»In Mauretanien existiert noch immer die Sklaverei«

El-Arby Ould Saleck, Leiter der europäischen Sektion von SOS Esclaves

Am 23. August wird international an den Sklavenhandel und dessen Abschaffung erinnert. Am 8. August wurde die Praxis und die Propagierung der Sklaverei vom mauretanischen Parlament in Nouakchott gesetzlich unter Strafe gestellt. Die Vereinigung SOS Esclaves, mit Sitz in Nouakchott, kämpft seit Jahren gegen die in Mauretanien nach wie vor verbreitete Sklaverei. El-Arby Ould Saleck, Sohn eines mauretanischen Sklaven, ist der Vorsitzende der Europa-Sektion von SOS Esclaves und arbeitet in der Bürgerrechtsabteilung im Rathaus von Nanterre.

interview: bernhard schmid

Bisher glaubte man, dass die Sklaverei in Mauretanien im Jahr 1981 definitiv abgeschafft worden sei. Warum wurde nun erneut ein Gesetz dazu verabschiedet?

Bisher gab es ein Verbotsgesetz, das aus dem Jahr 1981 stammt. Es wurde jedoch nicht effektiv angewendet, denn es ließ die zentrale Frage unbeantwortet, was aus den Sklaven wird, die freigelassen worden sind. Woher bekommen sie zu essen? Wie kommen sie an eine Unterkunft? Zudem sah das Gesetz von 1981 eine Entschädigungs­regel vor, die jedoch nicht zugunsten der ehemaligen Sklaven vorgesehen war, im Gegenteil. Die Freigelassenen sollten ihren bisherigen Herren einen »Schadensersatz« für den Verlust ihrer Arbeitskraft zahlen. Unter diesen Bedingungen konnte von Abschaffung der Sklaverei keine Rede sein. Es gibt auch Leute, die behaupten, die Sklaverei sei in Mauretanien bereits drei Mal abgeschafft worden. Diese Behauptung gründen sie auf die Verfassung von 1960, in der eine Gleichberechtigung der Bürger des neuen Staats festgeschrieben wurde, und die Verfassung von 1991, in der alle mauretanischen Bürger als frei und gleich bezeichnet wurden. Diese Verfassungen beinhalteten theoretisch ein Verbot der Sklaverei. Aber konkrete Gesetze gegen die Praxis der Sklaverei gab es nur 1981 und seit dem 8. August 2007.

Was waren die Auslöser für diese Gesetzgebung?

Zunächst entstand seit März 1978 eine Bewegung unter dem Namen El-Hor, was so viel wie »freier Mann« bedeutet. Ihre zwölf Gründungsmitglieder gehörten zu den Privilegierten innerhalb der Bevölkerungsgruppe der Haratin, der »Freigelassenen«, wie die faktischen Sklaven oder ihre Nachfahren im offiziellen Sprachgebrauch heißen. Es handelte sich um Haratin, die das Glück hatten, in die Schule gehen zu können. Einer von ihnen war Messaoud Ould Boulkeire, der jetzige mauretanische Parlamentspräsident. Die El-Hor wurde politisch bekämpft und war die Vorläuferin des Kampfes der Haratin um ihre Emanzipation. Als dann 1980 eine Gruppe von Offizieren die Macht übernahm, war die Nummer Zwei des »Komitees zur nationalen Rettung« der Hauptmann Breika Ould M’Bareck, ein Haratin. Er war in vielen Aspekten ein Reaktionär, aber auch ein Rebell. Um eine Antwort auf die laut gewordene Forderung nach Emanzipation der Haratin zu geben, nahm das Offizierskomitee 1981 das Dekret gegen die Sklaverei an.

Die Praxis der Sklaverei wurde aber trotz offiziellem Verbot nicht beendet. Wie muss man sich das vorstellen? Wegen des Verbots gab es doch sicherlich keine Sklavenmärkte, wie man sie aus früheren Jahrhunderten kennt.

Nein, die Praxis der Sklaverei in Mauretanien darf man sich tatsächlich nicht in dieser Form vorstellen. Sie war und ist oft nach außen hin unsichtbar. Nach 1981 gründeten beispielsweise bisherige Herren und Sklaven vermeintliche Familienverhältnisse. Beide gingen zur Moschee und ließen sich eine Bescheinigung ausstellen, in denen der bisherige Herr versicherte: »Ab diesem Tage ist mein Bruder frei, ich werde ihn bei mir beherbergen.« Faktisch war es dann aber so, dass der bisherige Sklave weiterhin alle körperlichen oder undankbaren Arbeiten verrichtete und dafür kaum oder kein Geld erhielt.

In den städtischen Zentren nahm die Sklaverei eine andere Form an. Insbesondere nach der großen Dürre von 1995 zogen viele Haratin in die Städte. Hier arbeiten sie als Chauffeure, Hausdiener oder als »Mädchen für alles«. Sklaverei gab es in Mauretanien auch innerhalb schwarzer Bevölkerungsgruppen, den Peul und den Soninké. Doch heute ist die Sklaverei fast nur noch eine Erscheinung zwischen Angehörigen der arabisch-berberischen Bevölkerung, in deren Händen die wirtschaftliche und politische Macht liegt, und den Négro-Africains genannten Schwarzen auf der anderen Seite.

Wie arbeitet SOS Esclaves dagegen?

SOS Esclaves ist 1995 entstanden. Da Mauretanien bis 2005 von aufeinanderfolgenden Diktaturen regiert worden ist, konnten wir jedoch nicht legal arbeiten. Es gab keine Freiheit der Meinungsäußerung, keine Presse- und Versammlungsfreiheit. Die Vereinigung durfte keine Hilfe aus dem Ausland empfangen und hatte keine Räume. Die Behörden weigerten sich, uns in das Register der angemeldeten Organisationen einzutragen. 1998 wurde unser Vorsitzender Boubacar Ould Messaoud verhaftet, weil er dem französischen Fernsehsender France 3 ein Interview zur Frage der Sklaverei in Mauretanien gegeben hatte. Seit dem Militärputsch vom August 2005, in dessen Folge die Demokratie eingeführt und die Macht an Zivilisten übergeben wurde, hat der Druck gegen uns abgenommen. SOS Esclaves wurde offiziell als legale Organisation anerkannt und konnte Räumlichkeiten in Nouakchott beziehen. Wir beschaffen Opfern der Sklaverei eine Unterkunft und führen Prozesse gegen Sklavenhalter, deren Durchführung bisher allerdings oft behindert wurde. Beim Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen haben wir eine effektive Lobby­arbeit geleistet.

War die Einführung des neuen Gesetzes gegen die Sklaverei ein Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen?

Der am 11. März dieses Jahres neu gewählte Präsident Sidi Ould Cheikh Abdallahi hatte im Wahlkampf versprochen, ein neues, wirksames Gesetz gegen die Sklaverei zu verabschieden. Die Sklaverei und das Problem der mauretanischen Flüchtlinge, die seit 1989 jenseits der Grenzen in Senegal und Mali leben, waren tatsächlich die Hauptthemen im diesjährigen Wahlkampf. Etwa 45 bis 55 Prozent der Bevölkerung sind Haratin. Genauere Zahlen gibt es nicht, da die Behörden sich bisher immer geweigert haben, eine Volkszählung durchzuführen. Aber da die Bevölkerung insgesamt nicht groß ist, Mauretanien hat weniger als drei Millionen Einwohner, und wegen der Kinderzahlen, die bei den Haratin wesentlich höher sind als bei der maurischen Oberschicht, gehen wir davon aus, dass die Haratin heute die Mehrheit bilden und entsprechend Druck auf die Regierung ausüben können.

Wird das neue Gesetz die Sklaverei in Mauretanien nun effektiv abschaffen?

Ich bin verhalten optimistisch. Grundsätzlich begrüßen wir das Gesetz, denn es gibt uns einen juristischen Rahmen, um zukünftig handeln und Prozesse führen zu können, wenn sich Opfer von Sklaverei an unsere Vereinigung oder auch an die Behörden wenden. Es wird wichtig sein, darauf zu achten, dass den Prozessen auch tatsächlich Verurteilungen folgen und dass keine behördliche Verschleppung stattfindet. Ferner bedeutet dieses Gesetz, dass der mauretanische Staat offiziell anerkannt hat, dass die Sklaverei in Mauretanien noch existiert und ein Problem darstellt.

Ich stelle aber keinen Blankoscheck aus und verfalle nicht blind in einen Freudentaumel. Die Arbeit fängt erst an. Jetzt geht es darum, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um die tief in der Gesellschaft verankerten Vorstellungen über Abhängigkeitsverhältnisse zu verändern. Dabei spielen das Radio und das Fernsehen eine wichtige Rolle. Ferner müssen ökonomische Bedingungen geschaffen werden, die es einem früheren Sklaven erlauben, sich eine eigene soziale Existenz aufzubauen, wenn er seinen Herrn verlässt. Wichtig ist auch die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht für alle Mauretanier, speziell für die Kinder der Haratin. Der juristische Rahmen für die Bekämpfung der Sklaverei ist nun vorhanden, jetzt muss er konkret ausgefüllt werden.