Keine Leistung für Nichts

New Labour verschärft die Sozialgesetze für Behinderte, Jugendliche und Immigranten.

Dies ist kein Pingpong-Spiel. Es ist eine einfache Frage der Ehre und davon, das zu tun, was richtig ist", rief Baroness Strange während der Debatte im britischen Oberhaus. Die adlige Empörung richtete sich gegen die Welfare Reform Bill - kaum ein Projekt der Labour-Regierung war in den vergangenen Jahren im Oberhaus so umstritten wie die Forderung von Sozialminister Alistair Darling, die staatlichen Zahlungen für Behinderte radikal zu kürzen. Aber auch der langjährige New Labour-Minister für Behinderte, Lord Ashley, wusste, was er von dem Gesetzesvorhaben zu halten hatte: "Die armen Behinderten für die ganz armen Behinderten bezahlen zu lassen, ist schlicht nicht akzeptabel." Dabei sind die Reformen nur konsequente Schritte auf New Labours Drittem Weg. Denn nach den Behinderten sind jetzt Asylbewerber und Kleinkriminelle im Visier.

Der britische Regierungschef und Labour-Vorsitzende Tony Blair hatte bereits im Februar angekündigt, dass die neue Sozialgesetzgebung "viel härter wird, als die Leute denken". Mit "Rambo-Methoden" (Guardian) versuchte er, die Gesetze durchzusetzen und die Labour-Fraktion zu disziplinieren. So wurde die Meinung von Verbänden und Betroffenen schlicht ignoriert, als das Gesetz zur Beratung ins Parlament gelangte.

Allerdings wirkt der Labour-Vorsitzende weit weniger einnehmend auf seine Partei, als er erwartet hatte. Von Februar bis November pendelte das Gesetz in einer Art Pingpong-Verfahren zwischen Ober- und Unterhaus. Erst die Drohung, bei der ebenfalls anstehenden Oberhausreform den Erbadel gänzlich seiner Plätze in der Kammer zu berauben, brachte die Lords zur Räson. Vergangene Woche stimmten sie der Welfare Reform Bill zu.

Nach dem neuen Gesetz wird jedem Behinderten, der mehr als 85 Pfund (rund 130 Euro) wöchentlich - ein Betrag, der unter der Armutsgrenze liegt - aus anderen Einkommensquellen bezieht, die Unterstützung gestrichen. Und wer in den letzten drei Jahren keiner festen Beschäftigung nachging, erhält ebenfalls keine Hilfe mehr. Schließlich soll nach Meinung von New Labour die Behinderten-Unterstützung keine Langzeitarbeitslosen finanzieren.

Während diese Bestimmungen sehr umstritten waren, wurden andere Teile derselben Konzeption ohne lange Diskussionen akzeptiert. Denn während Behinderte wenigstens noch über eine relativ große gesellschaftliche Lobby verfügen, stoßen die Verschärfungen bei den Sozialhilfe-Empfängern und Langzeitarbeitslosen kaum auf Proteste oder werden sogar positiv kommentiert.

So enthält die Welfare Reform Bill Paragraphen, die die Bestimmungen der Workfare weiter verschärfen und den staatlichen Stellen die Möglichkeit zu weiterreichenden Kontrollen geben. Beispielsweise müssen Langzeitarbeitslose und alleinerziehende Mütter regelmäßig zu so genannten Job-Interviews auf den Ämtern erscheinen, um ihre Bemühungen bei der Arbeitssuche zu belegen. Blairs Bemerkung, "die Einstellung 'Leistungen für Nichts'" beenden zu wollen, zeigt, gegen wen es geht. Auch in Großbritannien ist der "Sozialschmarotzer" ein beliebtes Feindbild.

Weitgehend unbeachtet blieb ebenso die Verabschiedung des Immigration and Asylum Bill. Demnach sollen Asylbewerber künftig keine Geldzahlungen mehr bekommen, sondern nur noch staatliche Gutscheine. Ein Plan, den Labour in der Opposition noch rigoros attackiert hatte, wird weiter getrieben, als dies die Konservativen je vorhatten.

New Labours Sozialpläne sind damit noch lange nicht zu Ende. Bei ihrer traditionellen Ansprache von vergangener Woche kündigte die Queen weitere Reformen an. Diesmal sollen jugendlichen Kleinkriminellen die Unterstützung gekürzt oder gestrichen werden. Betroffen sind Jugendliche, die zur Teilnahme an sozialen Diensten verurteilt wurden und dort nicht auftauchen. Bisher konnten ihnen bei solchem Verhalten schon Bußgelder auferlegt werden, oder die Sozialdienst-Strafen wurden verschärft.

Wo das Sozialrecht zu einem Teil des Strafrechts wird, läuft der Vorgang auch umgekehrt. Die Gefängnisse sind voll wie nie. Aber die Welfare-Reform zeigt auch andere Folgen. Jeder siebte Rentner lebt vom Mindesteinkommen, jedes dritte Kind lebt nahe oder unter der Armutsgrenze. Ein Wert, der nirgendwo in Westeuropa höher ist.

New Labour profiliert sich allerdings nicht nur als radikale Vollstreckerin der Kahlschlag-Politik ihrer konservativen Vorgänger-Regierung. Tatsächlich zeigen die Blair-Reformen in einigen Bereichen auch positive Folgen: Für Rentner wurde das Mindesteinkommen erst eingeführt, ebenso bekommen alte Leute eine Winterbeihilfe. Kinderreiche Familien erhalten künftig mehr staatliche Zuwendungen.

Diese Verbesserungen werden zwar von Labour gerne herausgestellt, sind aber bei weitem nicht so eindrucksvoll, wie sie verkauft werden. Zum einen helfen sie zahlenmäßig nur den absolut Armen, und diese werden durch die staatliche Unterstützung lediglich in die Nähe der Armutsgrenze gehoben. Auch hier gilt das Prinzip, "die Armen bezahlen für die ganz Armen". Schließlich versucht New Labour, das Geld für die kärgliche Existenzsicherung durch Kürzungen im übrigen Sozialetat wieder einzusammeln.

Zum anderen basieren die neue Sozialgesetze auf einem Konzept New Labours, das sich am besten mit "effizienter Kernbevölkerung" umschreiben lässt. Unterstützung sollen vor allem diejenigen erhalten, die grundsätzlich in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert sind oder waren, denen aber der Markt kaum noch das Überleben sichert.

Wer jedoch nicht zu dieser "Kernbevölkerung" gehört, wird ignoriert und erhält immer weniger Unterstützung. Oder, wie es Tony Blair mit doppeldeutigem Sinn formulierte: Sozialgesetze sind für Leute, "die es wirklich brauchen".