The Evil Thing

Überwachung und Zensur sind längst nicht mehr nur staatliche Phänomene, wie das Beispiel Google zeigt. Die freiwillige »Selbstkontrolle Suchmaschinen« übernimmt die Selbstzensur in Deutschland. von philipp steglich

Iran tut es, China tut es, und noch ein paar andere mehr. Diese Staaten versuchen, die Kontrolle über die Nutzung des Internets in ihren Ländern zu erlangen. Anfangs wurden missliebige Internetadressen direkt bei den lokalen Internet-Providern blockiert, die eingegebenen Adressen waren nicht oder nur auf komplizierten Umwegen erreichbar. Mittlerweile setzen die Behörden jedoch woanders an: bei den Suchdiensten im Internet. Das hat seine Gründe. Denn wie soll der kritische Beitrag über das Nuklearprogramm oder die Umweltzerstörung zu lesen sein, wenn man ihn erst gar nicht findet, in den unendlichen Weiten des World Wide Web? Es ist wesentlich einfacher, komplette Themengebiete auszublenden, als Seite für Seite zu sperren, und das auch noch jeweils bei mehreren Providern. Zudem werden zensierte Inhalte oft gespiegelt, und dann muss mühsam weiter zensiert werden.

Im Jahr 2002 wurde Google zum ersten Mal für zwei Wochen in China blockiert und war nicht mehr erreichbar. Google erhielt Ende 2005 in China erstmals eine Lizenz als Anbieter von Internet-Diensten und war ab Januar 2006 dort offiziell präsent: google.cn. Aber die dort angezeigten Such­ergebnisse werden zensiert. Und zwar nicht mehr von den chinesischen Behörden oder den Angestellten der lokalen Provider, sondern von Google selbst. Die aussortierten Schlüsselbegriffe und Themen wie Falung Gong oder das Tiananmen-Massaker und die blockierten Adressen wie die der BBC wurden der Firma nicht verordnet. Vielmehr haben Beschäftigte von Google selbst, nach Anschauung dessen, was zuvor staatlicherseits blockiert wurde, eine eigene Schwarze Liste mit verbotenen Inhalten erstellt. Diese freiweillige Zensur einer privaten Firma hat eine neue Qualität, gerade auch weil das Motto des Unternehmens »Don’t be evil« – »Sei nicht böse« lautet.

Selbst der Geschäftsführer von Google, Eric Schmidt, musste eingestehen: »Wir haben tatsächlich etwas Böses getan, um etwas noch Böseres zu verhindern.« Was natürlich angesichts von 110 Millionen chinesischen Internetnutzern und eines mehr als rasant wachsenden Markts ökonomisch sinnvoll ist. Auch Firmenprinzipien sind dazu da, über den Haufen geworfen zu werden. Dabei profitiert das Unternehmen noch immer von seinem guten Image, obwohl es in China ebenso mit den Machthabern kooperiert wie seine Konkurrenten Microsoft und Yahoo.

Tatsächlich befürchtet die Firma mit den bunten Buchstaben, dass von ihr nur noch das poppige Image bleibt. So haben Anwälte von Google die Medien in den USA, aber auch in Deutschland, schriftlich aufgefordert, nicht mehr »googeln« als Verb für »Suchen im Internet« zu benutzen, sondern stattdessen »bei Google suchen« oder »in der Suchmaschine Google« zu schreiben. Selbst die gerade erschienene neue Auflage des Duden hat dies schon berücksichtigt. Dahinter steht das Bemühen, das Warenzeichen »Google« zu schützen. Hipness war nur so lange erwünscht, bis Google Marktführer geworden war. Jetzt wird daraus der Profit gezogen, Business as usual.

Zensur gibt es aber nicht nur in finsteren Diktaturen, was man schnell feststellt, wenn man sich einmal mit den Verfahren in Deutschland beschäftigt. »Eine Zensur findet nicht statt«, heißt es richtigerweise im Grundgesetz – dafür haben wir schließlich die freiwillige Selbstkontrolle. Genauer: die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM). Im Februar 2005 wurde unter dem Dach der FSM die »Selbstkontrolle Suchmaschinen« gegründet.

Die Liste der Beteiligten liest sich wie das Who is Who des deutschsprachigen WWW: Zu den Gründungsmitgliedern gehören Google Deutschland, AOL Deutschland, T-Online, Yahoo Deutschland mit seinem gleichnamigen Online-Dienst und den Suchmaschinen Altavista und Alltheweb.com, MSN Deutschland und Lycos Europe. Also eigentlich alle wichtigen Suchmaschinenbetreiber. In ihrem Verhaltenskodex von Ende Dezember 2004 verpflichten sie sich, Internetadressen nicht mehr anzuzeigen, wenn bei der FSM eine Beschwerde eingegangen ist, die einen der folgenden Tatbestände erfüllt: Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Holocaust-Leugnung, Aufforderung oder Anleitung zu Straftaten, Kinder-, Tier- und Gewaltpornographie und Verstöße gegen die Menschenwürde.

Natürlich, Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Aber die Forderung, Naziseiten zu sperren, kann schnell nach hinten losgehen. Der inzwischen zurückgezogene Indizierungsantrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gegen das Buch »Autonome in Bewegung« des Verlags Assoziation A, das angeblich jugendgefährdend sein soll, belegt, dass jederzeit auch linke Publikationen betroffen sein können. Und warum sollte dies nicht auf Internetseiten, die beispielsweise zu Castor-Demonstrationen aufrufen, angewendet werden? Und so sind wir hierzulande hinsichtlich des Internets näher an »chinesischen Verhältnissen«, als man gemeinhin denkt. Und Google & Co. sind völlig freiwillig mit dabei – immer mit dem Argument, auf diese Weise staatlich verordnete Zensur zu verhindern.

Aber die staatlichen Autoritäten sind gar nicht mehr unbedingt notwendig, wenn es um Überwachung und Kontrolle geht. So wurde Mitte August bekannt, dass Google die unter anderem auf Verfahren zur biometrischen Gesichtserkennung spezialisierte Firma Neven Vision gekauft hat. Das Unternehmen Google will deren Knowhow für seine eigene Bildverarbeitungssoftware Picasa nutzen.

Bisher ist noch nichts bekannt über die genaue Verwendung der neuen Erkennungsstrategien. Spekuliert wird darüber, dass man Fotos von Gebäuden, die man beispielsweise mit der Kamera des Mobiltelefons aufgenommen hat, an Google schicken kann und die Firma Informationen zurücksendet, die aus den eigenen Diensten Google Earth und Google Maps stammen. Möglicherweise wird man aber auch Porträtfotos einsenden können, und Google erledigt die Identifikation der darauf abgebildeten Personen. Es ist ein historischer Schritt, dass Suchanfragen nicht mehr nur über die Eingabe von Buchstaben erfolgen müssen, sondern dass sich auch digitale Bilder mit der Google-Datenbank abgleichen lassen.

Da Internet-Nutzer derzeit massenhaft eigene Inhalte auf Seiten wie myspace oder youtube hochladen, wird die Identifikation und Überwachung von Privatpersonen perspektivisch für jedermann möglich. Realisierbar wird dies durch zweierlei: einerseits durch die User selbst, die ihre Familienalben ins Netz stellen und in Blogs ihr Privatleben und ihre Freizeit­erlebnisse schildern, als würden Personalchefs nie im Internet surfen. Und andererseits durch leistungsstarke Suchmaschinen wie Google, die diese Informationen schnell aufbereiten. So wird der Überwachungsstaat zu einem überholten Konzept. Beziehungsweise zu einem, das durch die Selbstkontrolle der Gesellschaft, von Privatleuten und Unternehmen, die zudem weniger von Datenschutzrichtlinien gegängelt werden, sinnvoll ergänzt wird.