Zum Wohle des Klempners

Am Sonntag stimmen die französischen Wähler über die EU-Verfassung ab. Die Argumente der linken Verfassungsgegner werden ausführlich diskutiert, jüngste Umfragen deuten auf eine Ablehnung hin. von bernhard schmid, paris

Lionel Jospin ist zurück aus der Gruft. Die Werbefachleute seiner Sozialistischen Partei hatten die Idee, am Ende der Auseinandersetzung über den EU-Verfassungsvertrag mit ihm zu werben und so die mögliche Niederlage im Referndum am kommenden Sonntag zu verhindern. Anfangs schien die Idee auch bestens zu funktionieren. Nachdem Jospin im Fernsehen aufgetreten war, stiegen ab Ende April die Umfragewerte für das Vertragswerk. Doch in den jüngsten Umfragen liegen wieder die Gegner vorne.

Am Donnerstag trat er zum ersten Mal seit Jahren öffentlich auf und sprach auf einer Veranstaltung in Nantes vor 2 500 Menschen. Zu behaupten, man sei gleichermaßen für Europa und gegen die Verfassung, sei ein »intellektueller Betrug«, sagte er. Dieser Hinweis dürfte vor allem an die Gegner des Vertragswerks in der eigenen Partei adressiert gewesen sein. Denn sie betonen ständig, dass sie nicht die supranationale Union ablehnen, sondern viele der einzelnen Bestimmungen des Texts. Jospin, Staatspräsident Jacques Chirac und mit ihnen nahezu die gesamte politische Führung behaupten hingegen, dass wer Europa befürworte, auch der Verfassung zustimmnen müsse und es keine Alternativen gebe. Über konkrete Passagen des Vertrags zu diskutieren, haben seine Befürworter längst aufgegeben.

»Wir müssen aufhören, Artikel für Artikel zu debattieren, das verleiht der Debatte keinen politischen Weitblick«, meint etwa der ehemalige sozialliberale Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn. In den auf Hochglanzpapier gedruckten Faltblättern der konservativen Regierungspartei UMP oder der sozialistischen Parteiführung wird denn auch kein einziger Artikel der Verfassung erläutert oder zitiert. Dort finden sich lediglich Absichtserklärungen für ein »sozialeres«, »freieres«, »demokratischeres« oder, vor allem bei der UMP, auch »mächtigeres« Europa. Ganz anders argumentieren die linken Verfassungsgegner, also etwa die Trotzkisten, Attac oder die Minderheit der Sozialisten. Ihre Flugblätter und Erklärungen kritisieren en détail einzelne Artikel des Vertrags.

Die Befürworter haben dafür Jospin auf ihrer Seite. Er war zwischen 1997 bis 2002 Premierminister, scheiterte aber zum Ende seiner Amtszeit als Präsidentschaftskandidat. An seiner Stelle gelangten der jetzige Amtsinhaber Chirac und der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl – nicht zuletzt deshalb, weil damals ein guter Teil der linken und linksliberalen Wähler dem ersten Wahldurchgang fernblieb oder für die Kandidaten der radikalen Linken stimmte.

Die Befürworter des EU-Vertrags wurden in den vergangenen vier Wochen nicht müde, jenen Tag im April 2002 in Erinnerung zu rufen. Falls bei dem Referendum der Vertrag abgelehnt werde, drohe ein »Nachbeben« oder eine »Wiederholung des 21. April«, hieß es in vielen Medien. So falsch derartige Analogien sein mögen, sollen sie einen klaren Zweck erfüllen: Man appelliert an das schlechte Gewissen jener linken und linksliberalen Wähler, die seinerzeit nicht für Jospin gestimmt haben. Dabei steht Le Pen, der seit 33 Jahren seinen Front National wie ein Monarch führt, heute kurz vor seinem altersbedingten Abgang. Die Partei steckt in der schwersten Krise ihrer Geschichte, die Nachfolge Le Pens ist ungeklärt. In der gegenwärtigen Auseinandersetzung über die EU-Verfassung ist die Partei kaum zu vernehmen. Le Pen dient den Befürwortern vielmehr als abschreckende Gestalt, als letztes Argument für die Verfassung.

»Wer in Europa würde ernsthaft glauben, dass Le Pen oder Philippe de Villiers kurz vor der Machtergreifung stehen, wenn es zu einem ›Nein‹ kommt? Die bürgerlichen Medien in ganz Europa werden stattdessen sagen: Das ist der übliche französische Saustall. Gestern streiken sie, heute stimmen sie mit ›Nein‹, morgen demonstrieren sie wieder. Dieses ›Nein‹ ist kein rassistisches, chauvinistisches oder antitürkisches«, rief Olivier Besancenot seinen 10 000 Zuhörern am Samstag auf der Pariser Place de la République zu.

Der 30jährige Briefträger und ehemalige trotzkistische Präsidentschaftskandidat war einer der zwei Dutzend Redner, die auf dem »Fest für das Nein« zwischen Reggae-, Rock- und Rapgruppen auftraten und dabei den meisten Applaus ernteten. An gleicher Stelle sagte der sozialistische Parteilinke und Arbeitsrechtler Gérard Filoche: »Wir sind nicht gegen die polnischen Arbeiter, von denen so viel die Rede ist. Wir mögen sie so sehr, dass wir möchten, dass sie den gleichen Lohn bekommen wie wir, anstatt dass eine zerstörerische Konkurrenz unsere Löhne senkt und ihnen keinerlei Vorteile bringt.« In der Auseinandersetzung um das Referendum ist der polnische Klempner zu einer sprichwörtlichen Figur geworden, seit der frühere EU-Kommissar Frits Bolkestein sich in die französische Debatte einmischte und sich darüber beschwerte, dass die Klempner und Elektriker, die er für sein Haus in Nordfrankreich beauftragt habe, nicht billig oder nicht willig genug gewesen seien. Auf jeden Fall habe er »kein geeignetes Personal« finden können.

Die Fernsehdebatten kreisen zumeist um die Argumente der linken Vertragsgegner, ebenso die Diskussionen auf der Straße. Es geht um die Wirtschaftspolitik, um Produktionsauslagerungen und Wettbewerb. Mit der Einführung des Euro wurde allen bewusst, dass die Europäische Union längst auch ihren Alltag betrifft. Verstärkt wird diese Erfahrung durch die Arbeiter aus Osteuropa, die nun in Frankreich arbeiten dürfen. Die EU wird auch nach einer Ablehnung des Verfassungsvertrages nicht aus der Welt verschwinden. Die interessante Frage lautet daher, wie man das Zusammenleben in dieser EU gestalten kann. Die Anhänger einer Rückkehr zum souveränen Nationalstaat sind in der heutigen Diskussion weitgehend abgemeldet, anders als 1992, als sie das Referendum über den Vertrag von Maastricht weitgehend dominierten.

Um den europäischen Charakter der Debatte zu unterstreichen, beteiligen sich zahlreiche Politiker aus den Nachbarländern an der französischen Diskussion. So trat der deutsche Außenminister Joschka Fischer auf Seiten der Befürworter auf, während der italienische Kommunist Fausto Bertinotti sich für die Gegner engagierte. Am Freitag erwarten die sozialdemokratischen Vertragsgegner den Gastredner Oskar Lafontaine.

Die aussichtsreichste Bewerbung um die Auszeichnung für den peinlichsten Debattenbeitrag hat ein derzeit in Paris lebender italienischer Theoretiker eingereicht. Die Linke solle sich die Lehren des Nicolo Machiavelli zu Herzen nehmen und »das weltweite Kräfteverhältnis berücksichtigen«, weshalb Europa als positives Gegengewicht zum amerikanischen Imperium aufzubauen sei. »Das Proletariat hat ein Interesse daran, sich mit den lokalen Kapitalisten«, also den europäischen, »gegen den globalen Kapitalismus zu verbünden.« Mit diesen Worten begründete Toni Negri seine Unterstützung des Verfassungsvertrags.