Über blühende LSD-Landschaften

Klangforschung im Hamburger Bahnhof in Berlin - AMM und EAR

Schon an sich eine bewußtseinserweiternde Erfahrung, wenn man sich dem Hamburger Bahnhof nähert, um in das von außen in neongrellen Blau und Gelb angeleuchtete Elysium zu treten, für ein Doppelkonzert, das im Rahmen der "Sensation"-Ausstellung junger britischer Künstler stattfindet und mit AMM und Experimental Audio Research (EAR) zwei britische Bands auf die Bühne bringt, die aus dem Museum ein Institut für visionäre Klangforschung machen - auch einen Generationentreff: Der Schlagzeuger Eddie Prévost drummt in beiden Formationen, die an diesem Abend zum ersten Mal gemeinsam auftreten.

Den Anfang machen AMM, die sich seit über 30 Jahren eine überaus schlaue Musik zusammenbauen, bei der die höchstentwickelte Kunst der Improvisation im Mittelpunkt steht. Es haftet ihnen dabei aber eher etwas Entrücktes, Wegmeditiertes an als virtuose Spielbergerei. Anfangs unterwegs in wechselnden Besetzungen, treten sie seit längerer Zeit vornehmlich als Trio auf, und es hat schon etwas Kultisches an sich, wie diese drei älteren Herren auf die Bühne treten, sich wortlos niederkauern und hinter ihre Instrumente klemmen, um mit gelassener Altmännergröße einen hermetischen Raum zum Wegdriften aufzuklappen.

Es geht um den Widerstand der Instrumente, das beschränkte Format auszuloten, mit dem Ziel, sich eine Musik zu erarbeiten, die in einem radikalen Begriff von Improvisation fundiert ist, wobei nicht nur das Soundgerüst, sondern auch die Instrumente einer harten Belastungsprobe ausgesetzt werden. Vorneweg Keith Rowe - Erfinder der Table-Top-Guitar und Mentor von Fred Frith oder Jim O' Rourke -, der sein auf einem Tisch liegendes Instrument mit Stahlwolle, Stahlfedern, Schraubenzieher und anderen Dingen bearbeitet, die Sounds an ihre Ränder drückt, Figuren wie Blinkfeuer bildet und sie wieder verlöschen läßt.

Dazu spinnt Eddie Prévost ein feines Netz der Perkussion, setzt sparsame Akzente, sägt an den Becken und schlägt gescheite Zäsuren, damit nichts davonfliegt, während das Klavierspiel von John Tilbury von angenehmer Zurückhaltung geprägt ist und Motive einstreut, die an Morton Feldmann oder Paul Bley erinnern.

Gemeinsam werden die drei weder kitschig-abgründig noch stellen sie eine verstaubte Seriosität in den Vordergrund, sondern entwickeln nach etwas fahrigem Beginn eine Musik voll innerer Spannung und oft atemberaubender Dichte, die sich nach indischem Raga-Prinzip in endlose Weiten streckt - ein Ereignis, auf das man gerne wieder ein oder zwei Jahre warten will, wenn es einem nur dann und wann geschenkt wird.

Gleiches ließe sich auch über den Auftritt von Experimental Audio Research sagen, dem Projekt von Pete Kember alias Sonic Boom, der in den Achtzigern mit Spaceman-3 hypnomonotone Ein-Akkord-Dröhn-Psychedelia fabrizierte, um die stärksten Momente drogenumnebelter Rockmusik einzufangen. Anders als bei Spiritualized, der Band seines ehemaligen Raumfahrer-Kollegen Jason Pierce, die ihre Stücke einfach mit Frequenzmatsch überlagern, hinter dem bald das konventionelle Material hervortritt, hat sich Sonic Boom ein verblüffendes Konzept ausgedacht und im Laufe der Jahre verfeinert, eine glänzende Mischung aus Kalkül und Spontaneität, mit der er endgültig in den Open Space abgehoben hat.

Hellwach und konzentriert hantiert er an seinen Analog-Synthesizern, einem Theremin und anderem Elektrokrempel, kontrolliert, stöpselt und moduliert, um elektronische Verzerrungen in den Saal zu schicken, subtile Störungen, die sich ins Unterbewußtsein schleichen, bis sie plötzlich deutlich werden und uns packen.

Dazu kratzt eine Viola, ein Baß dröhnt gegen die Erdrotation, und Eddie Prévost sorgt hier im Gegensatz zur Klangmeditation von AMM für entsprechenden Drive, der alles intensiviert, dem Publikum allerdings keine Chance läßt, in einen routinierten Schüttelgroove zu fallen.

Man muß schon den Kopf einschalten, um mit dem kreischenden Vorwärtsgang Schritt zu halten und den musikalischen Abschweifungen zu folgen, die den gesamten Höhenbereich in das tobende Zischen klaustrophobischer Zustände schrauben - alles ist ein Klang, dem man nicht ausweichen kann. Ein Flug über blühende LSD-Landschaften, das, worauf du immer gewartet hast, seitdem du die Exploding Plastic Inevitable verpaßt hast.