Teamwork für den Frieden

Im Umgang der EU mit der israelischen Regierung wird der Affront zum Programm

Mit den richtigen Verbündeten läßt sich zur rechten Zeit auch ein Staat machen. Das ist wohl die Hoffnung von Palästinenserpräsident Yassir Arafat. In den letzten Wochen scheinen sich seine Chancen, das Ziel zu erreichen, erhöht zu haben. Denn wo sich bisher vor allem Frankreich um die Unterstützung palästinensischer Anliegen bemüht hatte, erscheint plötzlich die gesamte EU auf der Bildfläche. Und die wird nicht einmal von Israels traditionell engstem Verbündeten, den USA, so richtig gebremst.

Das merkt auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Die EU solle "keine Lösung diktieren, die die Existenz der israelischen Bevölkerung gefährden würde", kritisierte er die jüngste Stellungnahme der Europäischen Union zum Friedensprozeß in Nahost. Am Ende des Berliner Gipfels in der vorvergangenen Woche hatte die EU eine Resolution verabschiedet, in der sie "das uneingeschränkte Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung, inklusive der Option auf einen eigenen Staat", bestätigt.

Zudem wurde ein zeitlicher Rahmen vorgegeben: Innerhalb eines Jahres müsse eine Verhandlungslösung erreicht werden. Nach Ablauf dieser Frist werden, wenn es nach der EU geht, Einsprüche gegen eine staatliche Souveränität der Palästinenser nicht länger akzeptiert. Diese Erklärung hat Netanyahu mitten im Wahlkampf kalt erwischt: Noch wenige Stunden, bevor die Resolution bekannt wurde, war in Netanyahus Likud-Partei ein Richtlinienpapier ausgegeben worden. Darin hieß es, die Welt habe Netanyahus Ablehnung einer einseitigen Proklamation eines Palästinenserstaates akzeptiert.

Daß nun gerade die EU der Darstellung von Netanyahus weltweitem Rückhalt widerspricht, ist wenig erstaunlich. Die Beziehungen zwischen der israelischen Regierung und der EU sind schon länger angespannt. So hat Israel bereits seit langem keinen ständigen Vertreter mehr in Brüssel, die Stelle bleibt einfach vakant. Zur Konfliktvermeidung trägt das nicht bei: Bereits im Februar hatte der israelische Außenminister Sharon die EU aufgefordert, das "Orient-Haus" in Jerusalem nicht mehr zu besuchen. In der Villa im Ostteil der Stadt residiert nicht nur der Jerusalem-Minister der palästinensischen Autonomiebehörde Faisal Husseini. Das Haus gilt auch als inoffizielles Außenministerium der PLO. Besuche gehörten bisher zur diplomatischen Routine.

In ihrer Routine aber will die EU nicht gestört werden. Entsprechend fiel die Antwort aus: Theodor Wallau, deutscher Botschafter in Tel Aviv und wegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zur Zeit auch als EU-Sprecher in Israel zuständig, lehnte eine Einstellung der diplomatischen Treffen kurzerhand ab. Gleichzeitig nutzte er die Gelegenheit zu einer Grundsatzerklärung und verwies in einem Brief Anfang März auf den besonderen Status Jerusalems als "corpus separatum", wie er bereits in der UN-Teilungsresolution 181 von 1947 formuliert worden sei.

Die israelische Regierung reagierte verärgert. Und das gleich doppelt: Zum einen wurden die europäisch-palästinensischen Gesprächsmöglichkeiten eingeschränkt. Wichtige Verhandlungspartner der EU wie Faisal Husseini und Hanan Ashrawi erhalten künftig keine Sondergenehmigungen für rasche Grenzübertritte zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten mehr. Außerdem bekräftigte das Kabinett in einer Resolution, daß Jerusalem Israels Hauptstadt sei. Unter keinen Umständen werde einer Teilung oder Internationalisierung der Stadt zugestimmt.

Brüssel seinerseits bemühte sich um Schadensbegrenzung und schob formale Unstimmigkeiten vor: Der Brief sei nicht mit dem speziellen EU-Friedensgesandten oder dem Regionalkommissar abgestimmt worden. Dennoch sei der Inhalt des Schreibens nichts Neues, sondern die klassische Position der EU zur Frage Jerusalems.

Auch in Israel wurde Kritik an Netanyahus Reaktionen formuliert. Der ganze Vorfall sei von der israelischen Regierung instrumentalisiert worden. Außenminister Ariel Sharon oder Netanyahu selbst hätten die Veröffentlichung des eigentlich vertraulichen Briefwechsels arrangiert. Zwar wies Sharon diese Vorwürfe zurück - sicher ist jedoch, daß die Debatte Netanyahu eine Chance bot, sich im Wahlkampf erneut zu profilieren: "Netanyahu - ein starker Frieden und ein vereintes Jerusalem", lautet seitdem ein neuer Wahlslogan des Likud.

Konnte Netanyahu den Streit um Jerusalem noch zu seinen Gunsten entscheiden, so dürfte das bei der neuesten Auseinandersetzung mit der EU schwieriger werden. Während die Europäer im vergangenen Sommer auf dem Gipfel in Cardiff die Möglichkeit eines palästinensischen Staates "nicht ausschließen" wollten, haben sie sich jetzt in Berlin dazu bekannt. Oppositionspolitiker geben dafür Netanyahu die Schuld: Ein Abgeordneter der Arbeitspartei erklärte, zu Zeiten Yitzhak Rabins wäre unvorstellbar gewesen, daß die Europäer nicht die Souveränität Israels über Jerusalem anerkennen. Nur Netanyahus "Provokationen" und sein "skandalöser Umgang mit dem Jerusalem-Problem" seien für die EU-Erklärung verantwortlich.

Doch diese Erklärung greift zu kurz. Vor dem 17. Mai, an dem die israelischen Präsidentschaftswahlen stattfinden, liegt schließlich der 4. Mai. Dann endet die im Osloer Abkommen vorgesehene Übergangsperiode, Arafat hat für diesen Tag die Proklamation eines palästinensischen Staates angekündigt. Bis dahin reist er um die Welt, um Unterstützung für seinen Staat zu finden. Noch hat sich der Präsident nicht endgültig dazu geäußert, ob es denn am 4. Mai tatsächlich einen palästinensischen Staat geben wird. Denn Arafat hat bereits mehrfach signalisiert, daß er auf eine Verschiebung eingehen würde - im Austausch gegen internationale Anerkennung. Die hat er nun von der EU erhalten.

Seine Reise nach Washington vor zwei Wochen hat ihm allerdings nicht soviel erbracht. Clinton betonte nur, daß nach den israelischen Wahlen rasch weiterverhandelt werden müsse. Ähnlich vage fiel auch sein Kommentar zur Berliner Resolution aus. Die USA würden diese Position nicht teilen, doch habe sich die EU ja deutlich zurückgehalten. Hintergrund: Frankreich wäre es nur recht, einen palästinensischen Staat nach Ablauf eines Jahres automatisch und unabhängig vom Stand der Verhandlungen anzuerkennen. Da dieser Wunsch sich in der Berliner Erklärung nicht niederschlug, vermutete der palästinensische Minister für parlamentarische Angelegenheiten, Nabil Amr, amerikanische Zustimmung hinter der europäischen Entscheidung.

Seine Hoffnung, auch die USA bald zu einer Erklärung für den palästinensischen Staat bewegen zu können, dürfte dennoch vergeblich sein. Vielmehr scheinen sich EU und USA die Rollen aufzuteilen. Bereits Anfang März ist nach Informationen der israelischen Tageszeitung Ha'aretz die Entscheidung zur Arbeitsteilung gefallen. Zwar verneint das US State Department die Frage nach einer koordinierten Strategie, konsultierende Gespräche habe es jedoch gegeben.

Und daraus sind Haltungen hervorgegangen, die sich bestens ergänzen. Während die USA dafür zuständig sind, Israel nicht ganz zu brüskieren, hält die EU die Palästinenser bei Laune und sichert Arafat durch kleine Anerkennungserfolge auch noch ein wenig Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung. Überzeugend haben dabei beide Seiten gewirkt: Der Likud erklärte Arafats Besuch in Washington zum Erfolg, da die USA die einseitige Anerkennung eines palästinensischen Staates weiter ablehnen. Arafat indes dankt den europäischen Staaten für ihre "wunderbare, feste und klare Haltung". So erfolgreich kann Teamwork sein.