sich ihre Politik auf die demokratische Kultur im Land auswirkt.

Aber was würde eine stärkere AfD-Fraktion im Landtag für Ihre Arbeit bedeuten?
Alle Programme, die sich gegen Rassismus und für eine demokratische Kultur engagieren, wären sehr konkret gefährdet. Wir sind von öffentlichen Fördermitteln abhängig und können ohne diese nicht arbeiten.

Wie ist das NDK für kommende Kämpfe gewappnet?
Wir sind noch in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Es gibt Initi­ativen, die an einer Stelle sind, an der wir vor circa neun Jahren waren, als der Bürgermeister noch ein anderer war. Es steht und fällt viel mit den Bürgermeistern. Davon hängt nicht unbedingt die Finanzierung ab, obwohl wir auch etwas Geld von der Stadt Wurzen bekommen. Wenn der Bürgermeister bei jeder Gelegenheit gegen eine Initiative wettert und ihr Steine in den Weg legt, wird die Initiative von der Bevölkerung als ein Störfaktor wahrgenommen. Wenn die Bevölkerung mitbekommt, dass die Stadtverwaltung mit der Initiative zusammenarbeitet und gemeinsame Projekte organisiert, wird man ganz anders wahrgenommen. Viele denken immer noch, wir seien ein linksradikaler Haufen. Es gibt aber auch viele, die das früher gedacht haben und inzwischen gemerkt haben, dass wir durchaus zugänglich sind.