Uneinigkeit über Militäreinsatz

Powell vs. Wolfowitz

Das politische Establishment der USA ist sich uneinig über das weitere Vorgehen im »Krieg gegen den Terror«.

Als am 11. September die Türme des World Trade Center in Schutt und Asche fielen, war die Welt überzeugt: Die Rache der USA werde so vernichtend wie unausweichlich sein. Präsident George W. Bush sprach von einem »Krieg gegen den Terror«, den er zu führen gedenke. Die Gegner der USA in diesem Krieg seien nicht nur die Terroristen, sondern auch alle Staaten und Regierungen, die Terroristen unterstützten oder ihnen Unterschlupf gewährten.

Die Zustimmung in der Bevölkerung zum »ersten Krieg des 21. Jahrhunderts« schien unter dem Eindruck der Anschläge überwältigend. Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul D. Wolfowitz sprach gar davon, »Staaten zu beenden«, die terroristische Organisationen wie Ussama bin Ladens al-Qaida auf ihrem Terrain duldeten. Der Präsident forderte die afghanischen Taliban auf, Ussama bin Laden unverzüglich auszuliefern oder »sein Schicksal zu teilen«.

Doch die politische Wirklichkeit unterscheidet sich erheblich von der verbalradikalen Kriegstreiberei aus dem Weißen Haus und dem Pentagon. US-Außenminister Colin Powell ist bemüht, eine möglichst breite »Koalition gegen den Terror« zusammenzubringen. Besonders am Herzen liegen Powell dabei die Staaten der arabischen Welt. Afghanistans Nachbar Pakistan mutierte von einer international geächteten Militärdiktatur zu einem von den USA hofierten Partner. Die saudische Monarchie konnte sich in der vergangenen Woche nach intensiven Verhandlungen dazu durchringen, den USA ihre Militärbasen für Aktionen gegen Afghanistan zur Verfügung zu stellen. Auch Ägypten und Jordanien will Powell dabei haben.

Präsident Bush und auch Colin Powell haben mehrmals betont, dass es im Krieg gegen den Terror keine Neutralität gebe. Bei der Interpretation dieses Satzes gibt es allerdings noch viele offene Fragen. Als Powell am vergangenen Sonntag von Journalisten nach der palästinensischen Autonomiebehörde gefragt wurde, antwortete er, dass sie Verbindungen zu einigen Terrororganisationen unterhalte. Seine Empfehlung für den Umgang mit der Autonomiebehörde widerspricht jedoch deutlich der angekündigten »mit uns oder gegen uns«-Politik der Regierung. Powell meinte, dass die Autonomiebehörde »die Gewalt einschränken solle«, damit Israel die Friedensgespräche wieder aufnehme - unter dem Druck der USA.

Gegen die Bündnispolitik Powells regt sich Widerstand am rechten Rand des politischen Establishments der USA. Einige Konservative meinen, dass eine zu große Koalition die Handlungsfähigkeit der USA einschränken würde. »Der Sinn einer Koalition liegt darin, einen Zweck zu erfüllen, und nicht darin, möglichst viele Mitglieder zu haben«, sagte Richard Perle, ein hoher Mitarbeiter des Pentagon unter Präsident Ronald Reagan, der Washington Post. Perle ist Mitglied des Project for the New American Century. Die Lobbyorganisation sammelt Unterschriften für eine Absetzung des irakischen Diktators Sadam Hussein im Zuge der Terrorismusbekämpfung.

Auch innerhalb der Regierung gibt es keinen Konsens darüber, mit welchen militärischen Maßnahmen man den Terrorismus wirksam bekämpfen könne, ohne dabei die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen der USA mit der islamischen Welt zu zerstören. Der einzige Punkt, über den Einigkeit besteht, ist ein Angriff auf den mutmaßlichen Mentor der Attentäter vom 11. September, Ussama bin Laden, sowie auf die Taliban-Theokratie.

»Abgesehen von Schlägen gegen Ziele in Afghanistan erwägen die Strategen der Bush-Regierung eine ganze Reihe von Aktionen«, berichtet die Washington Post. »Infrage kommen Bombardements von Fabriken zur Herstellung biologischer Kampfstoffe im Irak oder Kommandoaktionen gegen mutmaßliche Terroristen in Ländern wie Syrien oder Libanon. Pakistanische Zeitungen berichten, die US-Regierung habe gedroht, die Atomwaffen des Landes zu zerstören, wenn die Regierung in Islamabad die Taliban unterstütze.« Ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums meinte dazu: »Wir haben diese Debatte, weil der Feind so amorph ist. Es ist eine sehr interessante Debatte.«

Als Protagonisten der Debatte kristallisieren sich auf der einen Seite der Hardliner im Pentagon und stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, und auf der anderen Außenminister Colin Powell heraus. Wolfowitz beschreibt sich selbst als »konservativen Ideologen«, beharrt aber darauf, dass seine Vorliebe für worst case-Szenarien auf Fakten beruhe. Der gelernte Mathematiker und Politologieprofessor hatte bereits 1977 als untergeordneter Mitarbeiter des Pentagon in der Regierung des Demokraten James Carter ein Szenario beschrieben, in dem Saddam Hussein in Kuwait einmarschiert und Saudi-Arabien bedroht. Jetzt wirbt er für einseitige Militäraktionen der USA gegen unterschiedliche Staaten, darunter den Irak. Er gehört zu den engeren Mitarbeitern des Präsidenten, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schätzt ihn so sehr, dass er ihn als ranghöchsten US-Repräsentanten zum Nato-Treffen nach Brüssel schickte.

Wolfowitz' politischer Gegner Colin Powell ist - für einen Berufssoldaten - vergleichsweise moderat eingestellt. Seine Bemühungen um ein möglichst breites internationales Bündnis gehören zu seinen Aufgaben als Außenminister. Doch auch Powells Biografie deutet darauf hin, dass er ernsthaft an einer Schadensbegrenzung im kommenden militärischen Konflikt interessiert ist. 1990 gehörte er zunächst zu den Gegnern des Irak-Krieges, führte dann aber gemeinsam mit den Generälen Norman Schwartzkopf und Richard Cheney, dem jetztigen Vizepräsidenten, das Oberkommando. In seiner Autobiografie nennt er Wolfowitz mal »starrköpfig«, mal einen »durchgeknallten Rechten«.

Präsident Bush wird sich früher oder später entscheiden müssen, welcher Fraktion seiner Berater er folgen will. Bushs eigene Äußerungen, wenn sie auch eher vage gehalten sind, deuten darauf hin, dass er einen harten Kurs befürwortet. Andererseits lässt er sich auf Pressekonferenzen von Colin Powell aushelfen, wenn er auf eine Frage keine Antwort weiß oder ihm die Worte fehlen. Momentan versucht Bush, Zeit zu gewinnen. Er verweist auf die noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen und die für gezielte militärische Schläge notwendige Aufklärungs- und Geheimdienstarbeit. Außerdem, so Bush, würden viele Operationen gegen den Terrorismus der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Die konträren Rollen von Powell als Stimme der Mäßigung und Wolfowitz als Hardliner erlauben es Bush, sich als abwägender Staatsmann darzustellen, ohne sich die Möglichkeit zu verbauen, groß angelegte Militärschläge zu führen.

Dass sich die Öffentlichkeit in den USA, besonders nach den sehr martialischen Signalen in den vergangenen Wochen, mit dieser abwartenden Haltung auf Dauer nicht zufrieden geben wird, weiß Bush. Die zahreichen Friedensdemonstrationen am vergangenen Wochenende repräsentieren nicht die politisch relevante Mehrheit in der Bevölkerung. Der Kongress hat Bush das Mandat für Militärschläge erteilt, die Demokratische Partei hat sich durch diese Demonstration der Einheit selbst aus der Verantwortung gezogen. Dieses Mandat nicht zu nutzen, würde für Bush einen Prestigeverlust bedeuten. Die Frage ist nur, ob es ein Wolfowitz- oder ein Powell-Krieg wird.