Clinton-Besuch

Winken und Schlemmen

Gefährliche Orte CVI: Nach der Bundesregierung kommen nun auch die Staatsgäste nach Berlin. Das Ärgerlichste daran ist die Hofberichterstattung.

Nicht jeden Tag hat man einen US-Präsidenten zu Gast. Entsprechend war Berlin vergangene Woche zeitweise militärisches Sperrgebiet: Polizeipräsenz, Personenkontrollen, Hubschraubereinsätze, Geheimdienstler, Sicherheitsbeamte, Räumfahrzeuge. Und Taucher, die jedes Pfützlein »nach Verdächtigem abgesucht« (Tagesspiegel) haben. Bis schließlich alles »wie evakuiert« (Tagesspiegel) aussah.

»Sicherheitsstufe eins« prahlte es unisono und wichtigkeitstrunken aus den diversen Berliner Provinzpostillen, die nach eigenem Bekunden allesamt Hauptstadtzeitungen sind. Auf's eigene Dasein als polizeilich abgeschirmte Zone ist man in Berlin stolz, weil man den Hochsicherheitsfetischismus und die totale Kontrolle bevorzugt als Beweise der eigenen Bedeutsamkeit versteht.

Und obwohl die von Staat und Polizei herbeihalluzinierten linken Widerständler und Attentäter heutzutage ungefähr so zahlreich und so gefährlich sind wie die Teletubbies, gab es keinen Gullydeckel, der vor der Ankunft des US-Präsidenten nicht dreimal umgedreht und »auf Bomben geprüft« (B.Z.) worden war, bevor er vorschriftsgemäß zugeschweißt wurde. Und kein Dach ohne Scharfschützen.

»2 500 Polizisten und 200 BGS-Beamte sind rund um die Uhr im Einsatz, darunter auch Spezialkräfte wie Scharfschützen« (B.Z.), freute sich säbelrasselnd die größte Zeitung Berlins über die weltoffene Haupstadt der friedlichsten aller Nationen. »Berlin hat viel gewonnen: die Freiheit, das Flair der Hauptstadt.« (B.Z.) Oder anders formuliert: »Strahlende Sonne, schöne Stadt« (tageszeitung).

Der mit viel Heia-Safari und Tschingderassabum aufgefahrene Staatssicherheitsapparat aber steht in keinem Verhältnis zur vollendeten Banalität des tatsächlichen Geschehens und dessen medialer Inszenierung.

Wie nämlich sieht die Realität aus? Was sind die knallharten »Fakten« (Focus)? Fassen wir zusammen: Bei seiner Ankunft am Flughafen »lächelt Clinton, winkt kurz mit der rechten Hand zur Begrüßung« (Berliner Kurier). Kurze Zeit später trifft er den Bundespräsidenten. Was passiert? Richtig: »Clinton und Rau winken fröhlich in die Kameras« (Berliner Kurier). Und: »Zwei grauhaarige Präsidenten lächeln sich an« (schon wieder: Berliner Kurier). Jede Menge »Applaus« (Bild) ertönt. Sonst geschieht nicht viel. Zum Abschied »winkt Johannes Rau Bill Clinton hinterher« (Tagesspiegel). Das war's.

Und glotzende Jubelberliner winken auch. Wo immer Clinton auftaucht, »sammeln sich die Leute, winken und rufen ihn« (B.Z.). Das tun die Deutschen schon seit jeher gern: sich sammeln, winken und rufen.

Dann geht's weiter zum Kanzler Gerhard Schröder. Dort winkt man sich zwar nicht zu, tauscht aber einen »Händedruck»(Bild) bzw. einen »Handschlag« (Bild) aus. Jedenfalls »waren beide sichtlich gut gelaunt« (Berliner Kurier). Auch später, im Bundeskanzleramt, werfen sich die zwei Staatschefs kokett und schelmisch ein »kurzes Lächeln« (Berliner Kurier) zu. Dazwischen immer wieder Händeschütteln, Dankesworte, hölzernes Herumstehen. Und immer das Grinsegesicht in die Kameras halten. So wird Weltpolitik gemacht. Logisch, dass da »Hunderte Schaulustige jubeln« (Bild).

Auf die Dauer aber »macht Winken Appetit« (Bild). Deshalb geht es schließlich abends zum Essen-Fassen in den »Szenebezirk« (Bild) Prenzlauer Berg, wo Schröder seinen neuen Duz-Kumpel zum »Bunten Abend« (Bild) einlädt. Aber »was soll der mächtigste Mann der Welt in Prenzlauer Berg - der Heimat der Linken«, wo »eben noch ein Junkie an die Hauswand pinkelte?« (B.Z.). Schröder will eben »echtes Berliner Flair bieten« (tageszeitung).

Clinton »lächelt« (Bild), »lacht, nickt freundlich« (B.Z.) und »schüttelt Hände« (Bild). Bevor sich die beiden jedoch zu Tisch begeben, kräftig tafeln und das lang ersehnte »Privat-Gespräch unter Männern« (Berliner Kurier) durchziehen können, zeigen sie sich nochmal kurz dem Volk: »Bill Clinton winkt und Gerhard Schröder freut sich« (Berliner Zeitung). Kein Wunder, dass abermals »Jubel« und »spontaner Applaus« (tageszeitung und Berliner Zeitung) ertönen. Kurz: Die Untertanen sind »hin und weg« (Bild).

Tolle Sache, so ein Staatsbesuch. »Die Stimmung ist locker und entspannt« (Bild). Und nach dem Abendessen, bei dem man ordentlich dem »Riesling für 49 Mark die Flasche« (Bild) zugesprochen hat, ist Clinton auch schon fast kein richtiger Ami mehr, sondern beinahe ein Deutscher.

Hat er nicht sogar mit seiner Bestellung - ein »Bitburger« (Bild) und eine »über den Kollwitzplatz hinaus bekannte Art Sauerkraut« (Neues Deutschland) - endgültig sein »Bekenntnis zu deutscher Deftigkeit« (tageszeitung) abgelegt? Ja, »dass es nicht Hummer und Champagner, sondern 'ne Molle und 'n Korn werden sollten, darauf kam keiner« (Neues Deutschland). Bevor der eingedeutschte amerikanische Staatschef sich aber »mit einem Lächeln verabschiedet« (B.Z.) und den Heimweg antritt, wendet er sich ein letztes Mal dem Volk zu: »Seine Botschaft an die wartende Menge: 'Good night'« (tageszeitung). »Clinton winkt, die Menge jubelt« (Bild). Alles wie gehabt. »Den Kollwitzplatz kennt jetzt die ganze Welt« (tageszeitung). Super. Der Bundeskanzler hingegen »kloppt in Kneipenmanier auf den Tisch: 'Noch 'ne schöne Feier'« (B.Z.). Dann geht's zum Verdauungsschläfchen.

Der Morgen danach: Bill muss sich erstmal mit seinem Frühstück beschäftigen: »Früchte, Müsli, Joghurt, Roggenbrot« (Bild). Dann gibt's vorerst nichts zu essen. Aber keine Sorge, für den kleinen Hunger zwischendurch ist gesorgt, indem man ein paar Leckereien bereitgelegt hat: »Apple-Pie, Apple-Quiche, Apfelkompott« (Bild). In Aachen »lächelt der Herr des Weißen Hauses« (Berliner Kurier) kurz, und schon geht's wieder zurück in die Hauptstadt.

Und beim »Vier-Gänge-Menü« (Berliner Kurier) am Abend, soviel steht fest, kann man ja wieder zuschlagen. Denn auf der Party im Schloß Charlottenburg »wird geschlemmt« (Berliner Kurier). Reichlich fließt auch der »Riesling-Sekt« (Berliner Kurier). Allein das Essen dauert rund drei Stunden« (Berliner Zeitung).

Voller Bauch debattiert nicht gern. Deshalb geht die Arbeit erst am folgenden Tag los: »Modernes Regieren im 21. Jahrhundert« heißt heuer die Reklameveranstaltung für den Neoliberalismus. Das bedeutet »drei Stunden harter Arbeit« (Schröder).

Es geht um Modernisierung, Fortschritt, New Economy, Zivilgesellschaft, Effektivität, Visionen, Innovation usw. Man kennt das ja. Aber auf die Verpackung kommt es an. Zum Schluss wieder Lachen und Händeschütteln. Beim abschließenden »gemeinsamen Mittagessen« (Tagesspiegel), bei dem man nochmal richtig zulangen kann, knallen dann wieder die Korken.

Zugegeben: Man weiß nicht alles, was zwischen Schröder und Clinton geschah. Eines aber wissen wir mit Sicherheit. Ihre Krawatten waren beide blauweiß: »Clinton kariert, Schröder gestreift« (Tagesspiegel).