Nicaraguanische Flüchtlinge in Costa Rica

Weg von Alemán

Die Hungersnot in Nicaragua hat die Migration nach Costa Rica verstärkt. Dessen Regierung will die Grenzkontrollen jetzt weiter verschärfen.

Nicht nur westliche Staaten begründen die stärkere Kontrolle der Migration offiziell damit, wegen der Anschläge in den USA die Bewegungsfreiheit für international operierende Terroristen einschränken zu wollen. Auch Miguel Ángel Rodriguez und Arnoldo Alemán, die Präsidenten von Costa Rica und Nicaragua, bedienten sich dieser Begründung, als sie am 19. September gemeinsam mit den anderen zentralamerikanischen Präsidenten vor die Presse traten und eine Verschärfung der Grenzkontrollen ankündigten.

Schon zuvor gehörten Abschiebungen zur staatlichen Routine. »49 804 Nicaraguaner sind von Costa Rica in diesem Jahr bisher zurückgewiesen oder deportiert worden«, verkündete Costa Ricas Ministerium für öffentliche Sicherheit am 26. September bei der Vorstellung eines Berichtes zur Migration. 3 914 Nicaraguaner wurden demnach deportiert, der Rest bereits an der Grenze oder nach weniger als 24 Stunden Aufenthalt im Land ausgewiesen. In dem Bericht geht das Ministerium davon aus, bis zum Ende dieses Jahres etwa 75 000 Nicaraguaner abgeschoben zu haben. Im letzten Jahr waren es bereits 67 000.

Manchen ist das noch nicht genug. An vielen Bussen in der Hauptstadt San José sind Graffitisprüche wie »Nicas raus!« zu sehen. Nach offiziellen Angaben leben 91 000 Nicaraguaner in San José. Sie versuchen, im Alltag nicht aufzufallen, es gibt kaum von außen erkennbare eigene Treffpunkte.

Nicaraguaner, die wegen der Hungersnot und der Verelendung in das südliche Nachbarland einzureisen versuchen, werden es nun noch schwerer haben. Leda Vargas, die im Grenzort Los Chiles für die Einwanderungsbehörde tätig ist, erklärte bereits Ende Juli: »Nicht wenige Opfer der Dürre, unter der Nicaragua leidet, wandern in unser Land aus, um Arbeit zu suchen.« In Los Chiles, Upala und San Carlos wurden die Patrouillen in der bergigen Grenzregion umgehend verstärkt. Es sind vor allem Kleinbauern und Tagelöhner, die versuchen, über die Grenze zu kommen. Ihre Ernte ist vertrocknet, und Arbeit auf den Kaffeeplantagen gibt es in diesem Jahr nicht, weil die Preise auf dem Weltmarkt niedriger sind als die Kosten für den Anbau und die Ernte des Kaffees.

Die Lebensbedingungen in Nicaragua sind seit der Abwahl der sandinistischen FSLN 1990 immer schlechter geworden, sodass für viele die Auswanderung die einzige Perspektive ist. Trotz der Wirtschaftskrise gibt es in Costa Rica ein funktionierendes staatliches Gesundheits- und Bildungssystem, die Arbeitslosigkeit liegt bei nur fünf Prozent. Hier hungern nicht Hunderttausende wie in Nicaragua, wo der konservative Präsident Alemán zudem die Hungersnot zu einer sandinistischen Propagandalüge erklärt hat.

Im August veröffentlichte das Institut für nicaraguanische Studien (IEN) eine Umfrage, der zufolge jeder dritte Nicaraguaner auswandern möchte. 49 Prozent der Auswanderungswilligen gaben Costa Rica als Ziel an. Damit liegt das Land noch vor den USA, in die 37 Prozent migrieren möchten. Rodolfo Delgado, der Präsident des IEN, erklärte dazu in Managua: »Eine nicaraguanische Lehrerin verdient 800 Córdobas im Monat. Dort, in Costa Rica, kann sie als Hausangestellte dreimal mehr verdienen, etwa 180 US-Dollar.«

Douglas Esquivel, der Vorsitzende des costa-ricanischen Unternehmerverbandes, schätzt, dass 70 Prozent der eingewanderten Nicaraguaner auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder als Hausangestellte arbeiten. Die Ablehnung, die nicaraguanischen Migranten entgegengebracht wird, sieht er »nicht als Problem«, weil sie in diesen Bereichen weiter arbeiten können - zu geringeren Löhnen, wenn sie legal im Land sind.

Carlos Sandoval, Professor an der Universität von Costa Rica, der für eine Studie nicaraguanische Migranten befragte, kritisiert dagegen, dass insbesondere die durch die Wirtschaftskrise und die Umstrukturierung beeinträchtigte Mittelschicht »die Nicas« sowohl für die zunehmende Kriminalität wie für die Krise der staatlichen Versorgungssysteme verantwortlich macht.

In der Grenzregion zu Nicaragua gilt schon als verdächtig, wer dunkle Haut hat. »Das Problem, das mir derzeit Sorgen macht, ist, dass sie Minderjährige nur wegen ihrer Hautfarbe festnehmen und für zwölf Stunden und länger in Zellen stecken, bis sie feststellen, dass es Ticos sind«, erklärte Marianela Soto vom Staatlichen Kinderinstitut im Grenzort Los Chiles. Wer Tico ist, Bürger Costa Ricas, kommt dann frei. Die Nicaraguaner werden abgeschoben.

Junge Frauen werden von den Grenzpolizisten oft sexuell belästigt. Marianela Soto versucht dagegen vorzugehen. Er schildert den Fall einer 15jährigen, die beim inoffiziellen Grenzübertritt verhaftet wurde: »Sie hat uns erzählt, dass der Polizist nackt in ihre Zelle torkelte und sie sexuell belästigt hat. Danach nahm er ihr noch ihr weniges Geld ab und ließ sie laufen.«

Die Chancen, dass der Polizist verurteilt wird, sind gering. Ein anonymer Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde sagte der Tageszeitung La Nación: »Alle Welt weiß, dass hierher viele Jugendliche kommen, um ihre Eltern zu suchen; und dass die jungen Mädchen als Prostituierte in den Bars von Los Chiles enden (...) Aber die Wahrheit ist, dass die kleinen Nicas auch keine Heiligen sind.« In den Medien Costa Ricas kommt die Sichtweise der Nicaraguaner kaum vor, sie werden nur als Problem dargestellt. Die Hausangestellte Nereyda erklärte Carlos Sandoval: »Die Abwertung unserer Art zu sprechen, uns zu kleiden, unserer Hautfarbe oder unserer Gesten schmerzt.«

In Costa Rica wird im Februar kommenden Jahres gewählt. Der christlich-soziale Präsidentschaftskandidat, Abel Pacheco, empörte sich kürzlich über eine Anzeige anonymer Gegner in La Nación. Dort sei ihm ein Zitat untergeschoben worden: »Meine Politik gegenüber den Nicaraguanern wird eine Umarmung sein, ich beabsichtige nicht, Mauern zu errichten, welche die Einwanderung verhindern.« Pacheco dementierte umgehend: »Einige führen eine Kampagne der Lüge und des Schmutzes gegen mich. Zu behaupten, ich wolle die Grenzen für Einwanderer öffnen, ist eine Lüge, ich habe nie eine solche Barbarei gesagt.«