Dias statt Debatten

Die Aussage Richard Clarkes vor der Kommission zum 11. September lässt Bush als Versager im Kampf gegen den Terrorismus erscheinen. Das wissen die Demokraten zu nutzen. von william hiscott

Auch Bewerber um das Amt des Präsidenten der USA dürfen sich mal erholen. John Kerry, de facto Kandidat der Demokratischen Partei, hat sich eine Woche Winterurlaub gegönnt. Und während er sich entspannte, konnte er beobachten, wie George W. Bush weiter in Bedrängnis geriet.

Denn bei der öffentlichen Anhörung der regierungsunabhängigen Kommission zu den Anschlägen vom 11. September war in der vergangenen Woche von unerwarteter Seite eine vernichtende Kritik an der Politik Bushs vor und nach den terroristischen Attacken zu hören. Richard Clarke, der sich selbst als Republikaner bezeichnet und bis zum Januar 2003 Antiterrorismus-Koordinator des Weißen Hauses war, brachte seinen ehemaligen Arbeitgeber schon dadurch in Verlegenheit, dass er sich zu Beginn seiner Aussage bei den anwesenden Angehörigen der Anschlagsopfer entschuldigte. »Eure Regierung, deren Aufgabe es ist, euch zu schützen, hat versagt, und ich habe versagt«, stellte Clarke fest. »Wir haben uns bemüht, aber das ist egal, denn wir haben versagt.«

Weit unbequemer noch ist Clarkes Behauptung, dass al-Qaida von der Regierung nicht wirklich ernst genommen wurde. Bush habe sich vom ersten Tag seiner Amtszeit allein auf den Irak konzentriert und nach dem 11. September fieberhaft nach einem Grund gesucht, in den Irak einzumarschieren. Bei einem Treffen am 12. September 2001 habe der Präsident wiederholt nach einer Verbindung zwischen den Anschlägen und Saddam Hussein gefragt. Als Clarke darauf bestand, dass allein al-Qaida verantwortlich sei, habe Bush verärgert befohlen: »Schau mal in den Irak, nach Saddam!« Der Terrorismus, so Clarke, spiele für Bush weiterhin eine untergeordnete Rolle und »mit der Irak-Invasion unterminierte der Präsident der USA den Krieg gegen den Terrorismus«.

In Clarkes Schilderung erscheint Bush nicht nur als Versager, der die Bedrohung für die Bevölkerung der USA nicht rechtzeitig sah, sondern als ein Besessener, der sich in seinem Starrsinn von den Fakten nicht beeindrucken ließ. Zudem stärkt Clarkes Aussage die These, dass Bush entschlossen war, irgendeinen Vorwand für den schon fest eingeplanten Irakkrieg zu finden. Zum wichtigsten Kriegsgrund wurden dann die Massenvernichtungswaffen erhoben.

Auf dem Presseball in der vergangenen Woche, der dem Präsidenten traditionell eine Präsentation seines Humors abverlangt, führte Bush eine Diashow vor, die ihn bei der Durchsuchung des Oval Office zeigt. »Irgendwo müssen die Massenvernichtungswaffen ja sein«, witzelte der Präsident. In seinem Büro fand er sie nicht. Im Irak allerdings auch nicht, und da bereits mehr als 500 US-Soldaten dort starben, mochten nicht alle Amerikaner mit ihrem Präsidenten lachen.

»Ehrlich gesagt finde ich es empörend, dass sich der Präsident mit der Begründung, er habe außerordentlich große Dinge gegen den Terrorismus vollbracht, zur Wiederwahl stellt«, erklärte Clarke dem liberalen Fernsehsender CBS. »Er hat den Terrorismus ignoriert. Er ignorierte ihn monatelang, währenddessen hätten wir vielleicht etwas tun können, um den 11. September zu verhindern.«

Diese Vorwürfe liegen auf einer Linie mit der Kritik der Demokraten, die Bush vorwerfen, einen »miserablen Job« gemacht zu haben. Und es macht die Position der Regierung nicht glaubwürdiger, dass sie die Untersuchungskommission in ihrer Arbeit behindert. Ihr Vorsitzender, Tom Kean, ehemaliger Gouverneur des Bundesstaats New Jersey, hatte die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice anhören wollen. Stattdessen schickte die Regierung Richard Armitage, Staatssekretär im Außenministerium. Er wurde von dem Anwalt und Kommissionsmitglied Richard Ben-Veniste kühl begrüßt: »Sie sind hier, weil die Regierung Sie darum bat. Wir haben nach Dr. Rice gefragt.« Der Republikaner Kean kommentierte: »Ich denke, dass die Regierung sich dadurch, dass sie ihr untersagte, öffentlich auszusagen, ins Knie geschossen hat.«

Die Regierung holte sofort zum Gegenschlag aus. Clarke, dem ehemaligen Berater Reagans, Clintons und George W. Bushs, wird Inkompetenz, Untätigkeit und Eitelkeit vorgeworfen. Pressesprecher Scott McClellan nennt seine Vorwürfe »sehr verantwortungslos, anstößig und schlichtweg falsch«, und Rice behauptet, Clarke habe »genügend Gelegenheiten gehabt, die Regierung zu informieren«, die er jedoch nie nutzte.

Die liberalen Medien, allen voran die New York Times und die Washington Post, nutzen die Gelegenheit, die Regierung wegen ihrer Antiterrorismuspolitik, ihrer Angriffe auf Clarke und ihrer restriktiven Haltung gegenüber der Untersuchungskommission zu attackieren. Weite Teile der Presse, die wegen monatelanger Schikane seitens eines journalistenfeindlichen Weißen Hauses sichtlich gereizt ist, kritisieren Bush und seine Regierung auffällig hart. David Ignatius schreibt beispielsweise in der Washington Post: »Sie entfachen die Flammen der Parteidebatte, wenn ihnen unangenehme Fragen gestellt werden, mauern sie, statt vor den Kameras auszusagen.«

»Bush hat die Prüfung nicht bestanden«, resümiert Ignatius. »Anstatt daran zu arbeiten, das Land zusammenzuführen, hat das Bush-Team die widerlichen politischen Spaltungen verstärkt und es gestattet, dass sie die Arbeit der Kommission kontaminieren.« Deutlich härter als jemals zuvor kritisiert auch die New York Times den Präsidenten: »Das Weiße Haus ist so dünnhäutig und defensiv, dass es sich einfach nicht an dem beteiligen kann, was eine Debatte unter Erwachsenen über den besten Weg der Terrorbekämpfung sein sollte.« Bush erscheine als jemand, der »viel mehr daran interessiert ist, Clarkes Glaubwürdigkeit zu unterminieren als auf den Kern seiner Kritik zu antworten«.

Im Wahlkampf versuchte Bush, sich als »wartime president« für die ganze Nation zu präsentieren. Doch er lässt die nötige Souveränität vermissen, und es werden mehr und mehr Fakten bekannt, die seine Politik im Irakkrieg und im »Krieg gegen den Terror« als Stümperei eines beratungsresistenten Dilettanten erscheinen lassen. Das weiß die demokratische Opposition zu nutzen.

Clarke veröffentlichte kurz vor seiner Anhörung das Buch »Against all Enemies«, das sofort zum Bestseller wurde. Es ist vielleicht kein Zufall, dass es bei Free Press, einer Tochterfirma von Viacom, einem der größten Medienkonzerne der USA, erschien. Viacom, dem auch der TV- und Radiosender CBS gehört, hat sich im Wahlkampf gegen Bush positioniert. Dies und die erstmals lautstark regierungskritische Haltung der renommierten liberalen Presse verschafft den Demokraten ein Gegengewicht zu dem republikanisch kontrollierten Block der Massenmedien.

Der demokatische Wahlkampf ist in Schwung gekommen, die Partei hat sich, nachdem die Vorwahlen durch den bereits gesicherten Sieg Kerrys faktisch beendet sind, geschlossen hinter ihren Kandidaten gestellt. Nahezu alle Prominenten der Partei, die Clintons, der ehemalige Präsident Jimmy Carter, die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright, Kerrys ehemalige Gegenkandidaten John Edwards und Howard Dean sowie fast alle demokratischen Kongressmitglieder, Senatoren, Gouverneure und Parteibosse haben sich der Kampagne angeschlossen. Mit einer großen »Unity Party« verschafften sie dem im Vergleich zu Bush klammen Kerry sogar beträchtliche Finanzmittel. In zehn Tagen gingen Wahlkampfspenden in Höhe von zehn Millionen Dollar ein.

Am Wochenende trat Kerry, der immer noch wie ein Kandidat ohne Eigenschaften wirkt, erfrischt wieder zum Wahlkampf an. Und während Bush sich mit seiner Diashow blamierte, machte Kerry beim Snowboarding eine gute Figur.