25.01.2018
Nürnberger Schülern, die einen Mitschüler vor der Abschiebung schützen wollten, drohen harte Strafen

Strafen für zivilen Ungehorsam

Im Mai 2017 löste die Polizei an einer Nürnberger Berufsschule Proteste gegen die Abschiebung eines Schülers mit Gewalt auf. Mittlerweile läuft die Strafverfolgung der Protestierenden auf Hochtouren.

Die Bilder sorgten bundesweit für Aufsehen. Am 31. Mai vergangenen Jahres kamen Nürnberger Polizisten in eine örtliche Berufsschule, um einen Afghanen festzunehmen. Der junge Mann sollte noch am selben Tag von Frankfurt am Main in sein Herkunftsland abgeschoben werden. Die Ablehnung seines Widerspruchs war ihm verspätet zugestellt worden, um zu verhindern, dass der Betroffene Rechtsmittel einlegt. Die Polizei stieß jedoch auf erheblichen Widerstand. Spontan versammelten sich etwa 300 Menschen, mehrheitlich Berufsschüler. Sie protestierten lautstark gegen die Abschiebung, blockierten zeitweise die Anfahrt der Polizeifahrzeuge und widersetzten sich den Beamten, bis diese gewaltsam vorgingen. Schließlich eskalierte die Situation. Am Ende des Tages gab es zwölf verletzte Polizisten sowie eine unbekannte Anzahl verletzter Protestierenden.

Der Nürnberger Schriftsteller Leonhard F. Seidl, der damals selbst an den Protesten teilnahm, erinnert sich noch gut an die Vorgänge. »Die Polizei hat den Demonstranten in die Augen gedrückt, die Nasen nach hinten und den Kopf zur Seite gedrückt, um die Blockade aufzulösen«, sagte Seidl im Gespräch mit der Jungle World. Später habe die Polizei auf die Teilnehmer eingeschlagen, Schlagstöcke, Pfefferspray und Hunde eingesetzt. Die Eska­lation sei eindeutig von der Polizei ausgegangen, so der Schriftsteller. Die Demonstranten seien zuvor ruhig geblieben und hätten die Polizei nicht als Gegner betrachtet.

Mit der Abschiebung sind die Behörden zwar gescheitert, da der Flug wegen eines Anschlags abgesagt wurde, der sich am selben Tag im Botschaftsviertel von Kabul ereignete. Doch für die Protestierenden bleibt ihr Verhalten nicht ohne Konsequenzen. Acht Monate danach werden sie mit Strafen überzogen. Bereits im Oktober verurteilte das Amtsgericht Nürnberg einen 22jährigen zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und 450 Sozialstunden, weil er mehrere Polizisten verletzt ­haben soll. Nachdem er bereits fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, räumte er einen tätlichen Angriff auf Polizeibeamte gemäß dem erst 2017 neugefassten Paragraphen 114 Strafgesetzbuch ein.

Mehrere andere Teilnehmer der Proteste haben inzwischen Strafbefehle erhalten – unter ihnen auch Berufsschüler, die sich damals mit ihrem Mitschüler solidarisierten. Gegen eine junge Frau, die an der Aktion teilgenommen hatte, leitete die Polizei vor zwei Wochen sogar eine Öffentlichkeitsfahndung ein. Angeblich soll sie mit einer gefüllten 0,5-Liter Plastikflasche einen Polizisten am Kopf getroffen haben. Der Beamte soll leichte Verletzungen erlitten haben, aber dienstfähig geblieben sein. Für die Behörden rechtfertigte das die Veröffentlichung von insgesamt vier Aufnahmen, darunter drei hochauflösende Fotos der mutmaßlichen Täterin. Das Amtsgericht Nürnberg gab einem entsprechenden Antrag statt, den die Staatsanwaltschaft eingereicht hatte.

Bei den Beteiligten sorgte das für Unmut. »Es ist erschreckend, dass die Staatsanwaltschaft zu solchen Mitteln greift und das Leben einer jungen Frau wegen eines solchen Verdachts zerstört, obwohl für die Betroffene ja weiterhin die Unschuldsvermutung gelten muss«, sagte Seidl der Jungle World. Der Schriftsteller hält dieses Vorgehen für unverhältnismäßig. Die Behörden wollten mit dieser Art Fahndung Assoziationen zum G20-Gipfel in Hamburg wecken, um ihren Einsatz nachträglich zu rechtfertigen, vermutet Seidl. Auch Yunus Ziyal, ein Sprecher des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), kritisierte die Öffentlichkeitsfahndung. Sie stehe »in keinem Verhältnis zu der damit einhergehenden Persönlichkeitsrechtsverletzung der betroffenen Person.

 

Ziviler Ungehorsam gegen das Abschieberegime

Das Gesetz schreibt für das Veröffentlichen von Bildern Beschuldigter vor, dass das Gewicht der Straftat so groß sein muss, dass der intensive Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angemessen ist.« Das sei hier offensichtlich nicht der Fall, so der RAV-Sprecher, somit liege »eine eklatante Missachtung der Unschuldsvermutung« vor.

Tatsächlich waren die Behörden nach dem Polizeieinsatz unter Druck geraten, ihr hartes Vorgehen zu rechtfertigen. Sie führten an, dass angeblich »50 Linksautonome« vor Ort gewesen seien und die Situation eskaliert hätten – eine Behauptung, der viele Beteiligte widersprechen.

Auch der Afghane, der damals abgeschoben werden sollte, sieht einer ­Anklage entgegen. Seine Aufenthaltsgenehmigung wurde zwar kürzlich um drei Monate verlängert, doch die Staatsanwaltschaft will ihn wegen ­Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und anderer Delikte anklagen. Auch wer Widerstand gegen seine eigene Abschiebung leistet, macht sich strafbar.

Als Reaktion auf die staatlichen Repressalien gründeten Familienmitglieder, Schüler und linke Gruppen das Bündnis »Widerstand Mai 31«. Die Mitglieder der Solidaritätsgruppe sehen in dem Vorgehen der Behörden den Versuch, von dem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz abzulenken. Er sei die hässliche Konsequenz einer Asylpolitik, die Abschiebungen um jeden Preis durchsetzen wolle. Die Geschehnisse des 31. Mai seien ein Politikum, über welches die CSU keinesfalls die Deutungshoheit verlieren wolle. Cornelia Mayer, eine Sprecherin des Bündnisses, sagte, durch die Kriminalisierung der Proteste solle verhindert werden, dass der zivile Ungehorsam gegen das Abschieberegime Schule macht.