España va bien

Die konservative Volkspartei ist vor allem wegen ihrer erfolgreichen Wirtschaftspolitik populär - obwohl sie selbst wenig dazu beigetragen hat.

Der blasse Mann im grauen Anzug und blauer Hermès-Krawatte liest hinter seinem Rednerpult schnell seinen Text herunter, ohne dabei sonderlich die Stimme zu modulieren. Beim Reden bewegt der ehemalige Finanzinspektor nur seinen Unterkiefer, das restliche Gesicht bleibt steif. So langweilig ist José Marìa Aznar fast immer. Und doch stehen die Chancen für den Chef der konservativen Volkspartei (PP) gut, wieder zum spanischen Ministerpräsidenten gewählt zu werden.

Am nächsten Sonntag dürften gerade die jungen Wähler der Volkspartei den Sieg bringen. Trotz seiner Image-Probleme scheint Aznar die richtige Strategie für sein Land gefunden zu haben: Er macht Politik ohne jede Vision und hat Erfolg damit. Dem amtierenden Regierungschef kommen dabei vor allem die wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen Legislatur-Periode zugute, während es bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1996 noch eher der Wunsch der Spanier nach einem Wechsel war - nach 13 Jahren mit Felipe González und seiner in ständigen Korruptionsskandalen verwickelten sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) war jede Änderung willkommen. Ähnlich wie Gerhard Schröder in Deutschland profitierte Aznar von dem Verdruss der Wähler an seinem Vorgänger.

Auch wenn Aznar nicht über die Ausstrahlung des charismatischen Sevillaners González verfügt, so steht doch der konservative PP-Politiker für den wirtschaftlichen Aufschwung Spaniens. In Deutschland, Frankreich oder Holland staunt man über das »spanische Wunder»: Die Wirtschaft des Landes wächst schneller als der EU-Durchschnitt, die Pesete ist stabil. Die Staatsfinanzen sind konsolidiert, die Inflationsrate befindet sich mit 2,9 Prozent auf den tiefsten Stand seit langem. Gerne streicht Aznar sein Erfolge heraus. Nach seinem Amtsantritt 1996 bezeichnete er die Teilnahme am Euro als eine »Frage der Ehre« und trimmte Spanien auf Euro-Kurs.

Selbst die chronische Arbeitslosigkeit scheint langsam zurückzugehen. Die Regierung konnte in den letzten Jahren fast zwei Millionen neue Jobs schaffen und somit die Arbeitslosigkeit um neun Prozent reduzieren. Vor allem die jungen Berufseinsteiger, die oft nur auf Zeitverträge hoffen können, unterstützen Aznars Politik. Umfragen belegen, dass die Spanier zufrieden mit der konservativen Regierung von Aznar sind.

Der Satz des spießigen Ministerpräsidenten: »España va bien« - Spanien läuft gut - ist in aller Munde. Doch die meisten übersehen, dass die Grundlagen für die heutige Situation bereits vor dem Amtsantritt der konservativen Regierung gelegt worden sind. Aznar kam zur rechten Zeit an die Macht und profitierte von den neoliberalen Reformen, die bereits der sozialistische Wirtschaftsminister Pedro Solbes durchgesetzt hatte.

Den Preis für das »spanische Wunder« mussten hingegen andere bezahlen. Mit der Deregulierung des Arbeitsmarkes, Privatisierungen von Staatsbetrieben und einer unpopulären Spar- und Haushaltspolitik machten sich die Sozialisten weder bei Gewerkschaften noch bei den Wählern beliebt. Die PP setzte anschließend diese Politik nur konsequent fort - und verdrängte die negativen Folgen.

Denn auch wenn die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren deutlich reduziert wurde, so liegt sie immer noch auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau. Zudem basieren über 70 Prozent der von der Aznar-Regierung geschaffenen Arbeitsplätze auf Zeitverträgen, was bedeutet, dass bald 1,4 Millionen Spanier wieder ohne Arbeit sind. Am meisten praktiziert wird dieses System der Zeitverträge dabei ironischerweise von der Regierung selbst. Während 1996 in der öffentlichen Verwaltung nur 14 Prozent der Beschäftigten einen Zeitvertrag hatten, sind es unter Aznar mittlerweile 19 Prozent.

Auch bei den Einkommen kann von einem »Wunder« keine Rede sein. »Von Aznars Wirtschaftspolitik profitiert nur eine kleine Minderheit in der Finanzwelt und wenig Großkonzerne. Während die Löhne seit 1996 gerade mal einen halben Prozentpunkt gewachsen sind, haben sich die Gewinne der Firmen versechsfacht«, erklärt Antonio Ferrer, stellvertretender Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes UGT. Besonders drastisch zeigt sich diese Entwickung bei den unteren Einkommensschichten. Obwohl die Mindestlöhne nach dem europäischen Sozialvertrag wenigstens 60 Prozent des Durchschnittslohns betragen sollen, liegen sie in Spanien bei grade mal 36 Prozent.

Doch wenn es schon kein »konservatives« Wunder gibt, stellt sich doch die Frage, ob es überhaupt eines gibt. Denn bei näherem Betrachten wird deutlich, dass die Wachstumsdaten in Spanien nur höher sind als bei anderen EU-Staaten, weil es auf einer sehr viel niedrigeren Ausgangsbasis gestartet ist. Ähnlich sieht es bei der Inflationsrate aus, die seit 1982 kontinuierlich und im Zuge der europaweiten Konjunkturverbesserung aus astronomischen Höhen auf einen europäischen Normalstand fällt. »Das so genannte spanische Wirtschaftswunder«, so die Meinung von Ferrer, war »nicht Folge einer besonderen Politik, sondern entstand aus der absoluten Katastrophe, wo es nur aufwärts gehen konnte«.

Aznar brauchte in der derzeitigen konjunkturellen Lage daher nicht mehr zu tun, als keine größeren Fehler zu begehen. Auch wenn Aznar in den Wahlprognosen die Nase vorn hat, wird es vermutlich zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen zwischen ihm und seinem sozialistischen Gegner Joaqu'n Almunia, dessen Partei mit der postkommunistischen Vereinigten Linken (UI) ein Wahlbündnis eingegangen ist. Die letzten Europa- und Kommunalwahlen im Sommer haben gezeigt, dass die konservative Volkspartei trotz der angeblichen Erfolge nicht mit einer absoluten Mehrheit rechnen kann. Das ahnt auch Aznar, der nun eine Verlängerung des Toleranzpaktes mit den Katalanen vorbereitet. Die Kanarische Koalition (CC) hat sich bereits auf die alte Allianz mit José Marìa Aznar festgelegt.

Mit ihrem straffen wirtschaftsliberalen Kurs hat sich die PP - ehemaliges Sammelbecken der Franco-Anhänger - unter Aznar in der rechten Mitte etabliert, obwohl die engen Verflechtungen vieler Regierungsmitglieder mit dem rechtskonservativen kirchlichen Opus Dei nicht zu übersehen sind. Dennoch hat die konservative Regierung mit ihrer Fortführung der sozialistischen Politik sogar liberale Akzente gesetzt. In Fragen der Außenpolitik, der europäischen Integration und bei der Bekämpfung der Eta gibt es zwischen den großen Volksparteien ohnehin keine große Meinungsverschiedenheiten.