Mythen um Milosevic

Slobodan Milosevic ist tot von boris kanzleiter, belgrad

»Es gibt keinen Zweifel, dass Milosevic vom Den Haager Gericht liquidiert wurde«, erklärte ein Frontmann der Sozialistischen Partei Serbiens, Milorad Vucelic, bereits wenige Stunden nach dem Tod des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten am Samstag. Rechtsanwalt Zdenko Tomanovic präsentierte mitt­lerweile einen Brief, den Milosevic einen Tag vor seinem Ableben geschrieben haben soll. Darin heißt es: »Sie wollen mich vergiften, ich bin ernsthaft besorgt und unruhig.«

Um wen es sich bei diesem »sie« handelt, ist dabei allen Unterstützern von Milosevic selbstverständlich klar. Unter ihnen gilt, was sie ohnehin schon immer wussten: Er ist das unschuldige Opfer einer internationalen Verschwörung gegen Serbien. Ermordet wurde er angeblich, weil das Haager Tribunal keine Beweise vorlegen konnte, um ihn im seit vier Jahren währenden Mammutprozess zu verurteilen. Slobodan Milosevic ist tot – der Mythos lebt. Am Samstag wurde in Den Haag ein Märtyrer geboren.

Die Gerichtsmediziner stellten fest, dass die Todesursache Herzversagen war. Unklar bleibe jedoch, was den Infarkt verursacht hat. Toxikologische Tests stünden noch aus. Um weiterer Legendenbildung vorzubeugen, waren bei der Obduktion auch serbische Experten beteiligt. Wie das endgültige Ergebnis auch immer aussehen mag, an den Überzeugungen der Anhänger Milosevics wird es nichts ändern. Und sie können sich zumindest auf ein unbestreitbares Argument stützen. Der 65jährige Häftling klagte in den vergangenen Monaten häufig über Gesundheitsprobleme und stellte den Antrag, in Moskau von Ärzten seines Vertrauens behandelt zu werden. Dieses Begehren wurde am 23. Februar vom Gericht zurückgewiesen.

Für das Haager Tribunal ist der Tod Milosevics ein Desaster. Nach vier Jahren stand der Prozess kurz vor seinem Ende. Nun aber steht das Tribunal ohne den Hauptangeklagten da. Andererseits dürfte dessen Tod in Serbien die nationalistische Stimmung verstärken. In den nächsten Monaten steht das Referendum über die Abspaltung Montenegros und die Verhandlungen über die Abspaltung Kosovos bevor. Gleichzeitig steht Serbien unter Druck, General Ratko Mladic nach Den Haag auszuliefern, will es die Aussicht, in die EU zu kommen, nicht verlieren. Spätestens nach dem Tod Milosevics gilt das Tribunal weiten Teilen der Öffentlichkeit aber als »Guantánamo für Serben«. An eine Überstellung Mladics ist kaum mehr zu denken.

Völlig in den Hintergrund tritt unterdessen, was im Prozess gegen Milosevic tatsächlich deutlich wurde. Nach der Vernehmung von Hunderten Zeugen und der Sichtung von Tausenden Dokumenten zeichnete sich ein deutlicheres Bild vom kriegerischen Zerfall Jugoslawiens ab. Es kann dabei keine Zweifel geben, dass Milosevic wegen der Verantwortung für Kriegsverbrechen im Kosovo und der Unterstützung der aufständischen Serben in Bosnien und Kroatien verurteilt worden wäre. Andererseits ist es dem Tribunal aber nicht gelungen, glaubwürdig nachzuweisen, dass er der Mastermind eines geplanten »Genozids« in Bosnien gewesen sein soll. Auch der Vorwurf, er habe ein ethnisch gesäubertes »Groß­serbien« herstellen wollen, musste von der Anklage am 25. August 2005 fallen gelassen werden. Genauso wenig hält die These stand, er und die serbische Führung trügen die ausschließliche Verantwortung für den Zerfall Jugoslawiens.

Das alles interessierte die internationale Presse aber wenig. Kontrafaktisch bleibt Milosevic für sie der alleinverantwortliche »Totengräber Jugoslawiens«. Mythen gibt es nicht nur in Serbien.