Zwei Männer hinter dem Mond

Die Zwillinge Jaroslaw und Lech Kaczynski könnten bei den Wahlen in Polen Premierminister und Staatspräsident werden. Mit homophoben und nationalistischen Parolen werben sie um die Gunst der Wähler. von oliver hinz

Bei ihrer Geburt trennten sie nur 45 Minuten voneinander. 56 Jahre später liegen zwei Wochen zwischen den beiden Wahltagen, die sie zu den mächtigsten Männern in Polen machen könnten. Die eineiigen Zwillinge Jaroslaw und Lech Kaczynski haben gute Chancen, im Herbst zu Premierminister und Staatspräsident gewählt zu werden.

Alles begann mit dem Film »Von zweien, die den Mond stahlen«, der sie in den sechziger Jahren zu Kinderstars machte. Als Lausbuben Jacek und Placek gewannen sie mit harmlosen Streichen fast jeden Knirps für sich. Geblieben sind den Blondschöpfen von damals eigentlich nur die Grübchen in den Wangen, wenn sie lächeln. Als Lausbuben zeigen sie sich nur noch dann, wenn sich der eine für den anderen ausgibt. Darauf fielen schon mal die Sicherheitskräfte des Parlaments rein, als sie Lech hereinließen, obwohl er im Gegensatz zu Jaroslaw kein Abgeordneter im Sejm mehr ist.

Sie sind eben schwer auseinander zu halten. Am besten lassen sie sich an ihren Händen unterscheiden. Lech trägt immer seinen Ehering. Jaroslaw lebt bis heute solo bei seiner Mutter. Ihm fehlt folglich ein Ring. Das brachte ihm schon vor vielen Jahren Anfeindungen ihres einstigen Mentors Lech Walesa ein. Er forderte Jaroslaw öffentlich auf, zu einer Debatte »mit seinem Mann« zu kommen.

Die Anspielung auf die angebliche Homosexualität ist für die Kaczynskis besonders bitter und daher schon lange ein Fall für die Gerichte. Denn den Kampf gegen gleiche Rechte für Lesben und Schwule haben die Brüder zu ihrem Hauptwahlkampfthema auserkoren. Lech Kaczynski ist als Warschauer Oberbürgermeister und Präsidentschaftskandidat ein Albtraum für Schwule und Lesben. In diesem und auch schon im vergangenen Jahr verbot er ihnen jede politische Demonstration in Warschau. »Als Bürger dürfen sie protestieren, aber als Homosexuelle nicht«, erklärte er ohne Umschweife. Das Demonstrationsrecht werde »durch Sittlichkeit und Sicherheit« beschränkt.

Dabei glaubte sogar Lech Kaczynski, dass die Parade im ersten Jahr noch »ohne Obszönitäten« ablaufen würde, »aber nächstes Jahr wäre es schon wie in den USA oder manchen europäischen Ländern«. Trotz seiner kompromisslosen Politik gibt er sich tolerant: »Natürlich würde ich zwei Männern, die sich auf der Straße küssen, nicht entgegentreten.«

Die »Parade der Gleichheit« konnte Lech trotz seines Verbots jedoch nicht verhindern. Angeführt von der Vizepremierministerin Izabela Jaruga-Nowacka zogen Mitte Juni 3 000 Demonstranten durch das Stadtzentrum. Rechtsextreme warfen Eier und beschimpften die Kundgebungsteilnehmer als »Mörder, Pädophile und Abartige«. Kaczynski warf der Polizei hinterher vor, eine illegale Veranstaltung beschützt und gleichzeitig die Teilnehmer rechter Gegenkundgebungen hart attackiert zu haben. Er protestiere gegen die »Bevorzugung« der Homosexuellen. Freilich maß vor allem Lech mit zweierlei Maß. Eine Woche nach der Gay-Demonstration ließ er eine gegen Homosexualität gerichtete »Parade der Normalität« der rechtsextremen »Allpolnischen Jugend« zu. An ihr nahmen 800 Menschen teil.

Den Konflikt um die Schwulenparade nutzt der Präsidentschaftskandidat auch in einem Wahlwerbespot, der derzeit im Fernsehen läuft. Darin nähern sich zwei Männer einander mit den Lippen. Dann verschwimmt das Bild. Begleitet wird die Szene von dem Kommentar: »Statt provozierender Homosexuellenparaden wollen wir Staatshilfen für polnische Familien.«

Der Organisator der »Parade der Gleichheit«, Tomasz Baczkowski, klagt: »Seit dem Verbot der Parade gibt es eine Hassstimmung gegen uns.« In Katowice schoss Anfang Juli ein unbekannter Täter auf zwei Männer, die aus einem Schwulenlokal kamen, und verletzte sie schwer. Gut möglich, dass sich ein Verrückter von den Kampagnen der Kaczynskis gegen Schwule zu diesem Verbrechen verleiten ließ, meint Baczkowski.

Baczkowski bleibt trotzdem Optimist. Er glaubt nicht, dass die Zwillinge zum Staatspräsidenten und Premierminister aufsteigen. »In Warschau hat es Lech Kaczynski geschadet, dass er unsere Parade verboten hat.« In anderen Regionen sieht es aber anders aus. In Umfragen billigte die Mehrheit der Polen sein Verbot der schwul-lesbischen Demonstration. Dennoch fürchten viele, dass es zu Straßenkämpfen und willkürlichen Entscheidungen kommen könnte, wenn der jüngere der beiden Kaczynski-Brüder Staatspräsident würde.

Zu schaffen macht Lech, nachdem er viele Monate in Umfragen vorne lag, dass der ehemalige Außenminister und jetzige Parlamentspräsident, Wlodzimierz Cimoszewicz, vor zwei Wochen erklärte, er werde bei der Wahl für das Präsidentenamt kandidieren. Der Politiker der sozialdemokratischen SLD liegt derzeit in Umfragen vor dem Warschauer Oberbürgermeister. Die Entscheidung wird voraussichtlich nicht im ersten Wahlgang am 9. Oktober fallen, sondern erst in der Stichwahl zwei Wochen später.

Jaroslaw Kaczynskis großer Tag ist bereits am 25. September, wenn der neue Sejm gewählt werden soll. In Umfragen liegen die rechtspopulistische Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), deren Partei- und Fraktionschef Jaroslaw ist, und die konservative Bürgerplattform PO jeweils bei etwa 20 Prozent. Wer am Ende gewinnt, wird den Premierminister stellen können.

Zwar gehört die Kaczynski-Formation PiS genau wie die PO der Europäischen Volkspartei an und arbeitet nicht nur im EU-Parlament mit CDU und CSU zusammen, aber Jaroslaw schimpft im Sejm offen über die Deutschen, die sich nicht mehr als Täter, sondern nur noch als Opfer des Zweiten Weltkriegs sähen. Jaroslaw gehörte im Herbst vergangenen Jahres zu den heftigsten Befürwortern einer Sejmresolution, in der Kriegsreparationen von Deutschland gefordert wurden. »Das ist keine leere Drohung. Sollten wir an die Regierung kommen, ist die Resolution des Sejm für uns bindend«, sagte er damals dem stern. Zudem will die PiS die Fünf-Prozent-Hürde bei Wahlen auch für die deutsche Minderheit einführen, was diese aus dem Sejm verbannen würde.

Die 2001 gegründete Partei »Recht und Gerechtigkeit« folgt den Kaczynski-Zwillingen treu und ergeben. Die 10 000 Mitglieder sind nahezu handverlesen und werden unter Kontrolle gehalten. Denn am meisten fürchten Jaroslaw und Lech einen Verrat durch die eigenen Leute. Und dazu gehört auch, eine andere Meinung zu haben. Groß geworden ist die Partei mit dem Motto »Wir bestrafen die Schuldigen«. Ihr Antrag auf Einführung der Todesstrafe scheiterte im Oktober nur knapp im Parlament. Sonst gibt sie sich antikommunistisch, agiert aber mitunter auch gegen den Wirtschaftsliberalismus. Kurz: Sie ist rechtspopulistisch.

Das größte Ziel der Zwillingsbrüder ist die Umwandlung der derzeitigen Dritten Republik in eine Vierte Republik mit einer straffen Präsidialherrschaft. Dabei kommt ihnen nunmehr Lech Walesa in die Quere, für den sie vor und nach der Wende erfolgreich arbeiteten, mit dem sie sich dann aber zerstritten. »Was die Kaczynski-Brüder tun, ist reine Demagogie«, sagte Walesa vor einem Monat. »Wir müssen das stoppen.«