Medienkrieg zur Winterolympiade

4 367 Tage ohne Gold

Am schönsten an der Olympiade waren die Schlagzeilen. Denn den selbstironischen nachbarschaftlichen Medienkrieg verloren die Deutschen.

Gab es bei den diesjährigen Olympischen Winterspielen von Salt Lake City eigentlich eine Demonstrationssportart? Streng genommen nicht, dabei hat sich das mediale Nachbarländer-Mobbing weltweit als neues sportliches Genre durchgesetzt. Es siegten: Norwegen/ Schweden vor USA/Kanada.

So erhielt die russische englischsprachige Tageszeitung Moscow News bereits kurz nach der offiziellen Entscheidung, im Paarlaufen eine zusätzliche Goldmedaille an das kanadische Duo zu verleihen, eine Menge empörter Leserbriefe. Absender waren durchweg US-Amerikaner, die extrem sauer waren. Nicht etwa auf die offensichtlich bestechliche französische Preisrichterin, die den Skandal ausgelöst hatte, sondern auf die Kanadier. Es sei eine Unverschämtheit und wieder einmal typisch, dass der nördliche Nachbar sich so lange beschwert habe, bis er auch eine Goldmedaille erhalten habe. Kanada habe sich den geteilten ersten Platz »buchstäblich erjammert«, kam Trost sogar aus dem Redneck-Country Texas, und überhaupt, so war man sich einig, müsse man sich doch sehr schämen, mit einem derartigen »bad loser« eine gemeinsame Grenze zu teilen.

Die Kanadier konnten solche Provokationen natürlich nicht hinnehmen und schrieben nun ihrerseits an die Moscow News. Lediglich die russischen Leser der Zeitung hielten sich zurück, sie mussten ja schließlich verfolgen, wie die Politiker ihres Landes versuchten, die ganze Welt zu Nachbarn zu erklären und sportlich niederzumobben.

Ein schöner Versuch, der jedoch nicht für einen Platz ganz oben auf dem Treppchen reichen konnte. Der gebührt den Heimatländern des Medaillen-Mobbings, Schweden und Norwegen.

Den Anfang hatten die Schweden gemacht. Mit großer Freude könne man mitteilen, dass die schwedischen Wintersportler die Spiele in Salt Lake City »monumental« beherrschen werden, schrieb vor den Spielen das Sportbladet. 13 Goldmedaillen seien zu erwarten, darunter zwei im Curling und im Alpin-Ski der Damen, eine im Eishockey. Dass Nachbar Norwegen mit elf ersten Plätzen rechne, sei lächerlich: »Ho, ho, so viel Dummdreistigkeit muss man normalerweise lange suchen.« Denn es sei völlig daneben, norwegische Goldmedaillen für die Langläufer zu prognostizieren: »Unser Per Elofsson holt sie nämlich. Alle.«

Ein paar Schlagzeilen später war das Mobbing zwischen den skandinavischen Nachbarn aber auch schon beendet. Mit der vorzeitigen schwedischen Kapitulation. Angesichts der schlechten Medaillenbilanz hatten die schwedischen Boulevardblätter dem Spott des kleinen Nachbarn einfach nichts mehr entgegenzusetzen. Sämtliche Favoriten inklusive Per Elofsson hatten versagt.

Die norwegische Tageszeitung Dagbladet bejubelte dagegen nicht nur genüsslich jede Goldmedaille für Kjetil Åmodt und Co., sondern führte auch mit großer Schadenfreude eine Winterolympiaden-Statistik der besonderen Art: »2 914 Tage ohne schwedische Goldmedaille!«

Die Konkurrenz von Verdens Gang sekundierte mit langen Kolumnen, in denen versichert wurde, dass Schweden abseits des Sports durchaus zu etwas tauge, so kämen viele Osloer Kellner aus dem Nachbarland und »einige Nobelpreise« würden dort immerhin auch verliehen.

Am vorletzten Sonntag knickten die Schweden endgültig ein. Sie hatten festgestellt, dass sie den innerskandinavischen Konkurrenzkampf selbst bei großzügigster Medaillenspiegel-Auslegung kaum noch gewinnen konnten. »Okay Norwegen, es reicht: Wir geben auf!« schrieb der Expressen, zwei norwegische Goldmedaillen »noch vor dem Mittagessen« seien einfach zu viel für die schwedische Seele.

Einen Tag später kam das Blatt dann auf der Titelseite mit einem revolutionären Vorschlag: »Lieber Harald, lass uns doch wieder eine Union bilden!« begann ein Offener Brief an den norwegischen König. Im Rahmen des Kieler Friedens war Norwegen 1814 aus dänischem Besitz in eine Union mit Schweden übergegangen. Erst 1905 hatte sich das Land losgesagt. »Ihre Majestät sollten wissen, dass wir Schweden die Union vermissen«, versicherte der Kolumnist Lars Lindström, spätestens »seit der norwegischen Goldmedaille und dem gleichzeitigen schwedischen 13. Platz in der Langlauf-Staffel«. Wenn sich »im Jahr 2005 die Auflösung der Union zwischen unseren beiden Staaten zum hundertsten Mal jährt, ist dies doch vielleicht ein guter Anlass, ein neues Band zu knüpfen«.

Die neue Entente käme dann auch noch rechtzeitig zum Beginn der Winterspiele 2006. Angst um seinen Job müsse Harald V. nicht haben, denn man könne durchaus zwei Königshäuser vertragen, die ja auch den Vorteil hätten, »dass bei olympischen Spielen praktisch bei jeder Sportart ein Vertreter der skandinavischen Royals zugegen sein kann«. Allerdings könne die enge Allianz nur unter einer Voraussetzung gebildet werden: »Wir Schweden müssen uns ums Eishockey kümmern!«

Die Reaktionen der Expressen-Leser fielen nicht besonders positiv aus, 60 Prozent wollten nach einer Umfrage lieber weiter ohne Goldmedaille und Norweger leben. Was sie auch können: Völlig unvorhersehbar verlor das schwedische Eishockeyteam im Viertelfinale gegen Weißrussland. Und brachte sich so um die heiß ersehnte Chance auf Gold. Denn dann hätte man in Schweden das tun können, was man im innerskandinavischen Medaillenwettkampf am liebsten tut: tricksen. Mit 23 Goldmedaillen, für jeden Spieler eine, hätte sich Schweden ganz oben auf der Rangliste platziert und alles wäre wenigstens ein bisschen wieder gut gewesen.

Aus, vorbei. Stattdessen fingen die Norweger wieder an zu rechnen. Wenn nicht noch ein Wunder passiere, dann käme der Nachbar bis zum Beginn der nächsten Winterspiele 2006 auf »4 367 Tage ohne Goldmedaille«.

Gegen solche Virtuosität hatten die Deutschen keine Chance. Vielleicht lag es daran, dass die Niederlande keine ausgesprochene Wintersport-nation und daher kein gleichwertiger Gegner sind, jedenfalls kam bis zum Ende der Olympiade kein ordentliches Mobbing in Gang.

Nur die Eisschnellläuferinnen Claudia Pechstein und Anni Friesinger beharkten sich nach Herzenslust, wobei die Favoritin schnell feststand. Über Friesingers Goldmedaille freuten sich selbst Menschen, für die deutsche erste Plätze normalerweise nicht unbedingt ein Grund zum Jubeln sind. Denn nur zu gut konnte man sich vorstellen, wie moralinsauer die erotischen Fotos der Bayerin von Pechsteins Zonenclan kommentiert worden waren. Zudem fielen sämtliche Versuche der nach Angaben des Spiegel bekennenden Marzahnerin, Friesingers Reputation in Frage zu stellen, derart muffig aus, dass sie wahrscheinlich nicht einmal in den fünfziger Jahren zu einem Skandal gereicht hätten. Anni hat was mit dem belgischen Schnellläufer Bart Veldkamp? Und zuvor war sie mit dem Niederländer Ids Postma zusammen? So what?

Mindestens am Stil des deutschen Mobbing muss noch gearbeitet werden.