Wahlkampf in Griechenland

Regierung an der Börse

Die griechische Pasok wähnte sich schon vier weitere Jahre an der Regierung. Da kam ihr ein Kurs-Crash dazwischen.

Mit der Auflösung des griechischen Parlaments gab Staatspräsident Konstantinos Stefanopoulos am 14. März den offiziellen Startschuss zum Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 9. April. Und es hätte eigentlich so unspektakulär wie je werden können: Seit vier Monaten hatte die regierende sozialdemokratische Pasok in allen Meinungsumfragen einen Vorsprung von zwei bis drei Prozentpunkten gegenüber der konservativen Nea Demokratia (ND). Nach dem griechischen Wahlrechts - einer Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht - wäre das eigentlich eine komfortable Ausgangslage gewesen, um auch die nächsten vier Jahre alleine zu regieren.

Also hatte Simitis kurzerhand beschlossen, die Wahlen von September auf April vorzuziehen. Er hatte sich sogar eine offizielle Begründung zurechtgelegt, die nicht nur aus besseren Wahlchancen für seine Pasok bestand: Der Wahltermin sei nämlich Voraussetzung für die »gleichwertige Teilnahme des Landes an der Europäischen Währungsunion«. Die EWU-Beteiligung hänge vom Ausgang der Verhandlungen über die Beitrittsbedingungen ab, welche daher von einer »starken Regierung mit frischem Volksauftrag« geführt werden müssten.

Der Antrag zum EWU-Beitritt, den Griechenland am 9. März in Brüssel einreichte, stellte der Pasok zufolge den Höhepunkt der laufenden Legislaturperiode dar. Simitis brüstete sich, »nach den harten Anstrengungen« beginne für das griechische Volk nun ein »neuer historischer Abschnitt«. Die Epoche, »in der Griechenland als schwaches und unsicheres Land galt«, sei zu Ende.

Leider stand just zu diesem Zeitpunkt die seit Monaten turbulente Athener Börse kurz vor dem Zusammenbruch. Dabei hätten die Wirtschaftsdaten Simitis durchaus Recht gegeben. Zwei Pasok-Regierungen hatten es geschafft, dass heute alle Maastricht-Kriterien erfüllt sind. Hatte die Inflationsrate noch 1993 bei 14 Prozent gelegen, ist sie in diesem Jahr auf 2,2 Prozent gesunken. Das Haushaltsdefizit, das vor sechs Jahren noch 13 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts betrug, wurde auf 1,6 Prozent gesenkt. Das Pro-Kopf-Einkommen stieg von 62 Prozent auf 70 Prozent des EU-Durchschnitts, und das Wirtschaftswachstum von vier Prozent gehört zu den höchsten der Welt. Die Drachme ist Mitglied des EWS II und stabil.

Die beeindruckenden Wirtschaftszahlen und den Anschluss ihres Landes an Europa haben große Teile der griechischen Gesellschaft mit erhöhtem Arbeitsstress, mit dem Verlust an sozialer Sicherheit und beschnittener Freizeit bezahlt. Und die Griechen haben diesen hohen Tribut nicht immer freiwillig erbracht.

In den letzten Jahren protestierten unter anderem Bus-, Bahn- und Bankangestellte, Hafenarbeiter, die Beschäftigten von Olympic Airways und nicht zuletzt Lehrerinnen und Schüler gegen die Modernisierungspläne der Regierung. Vor allem die Lehrerinnen und Lehrer, die sich gegen ein neues Einstellungsverfahren wehrten, brachten - unterstützt von Studierenden und der anarchistischen Bewegung - im Sommer 1998 durch tagelange Straßenschlachten in allen größeren Städten die Regierung an den Rand des Sturzes.

Trotz dieser zum Teil heftigen Kämpfe erwies sich der Zeitplan der Regierung als realistisch. Ab Mitte 1999 - alle größeren Umstrukturierungsmaßnahmen waren mittlerweile abgeschlossen - ging die Regierung daran, Stimmung für die Pasok zu machen. Ein Spekulationsboom an der Athener Börse verhalf ihr zu ihrem ersten Coup. Die erhöhten Steuereinnahmen wurden zur Subventionierung einer populären Senkung der Steuern auf Heizöl, Benzin und Import-Pkw verwendet. Die zurückhaltende Politik während des Kosovo-Krieges und der Beginn der griechisch-türkischen Verständigung während der Erdbeben-Katastrophen im Spätsommer 1999 sorgten für weitere Zustimmung in der Bevölkerung.

Unterdessen wurde die Regierung nicht müde zu betonen, nach der erwarteten positiven Entscheidung zum EU-Beitritt im Juni 2000 werde das ganze Volk die Früchte der harten Arbeit der letzten Jahre ernten. Am Tag des EWU-Beitrittsantrages hatte die euphorische Stimmung der Pasok-Elite soeben ihren Höhepunkt erreicht, als völlig überraschend der Börsenindex in den Keller fiel.

In den folgenden Tagen stand der Markt zeitweise kurz vor dem völligen Zusammenbruch. Erst am 14. und 15. März konnte eine konzertierte Aktion staatlicher und privater Anleger diese Gefahr abwenden. Simitis sah sich gezwungen, in einem Live-Interview aus der Börse die Anleger zur Besonnenheit aufzurufen.

Zu diesem Zeitpunkt war der Index jedoch schon zum Haupt-Wahlkampfthema avanciert. Der ND-Vorsitzende Kostas Karamanlis sprach von »schweren politischen Fehlern«, welche »die Ersparnisse der Bürger« gefährdeten. Die Pasok ihrerseits beschuldigte die ND, erzürnte Kleinanleger und Kleinanlegerinnen nach Athen gekarrt zu haben, um die Stimmung anzuheizen.

Tatsächlich hatten Hunderttausende von Kleinaktionären in der Hoffnung auf satte Gewinne ihr Geld angelegt, und viele von ihnen legten nun die Telefone der Regierung mit Protestanrufen lahm. Hunderte von ihnen belagerten über Tage das Börsengebäude und drohten es zu stürmen. Tagelang musste die Börse von Sondereinheiten der Polizei gegen die aufgebrachte Menge geschützt werden.

In jüngsten Befragungen bezeichnen 62 Prozent der Griechinnen und Griechen die Lage an der Börse als wichtiges Kriterium für ihr Wahlverhalten. Erstmals liegt in Umfragen die ND gleichauf mit der Pasok bei etwa 34 Prozent. Die kleineren linken Oppositionsparteien sind beim Schlagabtausch um die Börse nicht präsent und verlieren, je näher der Wahltermin rückt, beständig an Zustimmung . Im Moment bewegen sich Linksallianz und Dikki bei knapp vier Prozent, die kommunistische KKE bei 5 Prozent.

Vielleicht könnte ja ein wenig öffentliche Börsenspekulation der parlamentarischen Linken über die Drei-Prozent-Hürde helfen. Das würde das Wahlvolk auf jeden Fall mehr interessieren als EU-kritische oder -ablehnende Wahlkampfreden. Die Forderung der KKE nach einer Volksabstimmung über den EWU-Beitritt wird nicht einmal mehr von den eigenen Anhängern ernst genommen: Zum einen besteht ohnehin keine Chance, dass diese Abstimmung jemals stattfindet, zum anderen wäre genau das das Schlimmste, was der KKE geschehen könnte bei der konstant EU-freundlichen Stimmung.