Passt partout nicht!

Die Bilder vom Vernichtungskrieg stören das deutsche Selbstbewusstsein. Die Suspendierung der Wehrmachtsausstellung ist ein Sieg der Staatsräson. Wie die Berliner Republik schon Geschichte macht.

Die vom Hamburger Institut für Sozialforschung präsentierte Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht von 1941 bis 1944" war seit ihrem Start vor viereinhalb Jahren mit entschlossenem Widerstand konfrontiert. Tätlich artikuliert wurde die Ablehnung durch Neonazis und Bombenleger, die national gesinnte intellektuelle Kritik war von Beginn an exemplarisch in der FAZ versammelt.

Dort schrieb bereits im Februar 1996 in einem umfangreichen Aufsatz Günther Gillessen all jene Bedenken nieder, die - teils geringfügig variiert - in der Folgezeit die Ausstellung begleiteten. Zum einen ging es um Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität: "Wissenschaftlichkeit verlangt Genauigkeit im Einzelnen und im Ganzen. Historische Darstellung erfordert Unterscheidungen, Abgrenzungen, Zuordnung und Zusammenhänge des Befunds. Auf Fragen, wie das Verhältnis zwischen Wehrmacht und Gesamtapparat des NS-Staates beschaffen war, wie es sich veränderte, welche Rolle das Heer darin spielte, oder auf eine Erörterung der Dilemmata des Partisanenkrieges geht die Ausstellung gar nicht ein. (...) Heers Ausstellung hat wenig mit Wissenschaft zu tun und viel mit pamphletischer Collage." Es handele sich um "die wohlbekannte Technik der 'Aufarbeitung der Geschichte' in der Form von Tribunalen, in denen das Urteil schon vor Beginn feststeht und Einzelheiten nur stören könnten."

Der zweite immer wieder vorgebrachte Einwand gegen die Ausstellung war einer, der - unter Gesichtspunkten der Logik - den ersten in Frage stellt. Er lautet: Die Ausstellung hat keinen Neuigkeitswert, die angesprochenen Tatbestände sind längst bekannt. Dass auch linksliberale Befürworter der Ausstellung zur Beschwichtigung der Kritik unablässig anführten, die Präsentation mache doch lediglich Bekanntes auf eine neue Art zugänglich, suggeriert Konsens, wo ein fundamentaler Unterschied besteht: Während die konservative Kritik durchweg von "Verstrickungen" bzw. "Verwicklungen" sprach und damit klarstellen wollte, Teile der Wehrmacht hätten sich gelegentlich in ein ohne ihr Zutun ablaufendes Geschehen eingeschaltet, wollte die Ausstellung im Gegensatz dazu dokumentieren, dass die Wehrmacht einerseits die institutionelle Garantie für die Vernichtung in den besetzten Gebieten Osteuropas war und in dieser Funktion sehr regelmäßig Mordaktionen in Eigenregie durchführte bzw. Personal für die Sicherung oder Durchführung solcher Aktionen abstellte.

Die Einwände gegen die Ausstellung schwächten das Interesse des Publikums keineswegs ab; bis zum Sommer 1999 waren die Exponate in 33 Städten zu sehen, fast 900 000 Besucher wurden gezählt; FAZ-Feuilletonist Gillessen interpretierte die Resonanz auf die Ausstellung als "Zeugnisse eines vagabundierenden Schuldempfindens" der Deutschen; im Frühjahr 1997 gab es in der Frankfurter Redaktion Anzeichen von Resignation. Friedrich Karl Fromme schrieb: "Die alten Soldaten wollen eine ihrer Lebensphasen in erträglichem Licht sehen dürfen. Wenn sie sich gegen Übertreibungen und Verzeichnungen verwahren, wird das als Anerkenntnis von Schuld gewertet - Ausweglosigkeit." Eckhard Fuhr schrieb am 8. April 1997: "Die größte Stärke der Wehrmachtsausstellung ist die Schwäche ihrer Kritiker." Ein wichtiger Satz: Im Begreifen der eigenen Machtlosigkeit beschreibt er die Auseinandersetzung als Konstellation von strategischer Qualität, und er nimmt vorweg, wie die Schlachtordnung erfolgversprechend zu ändern sei.

In der Tat: Mit den Argumenten eines begrenzten Neuigkeitswertes und einer mangelnden Berücksichtigung der etablierten geschichtswissenschaftlichen (Präsentations-) Standards war die Ausstellung deshalb nicht ernsthaft in Bedrängnis zu bringen, weil ihre Initiatoren an diesen Maßstäben vorbei arbeiteten und dies auch zur Kenntnis gaben. Als FAZ-Redakteur Ulrich Raulff in einem Interview am 9. April 1997 mit Jan Philipp Reemtsma der Ausstellung "Emotionalisierung", "demagogische Aufbereitung von Quellenmaterial", "polemische Absicht" und einen "terroristischen Beigeschmack" vorwarf, antwortete dieser: "Ich denke, daß diese Bilder mit dazu beitragen, die Emotionen, ohne die es kein klares Denken geben kann über das, was damals geschehen ist, zu erschließen. (...) Was ist polemisch daran, wenn wir Verbrechen dokumentieren, die während des Vormarsches der 6. Armee nachweislich begangen worden sind. (...) Zunächst einmal gilt es, so verstehe ich Aufklärung, die Welt zur Kenntnis zu nehmen, wie sie ist, ihre angenehmen und ihre unangenehmen Seiten."

Reemtsmas Methode, in der Dokumentation und Emotion zur (Selbst-) Aufklärung verschmelzen, ist einem Prinzip öffentlicher Kommunikation verhaftet, dem die Geschichtswissenschaft nichts anhaben kann. Die amerikanischen Besatzungstruppen nutzten es, als sie nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands dessen Bürger zwangen, Konzentrationslager aufzusuchen, westdeutsche Lehrpläne nutzten es, in dem sie die Vorführung von Filmen über die Verbrechen des Dritten Reiches empfahlen. Diese Maßnahmen hatten oppositionellen Charakter insofern, als sie die herrschende gesellschaftliche Bewusstlosigkeit attackieren wollten.

In den Jahren nach 1968 wurde dieses Prinzip einer sinnlich vermittelten Konfrontation mit historischen Fakten fortentwickelt und nicht selten auch pädagogisch akzentuiert. Unter dem Label der Dissidenz wurde im Studentenprotest und später in den "neuen sozialen Bewegungen" unter dem Stichwort der "Gegenöffentlichkeit" eine Form der Aufklärung etabliert, die sich, soweit sie historisch orientiert war, etwa in lokalen / regionalen Geschichtswerkstätten oder antifaschistischen Stadtführungen niederschlug und dabei die Grenzen zwischen Sozial-, Kultur- und Geschichtswissenschaft überschritt.

An diese Formen der Kommunikation knüpft die Wehrmachtsausstellung an. Reemtsma als Instituts-Chef und Hannes Heer als Ausstellungsleiter haben mehrfach in wechselndem Wortlaut betont, mit der Präsentation wolle man der Legende von der sauberen Wehrmacht entgegentreten. Die Einlösung dieser Zwecksetzung machte die Ausstellung zu einem Projekt oppositioneller Aufklärung gegen Rechts - und es war exakt diese Zwecksetzung, die die Ausstellungsgegner in Wallung brachte. Während FAZ-Leitartikler über die "mit volkspädagogischem Furor vorgetragenen Behauptungen und Absichten der Ausstellungsmacher" klagten, brachte der Historiker Rolf-Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam die Sache in einem Spiegel-Interview am 7. Juni 1999 auf den Punkt: "Und wir Historiker unterscheiden uns im Umgang mit der Geschichte von Populisten, die Botschaften verbreiten wollen."

Das heißt: Mit der deutschen Geschichtswissenschaft ist noch immer nicht zu spaßen. In ihr und teils auch in ihren fortschrittlichen Abteilungen wirkt der Geist eines Historimus (nach), dessen erkenntnistheoretischen Horizont der Historiker Georg G. Iggers so zusammengefasst hat: "Die Einmaligkeit geschichtlicher Größen schränkt die Anwendung rationaler Methoden in der Erforschung gesellschaftlicher und kultureller Phänomene ein. Spontaneität und Dynamik des Lebens lassen sich nicht auf einen Grundnenner bringen. (...) Die Geschichte als der Spielraum menschlicher Willensentscheidungen erfordere 'Verstehen', das aber nur möglich wird, wenn wir uns in das einmalige Wesen des jeweiligen historischen Gegenstandes hineinversetzen." Passend zur deutschen Verbrechensgeschichte ist diesem antinormativ ausgerichteten "Verstehen" das historische Urteil so fremd wie eine machtkritische Analytik, und deshalb würde sich der hiesige Historismus jene Fragen, die die Wehrmachtsausstellung beantwortet, noch nicht einmal stellen.

Folgerichtig war die Ausstellung erledigt, als sich ihre Initiatoren auf die Faktenhuberei der Fachhistoriker einließen. Dies ist kein Einwand gegen die - im Verlauf der vergangenen Monate immer wieder vorgenommenen - Korrekturen erwiesener Fehler, sondern dagegen, das ganze Unternehmen einer Zunft zu überantworten, die nie Zweifel an ihrer staatspolitischen Zuverlässigkeit aufkommen ließ.

Dabei hat die Suspendierung der Ausstellung zwei Ursachen: Einerseits hatte Reemtsma sein Institut mit der stark totalitarismustheoretisch orientierten Untersuchung der menschlichen Gewalt und Destruktivität im 20. Jahrhundert dem geschichtswissenschaftlichen Mainstream geöffnet; zugleich knickten angesichts der Fehlerfunde und des darauf folgenden Drucks von Rechts seine in den linksliberalen Feuilletons beheimateten Unterstützer ein.

Die Folgen der Suspendierung sind bereits absehbar. Die FAZ lobt Welt-Kommentator Thomas Schmid für die Erkenntnis, die Ausstellung müsse künftig die Tatsache behandeln, "dass zwei große Verbrechen - der Nationalsozialismus und der Stalinismus - ineinander verschränkt gewesen seien." In der taz richtet Christian Semler an Reemtsma die Frage, ob die Wehrmachtsverbrechen an der Ostfront nicht künftig "im engem Zusammenhang mit den Verbrechen des stalinistischen Systems analysiert werden" müssen. Die gleiche Frage stellt die Woche dem Potsdamer Historiker Müller, und der antwortet: "Ja, hier müssen die Wechselwirkungen dargestellt werden." In einem Leserbrief an die FAZ resümiert Professor Klaus Hornung: "Die Ausstellung zeigt, dass über Vergleich und Vergleichbarkeit der beiden totalitären Systeme des Jahrhunderts einschließlich ihrer Verbrechen seit dem Historikerstreit ebenso vorurteilsvoll wie fruchtlos diskutiert wurde."

Es dürfte wenig Risiko in der Vorhersage liegen, dass die Ausstellung nicht wieder eröffnet wird. Die FAZ verkündete in einer treffenden Schlagzeile: "Kritiker fordern endgültige Schließung", und im Statement des Militärwissenschaftlers Müller klingt musterhaft auf, dass die Berliner Republik über genügend Autoritäten verfügt, die entstandene Unordnung der Gedanken zu korrigieren: "Wir sollten das Thema des deutschen Krieges und der Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert losgelöst von dieser armseligen Ausstellung thematisieren. Wissenschaftler und erfahrene Ausstellungsmacher können etwas schaffen, das auch im Ausland zeigt, wie verantwortungsvoll wir mit der deutschen Vergangenheit umgehen."