Vokü-Diplomatie

Die italienische Friedensbewegung verhandelt mit irakischen Terroristen über die Freilassung von vier Geiseln und geht auf die Forderungen der Entführer ein. von federica matteoni

Wer die irakischen »Grünen Brigaden Mohammeds« sind, die am Ostermontag vier italienische Bodyguards im Irak entführten und nach zwei Tagen einen von ihnen vor laufender Kamera erschossen, scheint niemand genau zu wissen. Eins ist jedoch sicher: Sie sind über die italienische Politik gut informiert. Und sie scheinen einen neuen Weg gefunden zu haben, diese zu beeinflussen.

Seit vergangener Woche haben sich die Kidnapper einen neuen Gesprächspartner für die Verhandlungen über die Freilassung der entführten Italiener ausgesucht: die Friedensbewegung.

Neben Regierung, Geheimdienst und Rotem Kreuz verhandelt jetzt auch eine Delegation der italienischen Pazifisten über die Freilassung der Geiseln. Sie wird von dem Chirurgen Gino Strada geführt, dem Gründer der italienischen Nichtregierungsorganisation Emergency, einem der bekanntesten italienischen Friedensaktivisten. Seit Mitte der neunziger Jahre ist seine NGO, die sich weltweit für Kriegs- und Minenopfer engagiert, mit eigenen Krankenhäusern in verschiedenen Krisengebieten anwesend, beispielsweise im Kosovo und in Afghanistan. Auch im Irak ist die Organisation seit 1995 bekannt. Am Mittwoch vergangener Woche gab Emergency in einer Presseerklärung bekannt, dass Strada sein Krankenhaus in Kabul verlassen habe, um sich im jordanischen Amman mit einer angeblichen Schlüsselfigur im Geiseldrama zu treffen: Jabbar al-Kubaysi, der Führer der nationalistischen Irakischen Patriotischen Allianz (IPA), ist in Italien für seine Kontakte zur Antiimperialistischen Koordination (AIK) bereits bekannt. Die AIK startete im vergangenen Winter die Kampagne »zehn Euro für den irakischen Widerstand« zur direkten finanziellen Unterstützung der IPA (Jungle World 52/03).

Emergency habe bislang unabhängig vom Außenministerium und von den Familien der Geiseln gehandelt, erklärte die Vorsitzende der NGO, Teresa Sarti, der italienischen Zeitung il manifesto. Al-Kubaysi habe zu dieser Organisation Kontakt aufgenommen und gesagt, die Entführer hätten kein Interesse mehr an Verhandlungen mit der italienischen Regierung, da sie ihre Besatzungstruppen aus dem Irak nicht abziehen wolle. Dasselbe gelte für das italienische Rote Kreuz, welches sich unfähig gezeigt habe, die Verhandlungen zu führen. Einen ersten Kontakt zur italienischen Friedensbewegung hatten die Entführer schon am 26. April gesucht. In einem vom arabischen Fernsehsender al-Arabiya ausgestrahlten Video kündigten die Grünen Brigaden an, die Geiseln würden erst dann freigelassen, wenn binnen fünf Tagen »alle Straßen der italienischen Hauptstadt« von Menschen durchzogen würden, die den Abzug der italienischen Truppen aus dem Irak fordern. Sollte es diese Demonstration nicht geben, würden sie die Geiseln »ohne Zögern und ohne weitere Ankündigungen töten«.

Die Kidnapper wandten sich an »das italienische Volk«, denn sie wussten, dass sie mit einer unverzüglichen Reaktion rechnen konnten und mit einer großen Medienresonanz. Sie wussten, »das italienische Volk« würde tun, was man ihm sagt. Hauptsache, es geht um den Frieden.

Die Forderungen der Grünen Brigaden waren eindeutig: »Als Zeichen unseres guten Willens versprechen wir dem italienischen Volk, die Geiseln freizulassen, wenn es uns beweist, dass es mit unserer Sache solidarisch ist und mit uns zusammenarbeiten will.« Nichts Einfacheres für das italienische Friedensvolk: Mit der schwachen Rechtfertigung, dass eine Demo so oder so stattgefunden hätte, wurde die Forderung der Erpresser erfüllt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welche Rolle der Friedensbewegung mit dieser Ernennung zum privilegierten Partner der Terroristen nun zugeschrieben wird. Nämlich die Rolle einer weiteren Geisel.

Zur Demonstration, die am 29. April in Rom mit 5000 Teilnehmern stattfand, riefen zunächst die Angehörigen der Geiseln auf, ihnen schlossen sich Gruppierungen der Friedens- und der Antiglobalisierungsbewegung und Politiker der Mitte-Links-Koalition an. Es sollte jedoch kein Protest gegen die Irak-Politik der italienischen Regierung sein, sagten die Initiatoren, sondern »ein Marsch für den Frieden in der Welt und eine Botschaft an unsere irakischen Freunde, die leiden«, wie Francesco Cupertino, der Bruder eines der im Irak entführten Bodyguards erklärte. Keine politischen Symbole also, nur bunte Regenbogenfahnen füllten die Straßen der italienischen Hauptstadt. Mit einer Ausnahme: Gemeinsam mit dem friedlichen Friedensvolk demonstrierte auch die italienische AIK, und ihre Anhänger schwenkten nicht die Pace-Fahne, sondern die irakische Flagge. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Petersplatz – den der Vatikan den Demonstranten erst öffnete, als von allen Beteiligten versichert worden war, es handele sich nicht um eine »politische«, sondern nur um eine »humanitäre« Demonstration – meldete sich der AIK-Sprecher Moreno Pasquinelli zu Wort. Er war erst seit einigen Tagen wieder auf freiem Fuß, nachdem er Anfang April mit anderen Mitgliedern der AIK festgenommen worden war. Vorgeworfen wurde ihnen, die stalinistische, als Terrorgruppe geltende türkische Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKP-C) zu unterstützen (Jungle World 17/2004). Pasquinelli verkündete nun in Rom, al-Kubaysi habe ihn angerufen um mitzuteilen, die Kidnapper hätten sich entschlossen, die Geiseln nur an Vertreter der italienischen Friedensbewegung und der AIK zu übergeben. Dass al-Kubaysi und Pasquinelli sich schon lange kennen, ist kein Geheimnis. Al-Kubaysi nimmt regelmäßig an dem Antiimperialistischen Sommercamp der AIK in Assisi teil. Und dass er eine wichtige, obgleich unklare Rolle in der Entführung spielt, wird auch von Quellen des italienischen Geheimdienstes bestätigt.

Die Friedensbewegung rechnete offenbar ernsthaft damit, dass die Grünen Brigaden wegen der Demo besänftigt sein und die Geiseln freilassen würden. Doch die erste Reaktion der Entführer nach dem Auslaufen des Ultimatums am 1. Mai war es, neue Bedingungen zu stellen. In einer zweiten, diesmal per Fax an den arabischen Fernsehsender al-Jazeera gesendeten Botschaft bewerteten die Geiselnehmer die Demonstration als »positiv«, stellten jedoch gleichzeitig eine weitere Forderung. Damit die Geiseln auf freien Fuß kommen könnten, müsse sich Italien für die Freilassung von Mitgliedern einer irakischen Gruppe einsetzen, die von Kurden im Nordirak gefangenen gehalten werden. Wieder eine Forderung an die Regierung, die sich in Schweigen hüllt.

Gleichzeitig schritten die »geheimen« Verhandlungen zwischen al-Kubaysi und der Friedensbewegung voran. Nach dem Treffen in Amman flog Gino Strada mit dem Chefredakteur der Online-Zeitschrift Peace Reporter, Maso Notarianni, nach Bagdad. Wie ein Sprecher von Emergency in Mailand mitteilte, habe al-Kubaysi für sie ein Treffen mit seinem Bruder Ibrahim organisiert. Dieser wiederum werde ihnen einen Kontakt zu Vermittlern der Geiselnehmer verschaffen.

Gino Strada will nicht von »Verhandlungen« sprechen. »Wir sind nicht hier, um Verhandlungen zu führen, sondern um darum zu bitten, dass Menschen nicht länger leiden müssen«, sagte er in einem Interview. Während die rechten italienischen Medien schweigen, sprechen die linken bereits von einer »Friedensmission«.