Die Krise der französischen Konservativen

Der Monarch wird nervös

Seit dem Debakel bei den Regionalwahlen verschärft sich die Krise der französischen Konservativen. Kaum jemand hält Nicolas Sarkozy für einen geeigneten Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 2012.

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy wird häufig als »republikanischer Monarch« bezeichnet. Auch wenn es um seine politischen Schwierigkeiten geht, werden gerne monarchistische Metaphern bemüht. Derzeit herrsche die »Atmosphäre eines fin de règne«, meinte etwa am Wochenende der sozialdemokratische Politiker Pierre Moscovici. So wurde unter den Königen früherer Jahrhunderte die Endphase einer Regierungszeit bezeichnet, wenn das gekrönte Staatsoberhaupt schon nicht mehr ganz zurechnungs­fähig war und man auf seinen Nachfolger wartete.

Die Probleme des Präsidenten sind nicht nur po­litischer Natur. Einerseits belegen Umfragen, dass weniger als 30 Prozent der Franzosen mit seiner Amtsführung zufrieden sind. Dazu kam noch die Affäre der vergangenen Woche um angebliche Eheprobleme mit seiner Gattin Carla Bruni. Ein Blog auf der Homepage der bürgerlichen Sonntagszeitung JDD hatte Mitte März durchsickern lassen, dass Carla Bruni angeblich fremdgehe. Brisant an dieser Nachricht war allerdings weniger deren Inhalt. Nach der Veröffentlichung wurde umgehend eine Operation des Inlandsgeheimdienstes DCRI angeordnet, um den Ursprung des Gerüchts zu ermitteln. Sarkozys Berater Pierre Charon begründete diese außergewöhnliche Maßnahme damit, dass »ein Komplott« vorliege, dessen »Finanzierung« mittels »Kapitalflüssen« man nachspüren müsse. Es gehe darum, die französische Staatsspitze »im Vorfeld der französischen G20-Präsidentschaft im Jahr 2011 zu destabilisieren«. Inzwischen wurde die Theorie einer internationalen Verschwörung offiziell verworfen. Pierre Charon wurde abgestraft und darf nicht mehr an den Sitzungen von Sarkozys engstem Beraterkreis teilnehmen, wie am Montag bekannt wurde.
Die wachsende Nervosität im Präsidentenamt ist nur ein Symptom für die steigende politische Spannung. Selbst innerhalb des bürgerlich-konservativen Lagers gilt Sarkozy inzwischen nicht mehr als geeigneter Kandidat für die kommenden Präsidentschaftswahlen.
Der frühere Premierminister Alain Juppé erklärte am Wochenende in einem Interview mit der Sonntagsausgabe der Pariser Abendzeitung Le Monde: »Ich habe nie an den Bruch geglaubt.« Unter dieses Motto, la rupture, hatte Nicolas Sarkozy seine Kandidatur im Jahr 2006 gestellt. Man dürfe »nicht zu viele Reformen auf einmal unternehmen«, kritisierte Juppé hinsichtlich der Amtsführung Sarkozys, die »Koalition der Unzufriedenen« könne dadurch zu groß werden.

Der Mann muss es wissen. Sein Versuch, im Winter 1995/96 eine rückschrittliche Gesundheitsreform durchzusetzen, endete damals in einem Desaster. Es bildete sich eine breite Front sozialer Bewegungen gegen dieses und weitere Vorhaben, zu der etwa die erste breitere antifaschistische Bewegung oder die Bewegung für die sans papiers gehörten.
Sarkozy glaubte, es ganz anders machen zu können. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jacques Chirac, der im Wahlkampf progressiv anmutende soziale Versprechen machte, um im Anschluss eine gegenläufige Politik zu praktizieren, setzte Sarkozy darauf, »den Leuten reinen Wein einzuschenken«. Nach seinem Amtsantritt erlebte Frankreich einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel: Chiracs Umgang mit wirtschaftsliberalen Reformen war eher vorsichtig gewesen, nun ging man vom Stellungs- zum Angriffskrieg über.Auch stabile Institutionen wie Universitäten, Gerichtswesen und Krankenhäuser wurden rigiden Spar- und Rentabilitätsimperativen unterworfen.
Zuletzt verfolgte die Regierung den Plan, die Untersuchungsrichter abzuschaffen. Deren Aufgaben sollten von der Staatsanwaltschaft übernommen werden. Doch die französischen Staatsanwälte sind an Weisungen aus dem Justizministerium gebunden, Untersuchungsrichter hingegen sind unabhängig. Zahlreiche Verfahren, etwa zu Korruptionsskandalen und Waffenlieferungen nach Afrika, hätten in den letzten 15 Jahren gar nicht stattgefunden, hätten unabhängige Untersuchungsrichter nicht dem Druck aus der Regierung widerstanden. Die Reformpläne brachten Tausende von Anwälten und Richtern auf die Straßen und wurden schließlich »auf unbestimmte Zeit verschoben«.
Sollte ab 2012 die bürgerliche Rechte in die Opposition gehen – was derzeit durchaus wahrscheinlich erscheint –, dann wird wohl ein Teil von ihr versuchen, sich auf der Grundlage radikalerer Positionen neu zu formieren. Die Frage eines Bündnisses der Konservativen mit der extremen Rechten – ähnlich wie in Italien – dürfte in einer solchen Konstellation eine besondere Rolle spielen. An der Spitze des rechtsextremen Front National (FN) wird sich Jean-Marie Le Pen im kommenden Januar endgültig zurückziehen. Seine Tochter Marine wird wahrscheinlich die Parteiführung übernehmen. Gelingt es ihr, den offenen Antisemitismus in Teilen der Partei zurückzudrängen oder jedenfalls besser zu kaschieren, um sich auf den bei den Konservativen eher akzeptierten Rassismus gegen Einwanderer zu konzentrieren, könnte die Bündnisfrage wirklich neu diskutiert werden.

Unklar ist indessen, warum die Gewerkschaftsführungen, denen die schwere Regierungskrise beste Voraussetzungen für ihre groß angekündigten Protestaktionen gegen die sozialpolitischen Rückschritte bieten sollte, offenkundig auf eine Taktik des Hinhaltens und Abwartens setzen. Am Montag begann die sogenannte Konzertation zur bevorstehenden Rentenreform, dem letzten größeren sozialpolitischen Einschnitt, den die amtierende Regierung vor den Wahlen 2012 noch durchsetzen will. Die Zahl der obligatorischen Beitragsjahre zur Rentenkasse soll auf mindestens 42,5 erhöht werden, was eine erhebliche Verlän­gerung der Lebensarbeitszeit bedeuten würde.
Am 23. März hatten die französischen Gewerkschaftsverbände gemeinsam gegen dieses Vorhaben demonstriert und rund 600 000 Menschen auf die Straße gebracht. Man hätte einen solchen Protest als »erstes Warmlaufen« betrachten können, dem rasch weitere Mobilisierungen folgen. Aber die Gewerkschaftsführungen beschlossen, erst am 1. Mai wieder zu demonstrieren, im Rahmen der an diesem Tag üblichen Aufmärsche.
Der mitgliederstärkste gewerkschaftliche Dachverband in Frankreich, die CGT, lehnt die Reformpläne der Regierung zwar in der Sache ab. Aber der Apparat der CGT, der früher eher als »kommunistisch« galt, steht inzwischen zum Teil dem Parteiapparat der französischen Sozialdemokratie nahe. Dieser hatte wohl signalisiert, dass man es mit dem Protestieren nicht übertreiben solle – denn die Sozialistische Partei müsse sich erst noch für das Regieren ab 2012 »bereit machen«, Programme ausarbeiten und Kandidaten nominieren. Gleichzeitig möchte jedenfalls ein Teil der Sozialdemokratie sicherlich, dass diese Reform noch in dieser Legislaturperiode über die Bühne geht, um sie nicht selbst durchführen zu müssen.
Vor allem dort, wo massive Entlassungen drohen, die vor allem durch die Krise gerechtfertigt werden, finden derzeit Proteste statt. Vergangene Woche drohten Arbeiter, zwei Fabriken in die Luft zu sprengen, sollten sie keine Abfindungszahlungen im Falle ihrer Kündigung erhalten: den Automobilzulieferer Sodimatex in Crépy-le-Vallois, im nördlichen Pariser Umland, sowie eine besetzte Fabrik für Brustimplantate im südfranzösischen La-Seyne-sur-Mer.