Über die katastrophale Außenpolitik der türkischen Regierung

Erdogan zwischen allen Stühlen

Die Außenpolitik der türkischen Regierung gleicht einem Scherbenhaufen.

Seit dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan ein neues Thema. Er wird nicht müde, dem Westen vorzuwerfen, dass dieser zum Militärputsch in Ägypten schweige, während er selbst wegen des Vorgehens der Polizei gegen die Gezi-Park-Demonstranten heftig kritisiert worden sei. Solche Kritik bekam Erdoğan von den ägyptischen Muslimbrüdern seinerzeit nicht zu hören. Deren Partei behauptete wie Erdoğan dreist, die Gezi-Park-Demonstranten würden vom Ausland bezahlt.
Der Sturz Mursis in Ägypten ist nur eine von mehreren außenpolitischen Katastrophen für Erdoğan. Noch vor ein paar Jahren glaubte sich die türkische Regierung dem politischen Meisterstück nahe, einen dauerhaften Frieden zwischen den Palästinensern und Israel zu vermitteln. Nun sitzen Israelis und Palästinenser zwar am Verhandlungstisch, aber die Türkei hat nicht einmal einen Beobachterstatus. Schlimmer noch, die Hamas, auf deren Unterstützung sich Erdoğan nach dem Streit mit Israel ganz konzentriert hatte, ist auch nicht dabei.

»Bruder Assad«, wie Erdoğan den syrischen Präsidenten einst nannte, herrscht zwar noch in Damaskus, aber eigentlich hatte Erdogan auf einen Sieg der Opposition gesetzt. Dies bereitet ihm nun auch ein innenpolitisches Problem, denn die Unterstützung der syrischen Opposition ist in der unsicher gewordenen Grenzregion alles andere als populär. Nicht nur zu Syrien, auch zum Irak und Iran sind die Beziehungen äußerst angespannt. Dies ist zwar keineswegs ausschließlich die Schuld der türkischen Regierung, doch es trägt dazu bei, dass die politische Devise des Außenministers Ahmed Davutoğlu »Null Probleme mit den Nachbarn« in der Türkei wieder häufig zitiert wird – allerdings nur als hämische Bemerkung von Oppositionspolitikern.
Durch die Gezi-Revolte hat Erdoğans Glanz auch in den USA und Europa gelitten. Nur der britische Ministerpräsident David Cameron scheint noch voll auf ihn zu setzen. Falls Erdoğan die Revolte politisch mit ein paar Kratzern übersteht, dürfte es Europäern und Amerikanern aber bald wieder einfallen, dass sie keine richtige Alternative zu ihm haben.

Doch Erdoğans Wert für den Westen hängt ganz wesentlich von seinem Einfluss in der Region ab. Dies betrifft einerseits den direkten Einfluss der Türkei als auch das, was Davutoğlu »soft power« nennt. Gemeint ist die Wirkung der Türkei als demokratisches Modell, in dem prowestliche Politik und Islam koexistieren. Die sich häufenden Probleme in der neuen Außenpolitik der ­­Türkei hängen aber auch damit zusammen, dass Erdoğan und Davutoğlu das Weltbild vieler Muslime teilen, demzufolge die islamische Welt ein Hort des Friedens wäre, würden sich keine äußeren Mächte wie der Westen und Israel einmischen. So etwas hört man auch in vielen Nachbarländern der Türkei gerne, doch es macht offenbar betriebsblind für die wirklichen Gegensätze. So meint der türkische Außenpolitikexperte Cengiz Çandar, dass Erdoğan den Westen zu Unrecht wegen des Putsches in Ägypten beschuldige. In Wirklichkeit sei es doch ein Putsch Saudi-Arabiens. Dieser Eindruck entsteht, wenn man sich etwa die Rolle jener Saudi-Arabien nahestehenden Salafisten ansieht, die Mursi die Unterstützung verweigert haben. Anders Katar mit seinem Sender al-Jazeera, das die Muslimbrüder auch finanziell unterstützt hatte. Es ist kein Kunststück, im Nahen Osten zwischen allen Stühlen zu landen, aber es ist schon ein Kunststück, dies nicht zu bemerken.
Immerhin bleiben der Türkei noch die derzeitigen Verlierer, die Muslimbrüder und die Hamas. Doch auch da ist der Einfluss Erdoğans beschränkt. In einer seiner besten politischen Stunden empfahl Erdoğan Ägypten eine laizistische Verfassung. Das entwaffnete seine Kritiker im eigenen Land, kam gut im Westen an und hätte Ägypten gut getan. Doch bei den Muslimbrüdern löste es Befremden aus und wurde von Erdoğan auch nicht mehr wiederholt. Nun ziehen die Demonstranten der Muslimbrüder mit Postern Mursis durch die Straßen Kairos, auf denen auf Arabisch steht: »Ja zur Sharia – Nein zum Putsch!«