Schwul seinist gefährlich

Gay Pride Parade in Belgrad abgesagt von boris kanzleiter, belgrad

Es sorgte für einiges Erstaunen, als beim European Song Contest in Istanbul auf einmal die mit dem Untergang Jugoslawiens entstandenen neuen Balkanländer sich gegenseitig mit Punkten statt Granaten bewarfen. Eine ungewohnte Szenerie: Das serbische Publikum votierte für die albanische Sängerin. Kroaten ließen den serbischen Interpreten hochleben und Mazedonien bekundete Sympathien für die elastischen Tanzakrobaten aus Bosnien.

Doch das alles interessiert Aleksandar Gajovic von der Belgrader Tageszeitung Politika nicht. Statt das nationenübergreifende Balkanschlagerfeeling zu kommentieren, warnt der Journalist vor der Gefahr, der Song Contest könne sich in eine »musikalische Gay Pride« verwandeln, die die »Männlichkeit« der Teilnehmer in Frage stelle. Im Klartext: Serbische Männer, oder Männer überhaupt, sollten nicht so weiblich über die Bühne tanzen wie in Istanbul. Das machen nur Schwuchteln.

Mit dieser Art von unverhüllter Homophobie setzen sich jetzt einige Belgrader schwul-lesbische Gruppen auseinander und drohen mit einer Strafanzeige. Und sie haben wieder Zeit für dieses unangenehme Alltagsgeschäft. Denn der Versuch, im Juli eine richtige und nicht nur musikalische Gay Pride zu organisieren (Jungle World, 15/04), ist gescheitert. Und zwar an Journalisten, Klerikern und Politikern wie Gajovic, die in Serbien das Klima der Homophobie produzieren, auf das sich der Mob der jugendlichen Rechtsextremisten stützen kann, wenn er gewalttätig jeden Versuch bekämpft, Homosexualität in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Die Parade der monatelang vorbereiteten Gay Pride ist ein ehrliches Zeichen. Angesichts der Gefahr erneuter Überfälle von Rechtsextremisten, die vor drei Jahren den ersten Versuch einer Gay Pride blutig zerschlugen, erklären die Vorbereitungsgruppen über Regierung und Polizeiführung: »Es besteht keine feste politische Entscheidung und kein fester politischer Wille, dass die Parade sicher verläuft, und wir als Vereinigung können und wollen die Verantwortung für mögliche Gewalt nicht tragen.« Andererseits beklagen die Vorbereitungsgruppen, es mangele an »überzeugender Unterstützung durch die demokratische Öffentlichkeit«. Für deren Verhalten ist gerade der Fall Politika ein Beleg. Denn die prestigereiche Zeitung ist kein billiges Pamphlet der orthodoxen Kirche oder sonstiger notorisch homophober Nationalisten, sondern wurde vor einiger Zeit von der deutschen Verlagsgruppe WAZ aufgekauft. Deren Geschäftsführer, Bodo Hombach, einst Chef des Balkan-Stabilitätspaktes, verkauft das Engagement in Südost oft als Beitrag zur »Demokratisierung«.

Wahrscheinlich ist es für die schwul-lesbischen Gruppen in Serbien tatsächlich besser, im Verborgenen zu agieren, als eine Gay Pride Parade zu organisieren, die von hunderten privaten Security-Leuten beschützt werden müsste und wahrscheinlich weder Spaß machen würde noch eine positive politische Botschaft vermitteln könnte. Zu tun gibt es auch sonst genug. Ob Kampagnen gegen Homophobie in den Medien oder der Versuch, mit anderen Gruppen auf die Gefahr des wachsenden Rechtsextremismus aufmerksam zu machen. Dieser trifft alle, die nicht gleich sind oder gleich sein wollen. Erst vor einigen Tagen kündigte ein neofaschistischer Schlägertrupp an, alle Roma aus dem Belgrader Stadtviertel Zemun zu vertreiben.