Visapflicht für Bulgaren wird aufgehoben

Mit leeren Koffern nach Europa

Während die EU über die Ost-Erweiterung streitet, vergleicht die bulgarische Regierung das Ende der Visapflicht mit dem Fall der Mauer.

In allen Fraktionen des bulgarischen Parlaments floss Champagner, als am ersten Dezember die lang ersehnte EU-Grundsatzentscheidung bekannt wurde, Bulgarien von der Liste der visapflichtigen Länder zu streichen. Präsident Peter Stojanow sprach vom »Fall der Schengen-Grenze« und wagte sogar den Vergleich mit dem Schicksal der Berliner Mauer. Ministerpräsident Iwan Kostow bemerkte zwar, die Visafreiheit habe auch einen Preis, denn die erforderlichen Anpassungen der Grenzkontrollen an Schengen-Standards würden bestimmt Unzufriedene schaffen und das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn belasten. Es sei jedoch ein »unumkehrbarer strategischer Entscheid« gefallen, und der Preis müsse im Namen des nationalen Interesses bezahlt werden - für das Wohl des bulgarischen Volkes.

Die seit 1997 regierenden Demokraten um Iwan Kostow haben den diplomatischen Erfolg in der Visafrage auch dringend nötig, um von den wachsenden sozialen und ökonomischen Problemen im Land abzulenken. Vor einigen Wochen hatte die Legititimationskrise der Kostow-Administration ein solches Ausmaß angenommen, dass nicht einmal mehr klar war, ob sie ihr Mandat bis zu den Parlamentswahlen im nächsten Jahr erfüllen würde. Die Inflationrate liegt zwar offiziell bei 8,8 Prozent, aber Berechnungen der Gewerkschaft Podkrepa kamen auf einen Wert von 31,5 Prozent seit Anfang des Jahres. Wie der Währungsrat und die Bindung der bulgarischen Währung Lew an die deutsche Mark dieser Spannung standhalten soll, bleibt ein Geheimnis. Ein Viertel der BulgarInnen lebt von weniger als einem Dollar pro Tag - und damit nach UN-Kriterien unterhalb der Armutsgrenze.

Bereits Anfang des Jahres hatte die bulgarische Außenministerin Nadezhda Mihajlowa versichert, die Aufhebung der Visapflicht sei lediglich eine Frage von Wochen. Wie der nördliche Nachbarstaat Rumänien stand auch Bulgarien auf der so genannten Schengener schwarzen Liste. Seit Jahren stilisieren die bulgarischen Medien die Tatsache, dass bulgarische BürgerInnen ebenso wie die als rückständiger geltenden RumänInnen ein Visum für eine Reise nach Schengenland beantragen müssen, zu einer Frage des nationalen Stolzes. In den vergangenen drei Jahren bestand eines der vorrangigen Ziele der Regierung in Sofia darin, alle erforderlichen EU-Auflagen zur Befreiung von den demütigenden Einreisebestimmungen zu erfüllen.

Die Auflagen sind jedoch für die BulgarInnen nicht weniger demütigend und legen darüber hinaus die Grundlagen für ein rassistisches Grenzregime nach EU-Muster fest. Reisewillige BulgarInnen verbringen zuweilen tagelang vor den entsprechenden Behörden, um die überteuerten neuen Pässe und Personalausweise zu erhalten, die die Sicherheitsbestimmungen der EU vorschreiben. Die Grenzkontrollen wurden unter der Aufsicht eigens abgestellter SpezialistInnen des BGS verschärft, die erforderlichen Rückübernahme-Abkommen mit den westlichen und östlichen Nachbarn ratifiziert, und der EU-übliche rassistische Diskurs gegen »illegale ImmigrantInnen« wurde etabliert.

Eine neue Gesetzgebung von Brüssels Gnaden regelt Fragen der Migration und Aufenthaltsbewilligung für Menschen ohne bulgarische Staatsangehörigkeit. Zwar hapert es mangels finanzieller Mittel noch an einer effektiven Abschiebepraxis, doch in Sofia ist man zuversichtlich, Sponsoren zu finden, denen diese Frage wichtig ist.

Trotz aller Bemühungen der bulgarischen Regierung schien sich Brüssel bis vor kurzem jedoch nicht mit einem Grundsatzentscheid hinsichtlich der Visapflicht beeilen zu wollen. Noch Anfang November schrieb die Tageszeitung Trud, die Chancen für Bulgarien, innerhalb der nächsten Wochen von der schwarzen Liste gestrichen zu werden, seien minimal. Doch dann polterte der deutsche Außenminister Joseph Fischer am 20. November anlässlich eines Treffens zur Einschätzung der Fortschritte der osteuropäischen Beitrittskandidaten los. Die EU laufe Gefahr, starke antieuropäische Emotionen in Bulgarien zu wecken, wenn die Frage der Visapflicht nicht endlich geregelt werde. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder äußerte vor dem EU-Gipfel in Nizza seine Sorgen. Die Ost-Erweiterung befinde sich in einer Schlüsselphase, und Teilerfolge seien dringend nötig, wenn nicht das gesamte Projekt scheitern solle.

Über Jahre hinweg hat die EU keine ernsthaften Versuche unternommen, innerhalb ihrer Institutionen die Grundlagen für eine Erweiterung zu legen. Und dennoch: Allein die vage Aussicht auf die Teilhabe am westlichen Wohlstand sowie der Wunsch, sich endlich vom Image des zurückgebliebenen Ostblocklandes zu befreien, erschien großen Teilen der Bevölkerung lange Zeit verlockend genug, um tatenlos der Rücknahme sozialer Rechte und der weitgehenden Liberalisierung der nationalen Ökonomie zugunsten westlicher Konzerne zuzuschauen.

Inzwischen wachsen auch innerhalb der bulgarischen Bevölkerung die Vorbehalte gegen einen EU-Beitritt. Die desolate sozioökonomische Lage wird immer häufiger mit der Durchsetzung westlicher und lokaler Eliteinteressen in Verbindung gebracht. Um die Bevölkerung bei Laune zu halten, benötigte also nicht nur die bulgarische Regierung einen Erfolg. Auch die EU musste zumindest Zugeständnisse auf einem Nebenschauplatz machen.

Am 24. November rückte die entscheidende Änderung der Visabestimmungen für Bulgarien in greifbare Nähe - allerdings nicht wegen der Bemühungen von deutscher Seite, wie die markigen Sprüchen Fischers und Schröders gegenüber dem als Bündnispartner geltenden Bulgarien vermuten lassen könnten. Nach einem Telefongespräch mit Kostow verabschiedete sich der französische Ministerpräsident Lionel Jospin von seiner bisherigen Position zur Visafrage für rumänische und bulgarische BürgerInnen. Frankreich hatte traditionell Rumänien unterstützt und hinsichtlich der Einreiseregelungen eine Gleichbehandlung beider Staaten gefordert. »Es ist nicht logisch, dass Bulgarien Beitrittsverhandlungen mit der EU führt und gleichzeitig der Visumspflicht unterliegt«, erklärte nun Jospin.

Der französische Premier kam damit den von Kostow in letzter Zeit mehrfach geäußerten Forderung an die EU nach, den Verhandlungsprozess mit Bulgarien als unabhängig von Rumänien zu betrachten - schließlich solle »jedes Land nach eigenen Fortschritten beurteilt werden und nicht auf Nachzügler warten müssen«. Man muss ja sehen, wo man bleibt.