»Die Europäer ducken sich weg«

Die grüne Politikerin kerstin müller fordert eine robuste Uno-Truppe gegen den schleichenden Völkermord

Seit Jahren engagiert sich die außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Kerstin Müller, für die Menschenrechte im Sudan. In der rot-grünen Bundesregierung war sie Staatssekretärin im Auswärtigen Amt.

Fühlen Sie sich manchmal allein gelassen bei Ihrem Engagement für den Sudan?

Es gibt schon einige NGO, die sehr aktiv sind. Aber leider gibt es in Deutschland, anders als in den USA oder Frankreich, keine breite gesellschaftliche Bewegung. Ich habe den Eindruck, dass sich die deutsche Politik und vor allem auch die Europäer vor der dramatischen Lage in Darfur wegducken.

Weshalb, meinen Sie, ist das so?

Nötig ist jetzt eine robuste Uno-Truppe, die die Menschen wirklich vor der Gewalt schützen kann und die die Militäroffensive der sudanesischen Regierung beendet. Vor allem muss dafür gesorgt werden, dass die humanitären Hilfsorganisationen die Menschen versorgen können. Die Uno hat eine solche Truppe beschlossen, nur stimmt die sudanesische Regierung nicht zu. Ich erwarte in dieser Situation von Eu­ropa, dass es vorangeht und gegenüber der sudanesischen Regierung klare Worte findet. Notfalls müssen auch personenbezogene Sanktionen wie Reiseverbote oder das Einfrieren von Konten gegen die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen verhängt werden.

In Deutschland scheint es fast ein Tabu­thema zu sein.

Vielleicht liegt es auch daran, dass es mal wieder um Afrika geht. Die Erfahrung zeigt, wenn es um Krisen oder gar Völkermord geht, dann ist Afrika immer besonders weit weg. Das ist in Frankreich, Großbritannien und den USA etwas anders.

In welchen Parteien finden Sie am ehesten Gehör?

Es gibt in allen Fraktionen Mitstreiter für die Sache in Darfur. Das Problem ist, dass die Regierung in Person von Angela Merkel erklärt hat, man wolle über das jetzige Engagement hinaus nicht tätig werden. Solche Äußerungen sind kontraproduktiv, weil sie die sudanesische Regierung entlasten, anstatt den Druck zu erhöhen. Die Regierung müsste diplomatische Initiativen ergreifen und Druck ausüben auf die Schutzmächte China und Russland, um Sudan zu einer Zustimmung zu der Uno-Truppe zu bewegen.

Inwiefern hat der Konflikt in Darfur Bedeutung für die weitere Region?

Sudan ist das größte Flächenland Afrikas. Wenn der Sudan zerfällt, und diese Gefahr besteht nach wie vor, würde das zu einer Destabilisierung der gesamten Region führen. Schon jetzt greift die Krise auf den Tschad und auf den Kongo über. Alle sagen, Ruanda und Srebrenica dürften sich nie wiederholen. Aber hier findet gerade ein schleichender Völkermord statt, davon spricht man jedenfalls bei der Uno, und da darf die internationale Gemeinschaft nicht schweigen. Da sind alle in der Verantwortung.

Sehen Sie bei einem robusten Einsatz der Uno auch die Bundeswehr gefragt?

Wahrscheinlich wird die Uno Deutschland und die Europäer um Unterstützung bitten. Ich gehe aber nicht davon aus, dass man von den Europäern erwartet, dass sie in größerem Maße Truppenkontingente stellen. Was jedoch möglicherweise auf uns zukommen kann, ist zum Beispiel die Anfrage nach modernstem logistischem Überwachungsgerät. Und da darf Deutschland dann nicht abseits stehen.

Die Bundesregierung scheint das anders zu sehen.

Wir müssen vor allem eine möglichst breite Öffentlichkeit für den Darfur-Konflikt schaffen. Politik reagiert immer auf öffentlichen Druck. Gäbe es hier eine Kampagne wie in den USA, dann wäre eine solche Äußerung wie die von Angela Merkel nicht gefallen. Wir müssen aus der Gesellschaft heraus die politisch Verantwortlichen zum Handeln bewegen.

interview: ivo bozic