Kambiz Rousta

»Die Bewegung ist nicht zerschlagen«

Interview mit dem Politologen Kambiz Rousta über Studentenproteste und Repression

Prügel gegen Proteste, Repression gegen die Demonstranten, wer nicht nachgibt, kommt ins Gefängnis. Ist die Studentenbewegung im Iran zerschlagen worden?

Die Bewegung ist nicht zerschlagen worden. Das Regime hat nicht die Möglichkeit dazu. Khatami ist es gelungen, die Bewegung vorläufig zu spalten. Als die Minderheit der protestierenden Studenten am 13. Juli das Gelände der Teheraner Universität verlassen hatte, um mit Khatami und seinem Kabinett zu verhandeln, haben die demokratischen Studenten angekündigt, daß sie weiter protestieren würden, falls das Regime ihre Forderungen in drei Tagen nicht erfüllt. Dann setzte die Repression noch stärker ein als zuvor. Dennoch: Die Proteste werden weitergehen, auch wenn sich jetzt noch nicht sagen läßt, wann.

Aber auch das Regime hat seine Basis auf die Straße gebracht.

Die Mullahs haben am 14. Juli in Teheran eine Gegendemonstration organisiert. In der Hauptstadt leben 12 Millionen Menschen. Davon konnten sie ungefähr 70 000 Menschen mobilisieren. Dafür, daß der Staat in den Händen von Khamenei und Khatami ist und beide zu den Demonstrationen aufgerufen haben, sind das nicht viele. Bei den ersten großen Studentenprotesten waren deutlich mehr Menschen auf der Straße.

Die Protestbewegung im Iran ist vor allem an der Universität Teheran sehr stark. Welche Möglichkeiten der Organisierung hatten und haben die Studenten in der Islamischen Republik überhaupt?

Die Studenten sind in den traditionell islamischen Verbänden organisiert, haben aber parallel neue Gruppen gegründet, die keine islamischen Namen tragen. Sie nennen sich Komitee für die Einheit der Studenten oder Protestkomitee iranischer Studenten. Die Forderungen sind zwar unterschiedlich, orientieren sich aber grundsätzlich an Freiheit und Selbstbestimmung - häufig jenseits der Islamischen Ordnung. Denn elementare Freiheiten sind mit der Islamischen Republik nicht vereinbar. Dennoch ist die Organisationsstruktur von nicht-islamischen Organisationen schwach - aber sie haben Zukunft. Nach der Schließung der Universitäten 1982 und mit dem Beginn der islamischen Kulturrevolution wurden alle nicht-islamischen Gruppen zerschlagen. Nun sind es die Kinder der Revolution, die sich von den islamischen Verbänden distanzieren.

Agieren denn diese islamischen Verbände zur Zeit einheitlich? Gibt es gemeinsame Forderungen und Programme?

Teile der Studentenverbände haben vor einem Monat angekündigt, daß sie unter einem neuen Organisationsnamen arbeiten wollen. Dies ist die Chance für ein neues demokratisches Bündnis, das weit über die Aktivisten an den Universitäten hinausgeht, da sich die Islamisten immer mehr spalten. Die islamistischen studentischen Verbände teilen sich in überzeugte Khatami-Anhänger und in eine Mehrheit, die sich nur formell hinter Khatami stellt: Sie wissen, daß Khatami unter islamischer Freiheit etwas anderes versteht, als das, was sie fordern.

Was fordern die Khatami-Anhänger?

Die Anhänger Khatamis fordern die Absetzung des Polizeichefs, weil ihnen die Entlassung von zwei Polizei-Offizieren nicht ausreicht. Außerdem verlangen sie die Freilassung der verhafteten islamischen Studenten - auch wenn die Chancen dafür zur Zeit eher schlecht sind.

Aber der endgültige Bruch mit Khatami bleibt trotzdem aus.

Nein, viele Studenten haben viel mehr gefordert und sind wesentlich weiter gegangen, als es selbst den liberalsten Kräften unter den Islamisten lieb ist. Khatami geht hart gegen die Protestbewegung vor, weil die Studenten die Grundsätze der islamischen Ordnung in Frage stellen. Ayatollah Rohani, Sprecher des von Khatami geführten Nationalen Sicherheitsrates, hat sogar die Todesstrafe für die verhafteten Studenten gefordert, da sie Konterrevolutionäre seien. Tatsächlich kämpfen viele Studenten gegen die islamische und für eine emanzipatorische Revolution.

Wie haben sich die Studentenproteste überhaupt entwickelt? Am Anfang ging es ja hauptsächlich um die Wiederzulassung der Zeitung Salam.

So haben es die westlichen Medien dargestellt. Das stimmt aber nicht. Die meisten Studenten haben das Verbot von Salam als Vorwand genutzt, um demokratische Forderungen zu erheben. Darum war bis zum Schluß eine der Hauptforderungen die Meinungs- und Pressefreiheit.

Aber es geht um viel mehr. Seit langem lastet ein großer Druck auf den Studenten. Der Staat ist pleite. Das wenige Geld, das übrig bleibt, fließt in die Aufrüstung des Landes. Wo es zuerst nur um fehlendes Geld für Bildung ging, haben die Studenten nach und nach ihre Forderungen erweitert und sind vor allem politischer geworden: Von derAufhebung der Zensur ging es über die Freilassung der verhafteten Studenten bis hin zur Freiheit für alle politischen Gefangenen.

Hat sich im Verlauf der Demonstrationen die Zusammensetzung der Protestbewegung verändert?

Am Anfang demonstrierten Studenten der Teheraner Universität, später kamen viele Studierende anderer Universitäten, einige Hochschullehrer und sogar Teile der Bevölkerung hinzu. Zahlreiche Leute haben Flüchtende versteckt, als die Polizei gegen die Demonstranten vorging. Das waren ganz unterschiedliche Menschen: Intellektuelle, Arbeitslose, einfache Leute, die von der islamischen Herrschaft enttäuscht sind. Auch kleine Teile der Arbeiterschaft sympathisieren mit der Studentenbewegung. Hinzu kamen die Angehörigen der politischen Gefangenen und der Hingerichteten.

Im kommenden März finden die Parlamentswahlen statt. Diese Wahlen könnten einerseits den Machtkampf zwischen den verschiedenen Fraktionen der Geistlichkeit, zum anderen auch den zwischen dem Regime und Teilen der Bevölkerung widerspiegeln.

Viele Menschen, die sich an den Protesten beteiligt und anschließend die brutale Reaktion der Mullahs erfahren haben, treten nun nicht mehr für partikularistische Forderungen ein. Sie wollen nicht mehr irgendeine neue Schattierung islamistischer Herrschaft - wofür Khatami steht, der einfach nur eine besser funktionierende religiöse Herrschaft will. Diese Entwicklung könnte den Anfang vom Ende islamistischer Herrschaft darstellen. Das eingeschränkte Wahlsystem im Iran wird das nicht verhindern können. Die Wahlen werden allenfalls zu einem kleinen Machtkampf zwischen den verschiedenen Fraktionen des Regimes führen.

Der Politologe Kambiz Rousta engagierte sich während und nach der Revolution von 1979 im Schriftstellerverband des Iran und unterrichtete bis 1981 an der Teheraner Universität. Rousta ist zur Zeit Sprecher des Internationalen Tribunals zur Verurteilung des iranischen Regimes und lebt im Exil in Deutschland.