Einigende Entrüstung

In Österreich liegen ihm die Wähler zu Füßen und die Regierungsparteien erfüllen seine Forderungen. Aber außerhalb des Landes finden Jörg Haider und seine Freiheitlichen kaum Freunde.

Im Grunde müssten sich die 73 Prozent, die Jörg Haiders FPÖ bei den Nationalratswahlen am 3. Oktober nicht gewählt haben, überhaupt keine Sorgen machen. Und auch die anderen Parteien, die momentan eine Regierungsbeteiligung "sondieren", könnten den "Bärentaler" und seine Gefolgschaft mit einiger Gelassenheit rechts liegen lassen.

Riskiert man einen Blick über die österreichischen Grenzen hinaus, so ist relativ leicht festzustellen, wo sich Haiders Verbündete im geeinten Europa befinden: nirgends. Zwar zeigte sich Umberto Bossi, der Mann mit fortgeschrittener Padanien-Paranoia, bei einer Lega-Nord-Veranstaltung sehr angetan von der Rede des F-Führers und dem Wahlerfolg der österreichischen Freiheitlichen. Und Edmund Stoiber ermunterte die ÖVP zu einer Koalition mit der FPÖ. Damit standen die beiden Provinzfürsten jedoch ziemlich alleine da.

Selbst der Schweizer Rechtspopulist und Wahlgewinner Christoph Blocher, im Umgang mit deutschem NS und Ausländerfeindlichkeit ebenfalls nicht zimperlich, distanzierte sich ausdrücklich von der Politik und der Person Haiders. Einzig Jean Marie Le Pen streut ihm hin und wieder ein paar Rosen, doch die werden von Haider stets zurückgewiesen.

Eine mutige Geste, wenn man bedenkt, dass der FPÖ-Chef international weitgehend isoliert ist. Diverse Versuche Haiders, außerhalb Österreichs Boden gut zu machen, scheiterten bisher ebenso kläglich wie peinlich. Dennoch offenbart sich hier das typisch österreichische Phänomen Jörg Haider: Je größer die Ablehnung im Ausland, desto enger schart er seine Anhängerschaft um sich, desto trotziger wird von internationaler Verschwörung gegen seine Person gesprochen, desto größer wird der Zusammenhalt der "Jetzt-erst-recht"-Bewegung.

Rassistische oder chauvinistische Äußerungen Haiders, die in den europäischen Medien für helle Empörung sorgen, werden hierzulande kurzerhand geleugnet. Schlimmer noch: Sie gehören mittlerweile zum Alltagsgeschehen und werden mehr oder minder akzeptiert. Politiker anderer Parteien getrauen sich nicht so recht, "schon wieder" gegen Haider mobil zu machen. Sie haben gelernt, dass alles, was sie gegen ihn verwenden, doppelt und dreifach zurückkommt. Also lieber gleich den Mund halten oder ins Ausland zurückkeifen: Ein Sturm der Entrüstung brach auch bei den parlamentarischen Gegnern Haiders los, Österreich sei doch kein Nazi-Land und man möge sich bitte nicht von außen in die innenpolitischen Angelegenheiten mischen.

Ähnlich ist die Stimmung in der Bevölkerung. Rassistische Aktionen und Parolen wurden durch das Wahlergebnis vom 3. Oktober nun quasi legalisiert - endlich kann man aussprechen, was einem schon lange auf der Zunge lag, tun, was man schon lange vorhatte. Plötzlich flattern der Jüdischen Gemeinde in Wien wieder Briefe ins Haus, in denen in altbekannter Manier darauf hingewiesen wird, dass die Juden gefälligst dorthin zurückgehen sollen, wo sie herkamen und sie ohnehin "an allem schuld" seien. Insofern kann Haider aus dem Vollen schöpfen.

Denn entgegen der landläufigen Meinung, die 27 Prozent Haider-Wähler wären größtenteils frustrierte Sozialdemokraten oder verwirrte Jungwähler, ist es wahrscheinlich, dass diesmal "nur" 27 Prozent FPÖ wählten, weil sich viele noch nicht getrauten, ihr Kreuz an der rechten Stelle zu machen. Doch die Hemmschwelle wird immer geringer. Das weiß Haider nur zu gut. Mit einigem Geschick diktiert er den anderen Parteien sein Programm und löst nebenbei auch noch die Sozialdemokraten als Arbeiterpartei ab. Und frei nach dem Motto "Widerstand ist zwecklos" verharren SPÖ und ÖVP in völliger Bewegungslosigkeit.

Bundeskanzler Viktor Klima (SPÖ) geriet in den letzten Wochen in den eigenen Reihen unter Druck und hat daher zur Zeit andere Sorgen. Und die ÖVP mit ihrem Parteivorsitzenden, Vizekanzler und Außenminister Wolfgang Schüssel, droht weiterhin beharrlich mit dem Gang in die Opposition. Jörg Haider kann ungehindert an seiner Regierungsfähigkeit arbeiten: Als Landeshauptmann in Kärnten will er ab dem 1. Januar 2000 flächendeckend einen Kinderscheck einführen - 5 700 Schilling (rund 415 Euro) pro Monat für das erste in Österreich geborene Kind von österreichischen Staatsbürgern, für das zweite und jedes weitere Kind gibt es die Hälfte.

Um den Kinderscheck zu finanzieren, sollen 23 Milliarden Schilling (1,67 Milliarden Euro) aus Wohnbauförderungsdarlehen locker gemacht werden, mit denen dann am internationalen Aktienmarkt spekuliert wird: Völkische Familien- verbindet sich mit moderner Finanzpolitik. Hinzu kommt die übliche Hetze vom rechten Rand. Seien es die Zuwanderung, die EU-Ost-Erweiterung, die Renten, die staatliche Bürokratie und der Proporz - Haider ist auf jeden Fall dagegen. Und mit ihm ist das Volk.

Warum eigentlich? Rechte Ausländerpolitik wird längst von Innenminister Karl Schlögl (SPÖ) erledigt. Die Familie als Keimzelle des Staates? Kein Problem, dafür gibt es die ÖVP und ihren Familienminister Martin Bartenstein, der sich ohnehin längst für eine blau-schwarze Koalition ausspricht. Haider ausgrenzen? Innenminister Schlögl brachte es unlängst auf den Punkt, als er erklärte, man könne in der Politik nie etwas für immer ausschließen und man müsse eben sehen, wie sich die FPÖ entwickle.

Soll heißen: Schwört die Partei offiziell dem Rechtsextremismus soweit ab, dass sie international nicht mehr anstößig ist, kurz: wird sie zur dritten Partei der Mitte, stehen Tür und Tor offen für eine wunderbare Mehrheit im Parlament. Man könne doch den Willen des Wählers nicht einfach ignorieren, ist man sich allerorts einig.

Fast allerorts: Dass es in Österreich sehr wohl Leute gibt, die gegen Rassismus und die Freiheitlichen sind, soll am 12. November in der Bundeshauptstadt Wien bewiesen werden. Man wird gegen Haider demonstrieren. Einige fordern sogar den Rücktritt Schlögls, andere wollen lieber Kerzen anzünden, traurige Lieder singen, mahnende Worte finden und Einigkeit zeigen. Die Veranstalter erwarten zumindest so viele Teilnehmer wie bei der letzten Wahlkampfveranstaltung der FPÖ, nämlich 3 000. Eine Zahl, die Haider mittlerweile bei jedem größeren Bierzeltauftritt mit Leichtigkeit übertrifft.