Das Elterngeld und die Geschlechterpolitik der Bundesregierung

Kinder für die neue Mitte

Eigentlich sollte das von der früheren Familien­ministerin Ursula von der Leyen eingeführte »Elterngeld« die Gleichstellung der Geschlechter bei der Kindererziehung fördern. Tatsächlich hat es bislang vor ­allem zur Verfestigung sozialer Unterschiede beigetragen.

Falls Sie es vergessen haben sollten: Am 1. Juni war Internationaler Kindertag. Wir wissen nicht, was Sie da gemacht haben. Wir jedenfalls haben am 1. Juni »BEEG« in die Suchmaschine eingegeben – das Kürzel für das »Bundeselterngeld- und Erziehungszeitgesetz« – und sind auf einer Pornoseite gelandet. Ist das etwa eine Kampagne der Bundesregierung, um das Interesse der Bürger­innen und Bürger ganz subtil auf die praktische Seite der Fortpflanzung zu lenken? Dass das Elterngeld als Anreiz zur Reproduktion nicht ausreicht, hatte bereits Mitte Mai der Generalsekretär der FDP, Christian Lindner, im Bundestag festgestellt. Die vier Milliarden Euro, die jährlich für das Elterngeld ausgegeben werden, hätten nicht zu einer höheren Geburtenrate geführt und das Elterngeld habe somit sein Ziel verfehlt, diagnostizierte er. Kurz danach schlug Sibylle Laurischk, die Vorsitzende des Familienausschusses des Bundestages und ebenfalls Mitglied der FDP, in der Saarbrücker Zeitung die Einführung eines Kinder-Grundeinkommens vor, das alle bisherigen staatlichen Leistungen zur Unterstützung von Fami­lien ersetzen sollte. Sie wurde aber von Miriam Gruß, der familienpolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, sogleich zur Ordnung gerufen: Die FDP habe derzeit keine Pläne für eine Kindergrundsicherung.

Dass am Elterngeld Kritik geübt wird, ist nichts Neues. Eines der ausdrücklichen Ziele seiner Einführung war es, den Vätern stärkere Anreize zu bieten, sich an der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder zu beteiligen. Deswegen ist die Höchstbezugsdauer von 14 Monaten nur zu erreichen, wenn mindestens zwei Monate der Elternzeit vom jeweils anderen Partner übernommen werden – und das sind nach wie vor meistens die Väter. Der in den Koalitionsvereinbarungen von 2010 enthaltene Plan, diese »Vätermonate« auszubauen, wurde von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) vor einigen Wochen zurückgenommen. Der Bericht des Statistischen Bundesamtes von diesem Jahr bestätigte nämlich, was ohnehin zu vermuten war: Nur knapp zehn Prozent der Männer nahmen mehr als vier Monate ­Elternzeit in Anspruch, unter den Frauen dagegen beanspruchten 92 Prozent zehn bis zwölf Monate für sich. Einer Studie der Universität Tübingen zufolge nehmen nun zwar mehr Männer eine Auszeit für die Kindererziehung als vor der Einführung des Elterngeldes, diese fällt dafür im Schnitt aber kürzer aus. Geschlechterpolitisch hat sich also nicht viel geändert – wie sollte es auch, wenn nach wie vor Frauen durchschnittlich weniger verdienen als Männer und es daher mit finanziellen Einbußen verbunden ist, wenn der Mann einen größeren Teil der Elternzeit übernimmt. Gendermainstreaming bei der Kindererziehung muss man sich erst einmal leisten können.
Feministinnen hatten den Vorläufer des Elterngeldes, das Erziehungsgeld, harsch kritisiert. Die Zeitschrift Emma empörte sich Mitte der neunziger Jahre unter anderem darüber, dass eine Alleinerziehende, die zusätzlich zur Sozialhilfe zwei Jahre lang 300 Euro Erziehungsgeld erhalte, davon genauso gut leben könne wie eine Erwerbstätige mit geringem Verdienst. Damit würden junge Mütter die Abhängigkeit vom Ehemann gegen die Abhängigkeit von »Vater Staat« eintauschen. Das Erziehungsgeld wurde in diesem Zusammenhang vor allem als politisches Mittel interpretiert, das Frauen wieder aus dem Arbeitsmarkt heraus und in ihre traditionelle Geschlechterolle hinein dränge. Inzwischen ist die damals angestrebte Doppelverdienerfamilie Normalität, und gerade gut ausgebildete erwerbstä­tige Frauen sind die Adressatinnen der gegenwärtigen Familienpolitik. Die Forderungen nach Gleichheit im Erwerbsleben von damals haben sich somit als die eines klassenblinden Mittelschichtsfeminismus entpuppt.

In einer Hinsicht ist das Elterngeld also tatsächlich erfolgreich gewesen: bei der Verfestigung sozialer Unterschiede. Schon vor seiner Einführung wurde kritisiert, dass das Elterngeld für bedürftige Familien eine Verschlechterung ihrer finanziellen Situation bedeute, weil es nur maximal 14 Monate lang und nicht, wie das Erziehungsgeld, über zwei Jahre gezahlt wird. Dadurch erhielten Familien an der unteren Einkommensgrenze insgesamt 3 000 Euro weniger als zuvor. Damals konnte freilich noch keiner wissen, dass das Elterngeld von 2011 an als Einkommen auf ALG II angerechnet werden sollte und Hartz-IV-Empfänger somit gar nichts mehr davon haben würden. Wer keine Arbeit hat, soll auch nach der Geburt des Kindes nicht entspannt zu Hause bleiben dürfen, denn dann vergisst man womöglich die Notwendigkeit, sich weiterhin um einen Arbeitsplatz zu bemühen.
Von vornherein zielte das Elterngeld als Lohnersatzleistung darauf ab, Menschen mit relativ hohem Einkommen zur Fortpflanzung zu bewegen. Das Prinzip ist simpel: Wer wenig bis nichts verdient, bekommt auch nur einen geringen Zuschuss vom Staat, wem es hingegen finanziell besser geht, der darf sich über bis zu 1 800 Euro Unterstützung monatlich freuen. Diesen Höchstsatz erhält, wer im Monat mindestens 2 770 Euro netto verdient, sofern ein Jahreseinkommen von 250 000 Euro nicht überschritten wird. Daran soll sich auch nach den Sparbeschlüssen vom April dieses Jahres nichts ändern. So wird überdeutlich zum Ausdruck gebracht, wessen Nachwuchs erwünscht ist und wessen nicht, denn Babynahrung kostet für alle dasselbe. Es ist keine wirkliche Erleichterung, wenn die 350 Euro Gehalt aus dem Minijob durch komplexe Berechnungen des Elterngelds zu 100 Prozent erstattet werden. Wie dadurch »Familienarmut abgemildert« werden soll, wofür die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) noch 2006 das Elterngeld gepriesen hatte, ist nicht nachvollziehbar.

Mit einer speziellen Form von Familienarmut sehen sich derzeit studentische Eltern in Sachsen konfrontiert. Dort häufen sich seit Anfang des Jahres Fälle, in denen Studierenden, die zum Zweck der Kindererziehung Urlaubssemester in Anspruch genommen haben, ALG II und somit die finanzielle Grundsicherung verweigert wird, obwohl doch ursprünglich gerade junge Menschen vom Elterngeld profitieren sollten. Wer studiert und über kein eigenes Einkommen verfügt, hat normalerweise Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög). Das gilt allerdings nicht für Urlaubssemester, die eine Unterbrechung des Studiums darstellen. In diesem Fall konnten Studierende bisher Arbeitslosengeld beantragen. Dass Studierende mit Kind neuerdings einen negativen Bescheid vom Jobcenter bekommen, liegt nach Angaben von Dirk Feiertag, der als Rechtsanwalt in Leipzig arbeitet, vermutlich am Sächsischen Hochschul­gesetz, das 2009 in Kraft getreten ist. Seitdem können Studierende auch im Urlaubssemester Prüfungsleistungen erbringen, was sie theoretisch nicht zu Arbeitslosengeld, sondern zu Bafög berechtigt. Nur nützt das niemandem. Noch gilt nämlich, dass Bafög im Urlaubssemester nicht gezahlt wird und Studierenden im Erziehungsurlaub als finanzielle Grundsicherung nur ALG II bleibt. Ob das bewilligt wird, entscheidet bislang der einzelne Sachbearbeiter des Jobcenters. Es habe sich da keine einheitliche Linie durchgesetzt, sagt Dirk Feiertag. Es sei aber zu beobachten, dass Müttern häufiger ALG II be­willigt werde als Vätern, die zur Betreuung ihres Kindes zu Hause bleiben wollen. Der geschlechterpolitische Enthusiasmus der Bundesregierung ist offensichtlich noch nicht bis in die Büros der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter durchgedrungen.
Wir wissen ja nicht, was Sie am 1. Juni gemacht haben. Falls Sie sich zum Kindertag dafür entschieden haben sollten, Nachwuchs zu zeugen oder zu adoptieren, bleibt nur zu hoffen, dass Sie es sich auch leisten können.