Reformasi Peng

Indonesien erlebt die schwersten Unruhen seit dem Rücktritt Suhartos. Aber die Stellung der Armee bleibt vorerst unangetastet

In Indonesien hat sich nichts geändert - meint einer, der es wissen muß: Ex-Präsident, Kohl-Freund und Diktator im Ruhestand Suharto. Er sei im Mai dieses Jahres nach 32 Jahren an der Staatsspitze zurückgetreten, um "weiteres Blutvergießen zu vermeiden" und nun gehe es weiter, beklagte er sich bei der indonesischen Nachrichtenagentur Antara.

Mindestens 16 Tote und 150 Schwerverletzte wurden in der vergangenen Woche in der Hauptstadt Jakarta gezählt - die meisten Verletzten waren von Gummigeschossen getroffen, von Panzerfahrzeugen angefahren oder von "Ordnungshütern" und Bürgerwehren zusammengeschlagen worden. Zehntausende - anfangs überwiegend Studenten, denen sich im Verlauf der Unruhen immer mehr Jugendliche und Bewohner der Slums anschlossen - waren auf die Straße gegangen, um gegen die Sitzung der Beratenden Volksversammlung zu protestieren. Dabei durchbrachen sie Straßensperren, griffen eine Polizeiwache an, warfen mit Steinen und Molotowcocktails, errichteten Straßenbarrikaden aus brennenden Autos und plünderten Geschäfte.

Aber auch abseits der Hauptstadt krachte es: Auf der Insel Sumatra stürmten etwa 5 000 Studenten den Flugplatz und forderten, nach Jakarta geflogen zu werden, um sich dort den Protesten anzuschließen. Schon vor der von Dienstag bis Freitag dauernden Sitzung der Beratenden Volksversammlung hatte Jakarta einem Kriegsschauplatz geglichen. Über 30 000 Polizisten und Soldaten waren im Einsatz, Wasserwerfer und Panzer wurden in der ganzen Stadt stationiert, im Hafen war die Marine mit 15 Kriegsschiffen präsent. Und außerdem war eine Bürgerwehr aus etwa 125 000 Freiwilligen rekrutiert worden - bewaffnet mit Messern und angespitzten Bambusstöcken.

Proteste waren schließlich zu erwarten, denn die Studenten forderten den Rücktritt des Suharto-Nachfolgers Bacharuddin Jusuf Habibie und die Entfernung des Militärs aus der Politik. Die Versammlung, die über den weiteren Verlauf der angeblichen reformasi entscheiden sollte, bezeichneten sie schlicht als "Farce". Nicht ohne Grund: Über die Hälfte der insgesamt 1 000 Mitglieder des Gremiums waren schon unter Suharto ernannt worden, die restlichen Mitglieder profitierten von einer Begünstigung von Suhartos Funktionalen Gruppen (Golkar) durch das Wahlrecht. Die Kandidaten der beiden kleineren erlaubten Parteien - der Vereinigten Entwicklungspartei (PPP) und der Demokratischen Partei (PDI) - mußten sich vom Militär durchleuchten lassen. Selbst die Tageszeitung Jakarta Post bezeichnete die Beratende Volksversammlung als "Körperschaft, die mit reaktionären Verfechtern des Status quo gefüllt ist".

Die prominenten Oppositionspolitiker nahmen deshalb trotz Einladung von Habibie gar nicht erst an der Versammlung teil. Der studentischen Forderung, gemeinsam eine "Übergangsregierung" zu bilden und damit Habibie den direkten Kampf anzusagen, folgten sie jedoch ebensowenig.

Statt dessen präsentierten Megawati Sukarnoputri, die Tochter des 1965 von Suharto gestürzten Präsidenten Sukarno, Amien Rais und Abdurrahman Wahid, Anführer der islamischen Nationalen Mandatspartei bzw. der ebenfalls islamischen Gruppierung Nahdlatul Ulama, sowie der Sultan Hamengkubuwono X. ein Gegenprogramm: Habibie müsse spätestens im Spätsommer des nächsten Jahres abtreten, die Wahlen sollten von internationalen Beobachtern kontrolliert werden, Korruption und Vetternwirtschaft müßten bekämpft werden. Und - als wichtigste Forderung, mit der sie auf die Studenten eingingen - die indonesische Armee (Abri) müsse in den nächsten sechs Jahren ihre doppelte Funktion als Sicherheits- und politischer Faktor aufgeben und sich aus dem politischen Geschehen zurückziehen.

Von der Volksversammlung wurde der Abri ihre Stellung jedenfalls nicht streitig gemacht. Lediglich PPP und PDI wagten es, die feste Mandatsanzahl der Armee im indonesischen Repräsentantenhaus anzuzweifeln. Knapp vier Fünftel der Abgeordneten sprachen sich für die Beibehaltung dieser festen Abri-Sitze aus. Im Mai oder Juni 1999 sollen neue Wahlen stattfinden, bis Ende des kommenden Jahres soll Habibie aber Präsident bleiben.

Auch wenn der Opposition diese "Reformen" noch längst nicht weit genug gehen, forderte Rais im indonesischen Fernsehen die Protestbewegung auf, das Ende der Volksversammlung abzuwarten. Sonst, so warnte der Chef der Nationalen Mandatspartei, "wäre es möglich, daß wir einen Ausnahmezustand erleben könnten, daß eine Militärjunta kommen wird".

Die gewaltige Militär- und Polizeimacht - auch die Polizeieinheiten sind Teil der Abri - war nämlich nicht nur ein Schutz der Beratenden Volksversammlung, sondern insbesondere eine deutliche Machtdemonstration der Armee. Der Abri-Oberbefehlshaber General Wiranto, der zugleich auch den Posten des Verteidigungsministers bekleidet, hatte schon vor der Sitzung angekündigt, er werde keine Schwächung der Abri-Stellung hinnehmen.

Nach dem Abgang von General Suharto und seiner Günstlinge gerät zunehmend die Armee ins Zentrum der Kritik von Oppositionellen und Studenten. Als Reaktion auf das brutale Vorgehen von Armee und Polizei forderten die Demonstranten schließlich den Rücktritt von General Wiranto.

Bereits zehn Tage vor dem Beginn der außerordentlichen Sitzung hatte sich der Armeechef vergrätzt gezeigt, nachdem eine Untersuchungskommission ihren Bericht über antichinesische Ausschreitungen im Mai vorgelegt und darin Provokateuren der Abri einen entscheidenden Stellenwert beigemessen hatte. Der Bericht schlußfolgert, im Mai sei es zur bewußten "Schaffung einer Ausnahmesituation" gekommen, und führt General Subianto Prabowo, den Schwiegersohn Suhartos und mittlerweile entmachteten Widersacher von General Wiranto, als Verantwortlichen für diese Aktionen an.

Aber es scheint auch ohne Prabowo zu gehen. Die Ähnlichkeiten der Mai-Unruhen mit dem vergangenen Wochenende sind offensichtlich: Erneut waren vor allem chinesische Geschäftsleute von Plünderungen betroffen - die in Chinatown patrouillierenden Abri-Einheiten, die sonst nicht zimperlich vorgingen, griffen jedoch kaum ein.

Muslimische Organisationen wie das Indonesische Komitee für weltweite Moslemsolidarität, die Indonesische Vereinigte Ummah-Partei und das Institut für Wahrheit und Gerechtigkeit, die als Reaktion auf die angekündigten Studiproteste gemeinsam zu Gegendemonstrationen zur Unterstützung Habibies und der Beratenden Volksversammlung aufgerufen hatten, sind die potentiellen Bündnispartner der Militärführung. Aus islamischen Kreisen wurde auch die große Anzahl von bewaffneten Freiwilligen rekrutiert. Der militärisch-islamische Komplex, die tragende Säule des Habibie-Regimes, hat damit eine neue Form der Zusammenarbeit gefunden.

Habibie seinerseits kondolierte den Angehörigen der getöteten Studenten und stellte sich am Samstag demonstrativ hinter Wiranto. Er ließ ihm freie Hand, die sich nach den Toten vom Freitag ausweitenden Unruhen niederzuschlagen. Am Wochenende wurden zudem Oppositionelle zu stundenlangen Verhören abgeführt, weil sie die Einrichtung einer Übergangsregierung gefordert hatten, was von den Sicherheitsbehörden als Planung zu einem Regierungssturz interpretiert wurde.

Als Reaktion auf das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte verfaßten vier einflußreiche studentische Gruppen eine gemeinsame Erklärung: Sie riefen zu einem auf drei Tage begrenzten Generalstreik ab Montag als "Form des gewaltlosen Widerstands" auf. Aber der Aufruf wurde kaum befolgt.