Die Hamas steckt in einer Sackgasse

Hamas allein zu Haus

Die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Hamas hat sich in eine strategische Sackgasse manövriert.

Es lief alles einigermaßen leidlich für die Hamas. Die Regierungsübernahme der befreundeten Muslimbrüder in Ägypten hatte zwar keine grundsätzliche Veränderung der schwierigen Grenzsitu­ation im Sinai gebracht – die Öffnung der Grenze hatte sich das ägyptische Militär verbeten –, aber immerhin durfte der Ableger der Muslimbruderschaft im Gaza-Streifen darauf hoffen, dass sich Ägypten eines Tages als tatkräftiger großer Bruder erweisen würde, wenn erst einmal die Herrschaft des Muslimbruders Mohammed Mursi in Kairo gefestigt wäre. Damit wäre auch die schwierige Situation, in die die Hamas seit dem Ausbruch des Kriegs in Syrien geraten ist, von einer vielversprechenden neuen strategischen Lage abgelöst worden. Aber diese Hoffnung der Hamas ist seit dem Sturz Mursis zerstoben. Gegen Mursi selbst wird gar wegen konspirativer Umtriebe mit der Hamas ermittelt, überdies wird die Organisation von der ägyptischen Presse und der neuen Regierung für die desolate Sicherheitslage im Sinai mitverantwortlich gemacht und wegen Einmischung in ägyptische Verhältnisse rhetorisch harsch angegriffen. Mit Billigung Israels sollen ägyptische Armeehubschrauber demonstrativ den Gaza-Streifen überflogen haben.
Die Position der Hamas im komplexen Machtgefüge des Nahen Ostens hat sich derart ungünstig verschoben, dass das Ergebnis einem Albtraum für die islamistische Organisation nahekommt. Egal, was sie nun unternehmen wird, ihre Handlungsoptionen sind eng begrenzt. Zu gewinnen hat die Hamas derzeit eigentlich nichts, aber zu verlieren fast alles. Die zumindest vorläufige Ausschaltung der ägyptischen Muslimbrüder hat erneut deutlich gemacht, dass die Hamas einer der großen Verlierer der arabischen Aufstände ist und bleibt.

Das Verhängnis der Hamas begann, als deutlich wurde, dass der Aufstand in Syrien nicht mehr niederzuschlagen war. Als gepäppeltes Anhängsel des schiitisch geprägten Bündnisses von Hizbollah, Assads Syrien und dem Iran sah sich die sunnitische Organisation schnell vor die verheerende Wahl gestellt, angesichts der rasanten Polarisierung zwischen Sunniten und Schiiten zumindest eine halbherzige erste Entscheidung für eine Seite zu treffen. Als es Anfang 2012 auch noch so ­aussah, als würde das Regime Bashar al-Assads binnen kurzem zusammenbrechen, löste die Hamas ihr bisheriges Hauptquartier in Damaskus auf und die Exilführung um Khaled Meshal zog sehr zum Unwillen ihres bisherigen militärischen Hauptsponsors Iran nach Katar und Ägypten. Eine Entscheidungshilfe war dabei das offene Angebot, sich in Zukunft politisch auf die Gesinnungsgenossen in Ägypten zu stützen, die gerade die Regierung übernommen hatten, sowie auf finanzielle Hilfe aus Katar, dem einzigen reichen Golfstaat, der die Muslimbrüder unterstützte. Hinzu kam, dass der Hamas wegen der Führungsrolle der syrischen Muslimbrüder im Kampf ­gegen Assad ein zusätzlicher Konflikt drohte. Der dezente Lagerwechsel der Hamas sah erst einmal vorteilhaft aus; im Oktober 2012 besuchte der Emir von Katar als erstes Staatsoberhaupt seit der Machtübernahme der Hamas den Gaza-Streifen und versprach Investitionen von einer Viertelmilliarde Dollar. Ismail Haniya, der »Premierminister« der Hamas, feierte den seltenen Staatsgast als Blockadebrecher. Da konnte er noch nicht wissen, dass der Emir binnen Jahresfrist abdanken würde und damit auch im Sommer dieses Jahres die offensive Außenpolitik Katars plötzlich enden sollte. Die Führung auf Seiten der Golfstaaten haben wieder eindeutig die Saudis übernommen, von denen die Hamas als Muslimbrüderfiliale kein Wohlwollen erwarten kann. Nicht umsonst gehörten die Saudis zu den ersten Gratulanten nach dem Sturz Mursis, zusammen übrigens mit dem Präsidenten der palästinsischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas, der sich nun auch noch trotz aller Proteste der Hamas zu neuen Gesprächen mit den Israelis bereit erklärte.

Eine weitere zumindest symbolische Belohnung für ihre vorsichtige Abkehr vom iranischen Lager blieb der Hamas gerade versagt: Der zweite Staatsgast, den sie hatte empfangen wollen, der tür­kische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan, musste seine Reise, die bestimmt ein Spektakel geworden wäre, wegen des Sturzes Mursis kurzfristig absagen. In seiner Doppelrolle als altgedienter Hamas-Unterstützer und als Förderer der Muslimbrüder in der syrischen Opposition ist der selbst durch die Proteste in der Türkei geschwächte Erdoğan allerdings kein besonders vielversprechender Ersatz als Förderer für die früher so großzügigen Iraner. Kolportiert werden Auseinandersetzungen zwischen militärischer und politischer Führung der Hamas über die zumindest verbale Unterstützung des syrischen Aufstandes, denn man könne, so das Militär, wegen der Waffenhilfe schlechterdings gar nicht auf die Iraner verzichten. Die Iraner führen nun die Hamas im Gaza-Streifen vor: Hilfsgüter lassen sie gerade demonstrativ nicht über die Hamas, sondern über deren heimische Konkurrenzorganisation Islamischer Jihad verteilen. Und das angesichts einer sich dramatisch verschärfenden ökonomischen Krise, denn das ägyptische Militär geht nun zum ersten Mal umfassend und wirksam gegen das Schmuggeltunnelsystem vor, das bisher die Steuereinnahmen der Hamas und die Versorgung des Gaza-Streifens über den ägyptischen Sinai gewährleistet hatte.
Bauen kann die Hamas derzeit nur ausgerechnet auf die Israelis, denen ein destabilisiertes Syrien und ein von Jihadisten wimmelnder Sinai genug sind. Ein israelischer Regierungssprecher gab bekannt, dass die Abfertigungszahl der bisher täglich 300 Lastwagen, die aus Israel in den Gaza-Streifen fahren, jederzeit gesteigert werden könne. Das hatten sich die Strategen des Jihad zur Befreiung Jerusalems so sicher nicht vorgestellt.