Bloß nicht drüber nachdenken!

Über den Wandel der Universität vom Arbeitslosenzwischenlager zur rationalisierten Qualifikationsfabrik und die Folgen für das kritische Denken. von daniel keil

Mit der Einführung von Studiengebühren in diversen Bundesländern hat im vorigen Jahr der schon seit längerer Zeit laufende Prozess der Umstrukturierung der Universitäten ein Etappenziel erreicht. Die Gebühren sind jedoch nur ein Teil des grundlegenden Umbaus. Gleichzeitig transformieren sich die Selbstverwaltungsstrukturen der Universität, die Form des Studiums sowie Funktion und Stellung der Wissenschaft zur Kapitalverwertung.

In den bisherigen Auseinandersetzungen mit den Umstrukturierungen werden diese verschiedenen Dimensionen allerdings nur selten zusammengebracht. Auch die bisherigen Proteste der Studierenden gegen die Einführung von Studiengebühren, eigentlich ein geeigneter Ort der kritischen Auseinandersetzung, zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihnen weder eine politisch-ökonomische Einordnung der Studiengebühren vorgenommen noch die Frage, was Bildung überhaupt heißt, thematisiert wurde. Diskutiert werden müsste die gesellschaftliche Funktion der Universität in all ihren Facetten, etwa welche Bedeutung der Umbau für die gelehrten Inhalte und welche Auswirkungen dies wiederum auf die Entwicklung kritischer Theorie hat.

Karl Marx bemerkte einmal, dass in der Maschine die realisierte Wissenschaft erscheine, und bestimmte sie als dem Kapital angehörige Kraft. Damit benannte er die grundlegende Struktur, in welcher die Universität zu verorten ist: in der Trennung bzw. Verbindung geistiger und körperlicher Arbeit. Dieses Verhältnis wird neu gestaltet durch jene Prozesse, die gemeinhin mit dem Wort Globalisierung zusammengefasst werden. Damit ändern sich auch die Funktionen der Universität im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang.

Die Entwicklung der Massenuniversität seit den Reformen der sechziger und siebziger Jahre war verbunden mit der beginnenden Krise des fordistischen Modells. In der sich verändernden Produktionssphäre intellektualisierte sich die Arbeit, die zunehmend die Fähigkeit zur schnellen Aneignung neuer Techniken erforderte. Intellektuelle Tätigkeit gehörte zu den notwendigen Nebenkosten der Produktion, zur Produktivkraftentwicklung, die wiederum die Notwendigkeit erzeugte, selbständiges Denken zu verallgemeinern. Zugleich ergab sich für die Studierenden – bis zur Einführung von so genannten Langzeitgebühren – die Möglichkeit, lange an der Universität zu verweilen.

Dadurch veränderte sich die Universität grundlegend von einer elitären Zuchtstätte für Staatsdiener und Führungskräfte in der Wirtschaft hin zu einer Institution, die Möglichkeiten der selbst bestimmten Aneignung kritischen Denkens in größeren Zusammenhängen eröffnete. Außerdem entwickelte sich ein Arbeitsmarkt für Studierende, mit Jobs, die zwar schlecht bezahlt waren, mit denen man aber doch das Leben irgendwie finanzieren konnte. Dies entlastete den »eigentlichen« Arbeitsmarkt, und die Arbeitslosenzahlen wurden nicht noch zusätzlich in die Höhe getrieben. Die Universitäten erwiesen sich damit auch als geeignetes »Zwischenlager« für zukünftig arbeitslose Akademiker und Akademikerinnen.

Die derzeitigen Transformationsprozesse lösen diese Konstellation auf. Die allgemeine Prekarisierung der Lohnabhängigen führt dazu, dass die Trennungen zwischen den Arbeitsmärkten aufgeweicht werden, dass etwa unbezahlte Praktika die schlecht bezahlten Jobs ersetzen. Auf allen Ebenen verschärft sich die Konkurrenz.

Dazu trägt auch die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse bei, welche die im »Bologna-Prozess« geforderte Europäisierung der Hochschulen und die vermeintliche internationale Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen herstellen soll. Die allgemeine Einführung von Studiengebühren führt nicht nur zur individuellen Verschuldung der ärmeren Studierenden, sondern muss auch als direkte Unterwerfung des Bildungssektors unter die Bedürfnisse des Kapitals begriffen werden. Studienkredite eröffnen zum einen einen riesigen Markt und eine Anlagemöglichkeit für Kapital. So haben bereits jetzt, nach der Einführung der Gebühren in zwei Bundesländern, 15 000 Studierende Bildungsdarlehen abgeschlossen. Zum anderen fungieren sie als Geburtshelfer der Arbeitskraftunternehmer, also der Subjekte, die sich selbst jeweils als Unternehmen begreifen, die sich der internationalen Konkurrenz stellen müssen.

Dies korrespondiert mit der Entdemokratisierung der universitären Selbstverwaltung. In Hessen zum Beispiel wurde mit der Neufassung des Hochschulgesetzes im Jahr 2003 die Macht erheblich zugunsten der Präsidenten verschoben, die in schon fast feudaler Weise regieren können. Durch die Aufhebung der Autonomie der Fachbereiche können die Präsidenten und Präsidentinnen Berufungen verhindern und nicht genehme Ausschreibungen für Professuren verändern. In der Praxis richtet sich dies fast ausschließlich gegen kritische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Die in den siebziger Jahren in einige wenige Universitäten eingezogene kritische Theorie wird nun umfassend abgebaut und bekämpft. Besonders deutlich wirkt sich das in der Politikwissenschaft und in der Soziologie aus, die zur Institution für die Herstellung von reinem Verwaltungs- und Beratungswissen umgebildet werden.

Dermaßen zu Hilfswissenschaften des Bestehenden degradiert, zeugen sie vom Ende der Selbstreflexion der postbürgerlichen Gesellschaft. Es ist ein spezifisch deutsches Phänomen, dass die Durchkapitalisierung des Bildungssektors einhergeht mit einem weitreichenden Schlag der Gegenaufklärung gegen die kritische Theorie, die von einigen deutschen Intellektuellen schon immer als übermächtig und zugleich fremd und als von außen kommend wahrgenommen wurde.

Das zeigt sich beispielsweise bei der Kritik am Fortwirken des Nationalsozialismus, die dem deutschen Normalitätsbedürfnis entgegensteht. An der Universität Frankfurt etwa wird seit dem Umzug der geisteswissenschaft­lichen Institute in den ehemaligen Sitz des IG-Farben-Konzerns alles unternommen, die NS-Geschichte des Hauses zu verdrängen. Die projektierte Bildung einer »normalen« Elite soll ungestört bleiben.

Die derzeitigen Transformationen werden also dazu genutzt, die Ressentiments gegen kritische Theorie in praktische Politik zu übertragen und die deutsche Universität wieder zu dem zu machen, was sie die meiste Zeit war: eine Produktionsstätte des Untertanengeists. Die Verfechter der gegenaufklärerischen Reformen begreifen dies als »Internationalität« – und offenbaren damit nichts als ihre Provinzia­lität.