EU-Reinheitsgebot für Schokolade

Touche pas à mon chocolat!

Das Ende des EU-Reinheitsgebots für Schokolade schadet vor allem den Kakao-Produzenten.

Schokolade macht glücklich. Kein Wunder, dass bei der existenziellen Frage »Wie wird sie richtig zubereitet?« die Emotionen schon mal hochkochen. Da kommt selbst in drögen EU-Kreisen Stimmung auf. Seit 27 Jahren wird in der Europäischen Union über das legale Rezept für die bittersüße Glücks-Droge diskutiert. Zuletzt legten sich Mitte März die Abgeordneten im Europa-Parlament ins Zeug. Allen voran die VertreterInnen der »Grandes Nations du chocolat«, Frankreich und Belgien.

Ob links oder rechts, wenn es gilt, die pure Schokolade zu verteidigen, gibt es kein Pardon. »Jeder muss Herr seiner eigenen Tafel Schokolade sein«, forderte etwa die Französin Nicole Thomas-Mauro der Union pour l'Europe des Nations, deren Präsident der Rechtskonservative Charles Pasqua ist. Oder aber: »Die Aufhebung der Grenzen hat verfälschte Schokolade in Umlauf gebracht«, beklagt Jean-Claude Martinez vom Front National und will in diesem Punkt gar eine Allianz zwischen Haider-Land Österreich und Portugal entdeckt haben. »Einmal mehr hat der Profit für einige wenige über die Qualität für alle gesiegt«, regt sich Yasmine Boudjenah vom Parti Communiste Français auf, »wir verteidigen die Authentizität und Qualität der echten Schokolade«.

Doch solche Stimmen waren die blumigen Ausnahmen in der nüchternen EU-Realität. Bei der Abstimmung war sich die schweigende Mehrheit des Europäischen Parlaments einig und machte endgültig Schluss mit dem Reinheitsgebot für Schokoladen: Künftig dürfen bei der Schokoladenzubereitung neben Kakao-Butter sechs weitere pflanzliche Fette eingesetzt werden - und bis zu fünf Prozent des Gesamtgewichts des Endproduktes ausmachen.

Ein Schlag in den Magen für alle Schoko-Puristen. Schon der internationale Codex alimentarius legt fest: Wo Schokolade draufsteht, darf ausschließlich Kakao und Zucker drin sein. In der EU wurde dieses Reinheitsgebot bereits 1973 unterwandert, als sich Großbritannien, Irland und Dänemark der Gemeinschaft der sechs EWG-Staaten anschlossen. Ihnen wurde nämlich per Ausnahmegenehmigung zugestanden, wie gewohnt einen Teil der Kakao-Butter durch andere pflanzliche Fette zu ersetzen. Seitdem tobt in der Union der Schokoladen-Krieg. Die Situation verschärfte sich, als Finnland, Österreich, Portugal und Schweden dasselbe Extra-Fett eingeräumt wurde. Denn damit hatte sich das Kräfteverhältnis deutlich zu Gunsten der Schoko-Pfuscher verschoben.

Harmonie muss her, meinte die Kommission und schlug 1996 eine neue, gemeinsame Direktive vor. Die darauf einsetzende Schokoladen-Krise ist ein gutes Beispiel dafür, wie offen das Ende langwieriger EU-Debatten ist. Und dafür, wieviel die Stimmen aus dem Strasbourger Europa-Parlament wirklich wert sind. Als der Ministerrat für den »Binnenmarkt« im Oktober 1999 endlich seine Position vorlegte, waren die meisten Bedenken der Abgeordneten schlichtweg ignoriert worden. Das neue Parlament scheint das jedoch wenig zu stören: In zweiter Lesung wurde lediglich einer Änderung stattgegeben. Nicht einmal der Antrag, gentechnisch manipulierte Fette zu verbieten, konnte die Gnade der Mehrheit der Abgeordneten finden.

»Offensichtlich verteidigen unsere Kollegen die Interessen der multinationalen Konzerne«, meint dazu die grüne Abgeordnete Marie-Anne Isler-Béguin. Tatsächlich haben vor allem die vier Konzerne - Nestlé, Jakobs-Suchard, Mars, Cadbury und Ferrero -, die drei Viertel des europäischen Marktes beherrschen, guten Grund zum Jubeln: Eine Tonne Kakao-Butter ist drei- bis zehnmal so teuer wie andere Fette. Hier liegt der wahre Grund für die Schlacht ums richtige Schokoladen-Rezept: Selbst bei nur fünf Prozent Kakao-Ersatz gibt es vor allem für die großen Schokoladenhersteller durchaus etwas zu gewinnen.

Zu verlieren haben andererseits die Kakao-Produzenten. »Wir erwarten einen Verlust von ungefähr 300 Millionen Dollar«, schätzt Michel Sainay, Berater der Botschaft der Elfenbeinküste, die jährlich eine Million Tonnen Kakao exportiert. Wie viele Entwicklungshilfe-NGOs fordert er eine umfassende Studie über die Folgen der neuen Direktive, bevor diese in Kraft tritt. »Es müssen Ausgleichsmaßnahmen für die Länder, die Kakao produzieren, vorgesehen werden«, so Sainay auf einer Pressekonferenz in Strasbourg.

Doch es gibt auch eine andere Seite im Süden: »Was uns betrifft, kann die Direktive schon morgen in Kraft treten«, erklärt ein Vertreter aus Burkina Faso. Dann könnte nämlich der Handel Burkinas mit »Karité-Butter« als Schokoladen-Zutat endlich so richtig losgehen. Damit die Produzenten des Südens beim Kakao-Geschäft nicht leer ausgehen, sieht die neue Richtlinie als Kakao-Ersatz nur Fette tropischen Ursprungs vor.

»Diese Einschränkung gibt dem Süden keine Garantien für die Zukunft«, erklärt jedoch der grüne Euro-Parlamentarier Paul Lannoye. Denn zugelassen ist zum Beispiel auch Palm-Öl, das viel intensiver angebaut werden kann als Kakao. Palm-Öl könnte als Basisprodukt für die industrielle, möglicherweise sogar gentechnische Herstellung von pflanzlichen Fetten dienen. Zweifellos wird der Einsatz von Ersatzfetten den Preis für Kakao drücken. »Die Multis werden die Produzenten gegeneinander auspielen«, kündigt Lannoye an.

Was geschieht jetzt mit denen, die abhängig sind vom Schokoladen-Glück? Laut Schoko-Puristen werden sie unter der neuen Direktive zu leiden haben. »Dies ist möglicherweise nur der Anfang«, sagt Marie-Anne Isler-Béguin. Wieso nicht morgen Oliven-Öl verkaufen, das ebenfalls mit Palm-Öl versetzt wurde? »Der Durchschnittsverbraucher wird den Unterschied nicht erkennen«, davon ist Paul Lannoye überzeugt. Seine Forderung, die Unreinheit der »falschen« Schokolade deutlich auf der Vorderseite der Verpackung sichtbar zu machen, fand keine Mehrheit. Nur auf der klein gedruckten Zutatenliste ist der Pfusch zu erkennen.

Ob Schokolade pur besser schmeckt, ist nicht geklärt. Selbst Fundis bezweifeln, dass man den fünf-prozentigen Zusatz herausschmecken wird. »Wir machen Schokolade wie andere Wein«, gibt jedoch Alexandre Sacerdoti, Generaldirektor der Chocolaterie Valrhona zu bedenken. Doch auch die Briten schwören auf ihre real chocolate. Und das obwohl sie seit Jahren Kakao-fremde Fette reinrühren. Wann ist Schokolade auch wirklich Schokolade? Der Streit darüber, wird mit dem neuen EU-Einheitsgesetz nicht aus der europäischen Welt sein. Nur eins steht fest: In dieser hitzigen Debatte bleiben die glücksuchenden Schoko-Fans des Nordens weitgehend unter sich. Im Süden, wo der Rohstoff für das süße Suchtmittel wächst, interessiert sich so gut wie niemand für das Geheimnis der wahren Schokoladen-Zubereitung: Denn Kakao wird fast ausschließlich für den Export produziert.