Väterchen mag keine Orangen

Gestützt auf einen effektiven Sicherheitsapparat tritt Präsident Lukaschenko zu den Wahlen in Belarus an. Eine oppositionelle Massenbewegung muss er nicht fürchten. von ute weinmann

An der Opposition zeigt Präsident Aleksandr Grigorjewitsch Lukaschenko nur geringes Interesse: »Meine Referenten haben mich dazu angehalten, zu ihr ein gutes Verhältnis zu entwickeln. Aber tatsächlich habe ich zu ihr gar kein Verhältnis.« Er kann sich gelassen geben, denn niemand zweifelt daran, dass er, ob mit oder ohne Manipulation, die Präsidentschaftswahlen in Belarus am 19. März gewinnen wird.

Doch hat dies, im Unterschied zu den Anfangsjahren seiner mittlerweile zwölf Jahre andauernden Präsidentschaft, wenig mit seiner scheinbar ungebrochenen Popularität zu tun. Politische und ökonomische Stagnation, jahrelange Gängelung der Oppo­sitionellen bis hin zu schweren Repressionen und zahlreichen Skandalen um ver­schwun­­de­ne, wahrscheinlich ermordete missliebige Personen mit mehr politischem Einfluss, als ein selbst­verliebter Präsident ertragen kann, verfehlen auf lange Sicht nicht ihre Wirkung. Aber sein größter Vorteil dürfte das Fehlen einer realistischen Alternative sein. Sein Stern beginnt allmählich zu sinken, aber noch hat er nichts zu befürchten.

Dennoch wird der im Volksmund weniger liebevoll als ironisch »Batko« (Väterchen) genannte Präsident vor den Wahlen zusehends nervöser. Die Opposition setzt ihm mehr zu, als ihm lieb ist. Sein Sicherheitsapparat gibt sich alle Mühe, jeden Ansatz regierungskritischer Tätigkeit zu unterbinden. In der Nacht zum 22. Februar hat der KGB vier Angehörige der nicht zugelassenen Oppositionsgruppe Partnerschaft festnehmen lassen, die sich zur Aufgabe machte, eine unabhängige Wahlbeobachtung zu ermöglichen, und entsprechende Schulungen durchführte.

Im Stadtzentrum von Minsk wird jeden Monat bei Kerzenschein Solidarität mit den politischen Gefangenen im Land, den Angehörigen spurlos Ver­schwun­de­ner und den zahlreichen verfolgten Journalisten demonstriert. Am 16. Februar nahmen Polizisten der Sondereinheit Omon 21 Personen fest. In Anspielung auf die bis heute in Belarus sehr lebendigen Erinnerungen an die Nazischergen der Kriegszeit sprachen sie die Festgenommenen auf Deutsch mit den Worten an: »Schnell, schnell, Partisanen!« Auf den Vorwurf, sie seien Faschisten, reagierten die Polizisten ebenfalls auf Deutsch: »Jaja, natürlich!«

Am Donnerstag der vergangenen Woche wurde in Minsk der Oppositionspolitiker Winzuk Wjatschorka zu einer 15tägigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Anschuldigung des Gerichts lautete auf Organisation einer nicht genehmigten Wahlkampfveranstaltung am Vortag für den gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Kräfte, Aleksandr Milinkewitsch. Geplant war die Veranstaltung mit etwa 200 Zuhörern in einem der Minsker Kulturpaläste, doch der Zutritt wurde Milinkewitsch unter dem Vorwand verweigert, es seien Reparaturarbeiten in Gange, weshalb das Gespräch mit seinen Anhängern spontan vor den Palast verlegt wurde.

Der zweite Oppositionskandidat, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Gramada, Aleksandr Kosulin, wurde Anfang März von Unbekannten in Zivil verprügelt und anschließend für kurze Zeit festgenommen. Zeugen der Szene wollen bemerkt haben, dass es sich bei ­einem der Angreifer um Dmitrij Pawlitschenko gehandelt haben soll, der im Westen und von der Opposi­tion verdächtigt wird, hinter zahlreichen Entführungen und Morden an belarussischen Oppo­sitionellen in den Jah­ren 1999 und 2000 zu stehen. Kosulin steht der wirtschaftsliberalen russischen SPS (Union der Rechten Kräfte) nahe und soll von dem Kreml nahe stehenden Gruppierungen finanziert werden, während Milinkewitsch seine Sympathien für den Westen und insbesondere die USA offen bekennt.

Auf solcherlei Bekundungen reagiert Lukaschenko gereizt. Der Militäretat wurde für das laufende Jahr um ein Viertel erhöht und die Armee auf 50 000 Soldaten aufgestockt. Es ist kein Geheimnis, dass zahlreiche US-amerikanische und europäische Stiftungen oppositionelle Gruppen in Belarus finanziell unterstützen. Doch bis auf weiteres muss Lukaschenko keine »orangene Revolu­tion« wie die in der Ukraine befürchten. Sein autoritärer Polizeistaat lässt sich schwerlich mit dem des vormaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma vergleichen. Die politische Opposition ist weniger entschlossen als in der Ukraine, verfügt kaum über Geld und schon gar nicht über einen populären Kandidaten, der verschiedene Fraktionen der Opposition vereinigen könnte. Milinkewitsch ist lediglich eine Kompromissfigur. Der Sicherheitsapparat ist dem Präsidenten gegenüber loyal, der Lebensstandard in Belarus hält sich stabil und liegt zumindest nicht unter dem ukrainischen.

Das liegt nicht zuletzt an den äußerst günstigen Konditionen für Öl- und Erdgaslieferungen aus dem östlichen Nachbarstaat. Lukaschenko ist für Russland indes mitnichten ein idealer Partner. Pläne über eine staatliche Union beider Länder und eine gemeinsame Währung werden nur halbherzig in Angriff genommen und haben längst an Aktualität verloren. Der Kreml kann und will derzeit keine ernsthaften Schritte zur Ablösung Lukaschenkos einleiten und gibt sich mit dem Status Quo zufrieden. Es besteht kein Grund zu Eile, denn ein Umsturz ist in Belarus in den kommenden Jahren kaum zu erwarten. Das dürfte auch in den USA bekannt sein, doch lässt man dort keine Gelegenheit aus, das Land als »letzten Vorposten der Tyrannei« zu bezeichnen.

In den vergangenen Jahren ist ein Großteil der osteuropäischen Staaten der Nato beigetreten und strebt als nächstes den Beitritt zur EU an oder hat diesen bereits vollzogen. Außen vor bleiben bislang nur Belarus, Moldawien und, trotz der Beitrittsversprechungen für die ferne Zukunft, auch die Ukraine. Russland ist bestrebt, seine verbliebene Einflusssphäre zu erhalten. In den drei Ländern provoziert die Politik des Westens und Russlands eine Polarisierung, die für diese Regionen zerstörerische Folgen hat. Belarus, Moldawien und die Ukra­ine sind wegen ihrer geographischen Lage und ihrer ökonomischen Struktur grundsätzlich an der Zusammenarbeit mit beiden konkurrierenden Machtblöcken interessiert, können aber nur mit Anstrengungen dem wachsenden Druck von außen standhalten.

Die Verlockungen der westlichen Konsumgesellschaft üben eine nicht zu unterschätzende Anziehungskraft in den Ländern aus, denen der relative Wohlstand bislang verwehrt bleibt. Andererseits sorgen gute Beziehungen zu Russland dafür, dass die Wohnung warm bleibt. In der vergangenen Woche unterzeichnete Belarus ein Abkommen, das die Gasversorgung bis zum Jahr 2020 sicherstellt.