Wut statt Trauer

Nach dem Mord an Pim Fortuyn richtet sich der Hass seiner Anhänger gegen die Linken und das niederländische Establishment.

Moslems Raus! 15. Mai, Tag der Befreiung« steht in großen schwarzen Buchstaben auf einer Mauer am Bahnhof Lombardijen in Rotterdam-Süd. Wenige Tage nach der Ermordung von Pim Fortuyn, dem Spitzenkandidaten der von ihm gegründeten Lijst Pim Fortuyn (LPF), und kurz vor den niederländischen Parlamentswahlen am Mittwoch dieser Woche befindet sich die bedeutendste Hafenstadt der Welt in Aufruhr.

Der Mann, der die Tat begangen haben soll, wurde zwar bereits am selben Abend verhaftet, für die Anhänger Fortuyns reicht das jedoch nicht aus. Die wahren Schuldigen seien die »etablierten Parteien und deren Politiker«, die im Zusammenspiel mit den Medien Fortuyn »dämonisiert« und damit indirekt zum Mord aufgerufen hätten.

Trauer und Hass liegen seit dem 6. Mai in den Niederlanden nahe beieinander und verbinden sich zu einer unheilversprechenden Mischung. Viele Rotterdamer kennen seit dem Tod Fortuyns kein anderes Thema mehr. In der U-Bahn, in Cafés und auf den Straßen diskutieren die Menschen über »das Ende der Unschuld unserer Demokratie«. Vor dem Rathaus stehen dichtgedrängt Menschen, um zu trauern und sich in die Kondolenzbücher einzutragen.

Die Absperrgitter vor dem Sitz der Stadtverwaltung sind mit niederländischen Fahnen und Transparenten behängt. Auf ihnen ist zu lesen: »Auch wenn Fortuyn tot ist, wir kämpfen weiter« und »Links ist Stillstand, Rechts ist Fortschritt«. Anhänger Fortuyns haben sie angebracht. Vor den Gittern stapeln sich Briefe an und Gedichte über Fortuyn sowie Protestplakate.

Eine Madeleine aus Schiedam verspricht, ihren »lieben Pim niemals zu vergessen«, ein Joris aus Alkmaar schreibt: »Sein Platz ist leer, seine Stimme verstummt, durch eines linken Schuftes Wille«. Blumen, Teddybären, Kerzen, Fanschals von Feyenoord Rotterdam und Jesusfiguren vervollständigen die provisorische Gedenkstätte. Die Trauernden und Schaulustigen verharren in Schweigen, einige wischen sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Der erste politische Mord in den Niederlanden seit 1672, als die Gebrüder de Witt von einer aufgebrachten Menge gelyncht wurden«, wie ein Geschichtsstudent aus Leiden versichert, hat die politische Stimmung in den Niederlanden weiter aufgeheizt. Der ehemalige Soziologieprofessor hatte mit seinen aggressiven Sprüchen die Polarisierung erst in Gang gebracht. »Fortuyn bediente Vorurteile, indem er auf Probleme eindrosch, ohne ernsthafte Lösungsansätze anzubieten«, schrieb Rob Hartmans in der Wochenzeitung De Groene Amsterdammer. Doch nach dem Attentat von Hilversum ist der von dem Politiker initiierte »kalte Krieg gegen den Islam« in eine Kampagne gegen die Linke umgeschlagen.

Bürgerliche Symphatisanten des Rechtspopulisten riefen am Abend nach der Tat Parolen gegen den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Ad Melkert, die Scheiben von Parteibüros der Socialistischen Partij (SP) und von GroenLinks wurden eingeworfen. In Den Haag und Leiden werden fast täglich besetzte Häuser und linksradikale Projekte von Neonazis angegriffen.

Viele Anhänger Fortuyns fühlen sich durch die ihrer Meinung nach zu vielen nicht integrierten Migranten bedroht und meinen, von den etablierten Parteien nicht gehört zu werden. Am vergangenen Freitag versammelten sich Zehntausende an der Erasmusbrücke in Rotterdam, um dem Leichenwagen mit »unserem Pim« zu folgen. Den Eindruck, »die Elite« habe Fortuyn zur Seite geschoben und so indirekt zum Mord aufgerufen, versuchen Politiker und Medien zu verhindern. Fortuyn wird posthum von den etablierten Parteien aus der rechtspopulistischen Ecke herausgelobt.

»Die Politik muss zu den Menschen gehen und gut zuhören«, erklärte Ad Melkert in seinem ersten Interview nach dem Attentat. »Die Reaktionen auf den Mord sind eine Botschaft, die wir in Den Haag verstehen müssen«, ergänzte wenig später sein sozialdemokratischer Parteikollege, der ehemalige Ministerpräsident Wim Kok. Das Vertrauen in die Politik müsse »Stein für Stein« wiedergewonnen werden. Die Vorsitzende von GroenLinks, Miriam de Rijk, sagte am Wochenende gegenüber De Groene Amsterdammer, dass Fortuyn kein Rechtsextremist gewesen sei, »nur seine Auffassung, dass Muslime nicht mehr ins Land kommen dürfen, war extrem rechts.«

Fast alle Zeitungen des Landes beschäftigen sich mit der Frage, ob sie zu einer »Dämonisierung« beigetragen haben. »Wenn die Medien in den letzten zehn Jahren auf die öffentliche Meinung gehört hätten, wären Themen in die Zeitung gekommen, die bis vor kurzem verborgen geblieben sind«, schrieb etwa Arendo Joustra, der Chefredakteur des konservativen Magazins Elsevier, und die Volkskrant verkündete: »Fortuyn gab der Demokratie wieder Leben«.

Die Fortuynsche Fangemeinde lässt sich von den späten Lobgesängen der Politiker und Medien auf ihren toten »Messias« nicht beeindrucken. Ohrenbetäubender Applaus ist in den Straßen Rotterdams zu hören und hallt zurück von den Bürotürmen am Coolsingel und an der Weena, als der weiße Leichenwagen durch das Trauerspalier fährt. Auf den Konvoi mit zehn weißen Luxuskarossen werden Blumen geworfen. In der Laurentius- und Elisabethkathedrale findet die letzte Messe für Pim Fortuyn statt. »Da kommt Kok!« schreit eine Frau und lässt dabei beinahe ihren Hund fallen, den sie auf dem Arm trägt. »Feige Sau«, knurrt ein kahlköpfiger Mann, »warum fährt er bis zur Kirche vor und steigt nicht hier aus, wie alle anderen?« Sein Nachbar sagt geringschätzig: »Durch das Hintertürchen in die Kirche. Aber sie erledigen ja alles durch die Hintertür.«

Viele Anhänger Fortuyns glauben nicht, dass ihr Idol von einem Einzeltäter umgebracht wurde. Die Schüsse seien alle tödlich gewesen, und einem Amateur könne so etwas nicht gelingen. Fortuyn ist zum Märtyrer geworden. »Er sagte, was wir dachten, aber was wir nicht sagen durften«, fasst eine Frau die Stimmung der Trauergemeinde vor der Kirche zusammen.

Nun sind vor allem die linken Parteien dazu verdammt, nichts sagen zu dürfen. Der Wahlkampf ist abgeblasen, auf ausdrücklichen Wunsch der LPF, die schon genügend Aufmerksamkeit erhält. Der konservative Christen Democratisch Appel (CDA) und die rechtsliberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) haben ihre Wahlkampagnen ebenfalls eingestellt. Sie könnten nach Meinungsumfragen vom Tod Fortuyns profitieren.

Auch die sozialdemokratische Partij van de Arbeid (PvdA), die indirekt für den Mord mitverantwortlich gemacht wird, hat sämtliche Wahlveranstaltungen abgesagt. »Die Stimmung würde sich noch mehr gegen uns richten«, hat Melkert erkannt und verzichtet gezwungenermaßen auf den Endspurt.

Vor der Laurentius- und Elisabethkathedrale gleicht die Atmosphäre hinter den Absperrzäunen der in einem Fußballstadion. »You'll never walk alone«, grölen einige Fußballfans, Minuten später singen fast alle mit. Nach eineinhalb Stunden ist die Messe vorüber, die Familie Fortuyns und die Kandidaten der LPF treten vor die nun rhythmisch klatschende Menge. »Am Mittwoch stimmen wir alle für Fortuyn« und »Wer links stimmt, ist ein Mörder«, schreit die johlende Masse. Kok und andere Politiker verlassen die Kirche unter starkem Polizeischutz durch einen Seiteneingang.

Maximal 49 Sitze kann die LPF bei den Parlamentswahlen erringen, mehr Kandidaten stehen nicht auf der Liste. Die meisten haben keinerlei politische Erfahrung. »Uns eint der Unfriede«, so formulierte es Ferry Hoogendijk, der in den Niederlanden als skandalumwobener rechtskonservativer Politiker und Journalist bekannt ist. Peter Langendam wurde zum Parteivorsitzenden ernannt, das Amt des politischen Leiters soll einen Tag nach der Wahl vergeben werden. Mehrere Kandidaten fühlen sich berufen und nutzen ihre jeweiligen Pressekontakte, um ihre Ansprüche geltend zu machen.

Der Ton zwischen den Mitgliedern der LPF wird zusehends rauer. Die unerfahrene Mannschaft Fortuyns ist ohne ihren Vorsitzenden eine schwer zu disziplinierende Gruppe. Viele Kommentatoren gehen davon aus, dass die LPF im niederländischen Parlament keine große Zukunft zu erwarten hat.

Doch wer die Wahlen gewinnen wird, scheint weniger eine Frage des politischen Programms zu sein. Der Psychologe Jaap van Ginneken hofft, dass sich die Gemüter nicht noch mehr erhitzen. Sonst könnte es sein, dass »die Stimmabgabe als eine Art Eintrag in ein Kondolenzbuch gesehen wird«.