Apo in Roma

Nach Öcalans Festnahme befindet sich die neue italienische Regierung in einer Zwickmühle

Die PKK mußte im Verlauf dieses Jahres bereits mehrere empfindliche Schläge bei ihrem Kampf gegen den türkischen Militärstaat einstecken. Nun scheint die mit der Verhaftung ihres Führers Abdullah Öcalan in Rom "kopflos" gewordene kurdische Befreiungsorganisation militärisch und politisch allerdings entscheidend geschwächt zu sein.

Für die türkische Regierung kam die Festnahme des "Staatsfeindes Nr. 1" Öcalan wie ein Geschenk des Himmels. Noch am Tag vor Öcalans Festnahme wurde der bestehenden Regierungskoalition von Ministerpräsident Mesut Yilmaz allenfalls noch eine Halbwertzeit von einigen Wochen zugestanden.

Nachdem der Kampf gegen die PKK mit Öca-lans Festnahme gekrönt wurde, ist von einem unmittelbar bevorstehenden Ende der Minderheitsregierung Yilmaz kaum noch die Rede. Verdeckt wird dadurch - auch für den Blick der meisten westlichen Medien - allerdings eine wichtige Tatsache: Der Preis für die ausschließlich auf militärische Zerschlagung der kurdischen Bewegung ausgerichtete "Kurdenpolitik" Ankaras bestand nicht nur in einer immer weitergehenden Militarisierung der türkischen Politik unter absoluter Hegemonie des Nationalen Sicherheitsrates, sondern auch im beschleunigten Zerfall der politischen Strukturen des türkischen Staates in genau die mafiotischen Bandenstrukturen, welche nun auch den bisherigen Saubermann Yilmaz erreicht haben.

So scheint es sich zunächst für Yilmaz auszuzahlen, daß er in den letzten Monaten weiterhin - ungeachtet aller Verhandlungsangebote und eines weiteren einseitigen Waffenstillstandes seitens der PKK - allein auf die militärische Karte gesetzt und im Oktober sogar offen einen militärischen Schlag gegen Syrien angedroht hatte, um der PKK ihre langjährige Operationsbasis zu entziehen.

Das kompromißlose Vorgehen Ankaras gegenüber Syrien und anderen Nachbarstaaten war allerdings nicht allein aufgrund der jüngst verstärkten Militärkooperation mit Israel möglich, wie nicht nur in kurdischen und arabischen Kommentaren regelmäßig hervorgehoben wird. Grundlage für das kriegsbereite Auftreten der Türkei gegenüber Syrien war auch die zuvor erfolgte militärische Schwächung der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei selbst sowie im kurdischen Norden des Irak. Bewirkt wurde dies durch die weitgehende Vernichtung der Lebensgrundlagen und Zerstörung Tausender Dörfer in den kurdischen Gebieten der Türkei und permanente Militäraktionen im Nordirak. Für beides tragen die westlichen Staaten durch Duldung des menschen- und völkerrechtswidrigen Vorgehens der Türkei wie durch deren militärische und politische Unterstützung Verantwortung.

Die Türkei konnte sich aber auch die innerkurdischen Konflikte im völlig desolaten Nordirak und Schwächen der politischen Struktur der PKK zunutze machen. Exemplarisch steht für beides der Fall des ehemaligen PKK-Kommandanten Semdin Sakik. Der war angeblich lange Zeit eine Art rechter Hand Öcalans. Nach einem schweren Zerwürfnis mit dem PKK-Chef hatte Sakik sich in die "Obhut" der mit der PKK schon seit langem verfeindeten KDP (Kurdische Demokratische Partei) im Nordirak begeben. Dort hat ihn die Türkei im März geschnappt und ihn anschließend - möglicherweise unter Folter - zu umfangreichen Aussagen über militärische Stellungen der PKK veranlaßt.

Offensichtlich wird dadurch aber auch die Schwäche der autoritären Führungsstruktur der PKK, die völlig auf den charismatischen Führer Öcalan zugeschnitten ist. Auseinandersetzungen um die politische und militärische Vorgehensweise konnten oft nur in Form von internen Machtkämpfen um die Gunst Öcalans ausgetragen werden, der von seinen Anhängern und großen Teilen der kurdischen Bevölkerung aus der Türkei kultisch verehrt wird. Konflikte in der PKK-Führung wurden gelegentlich durch Liquidierungen von zu "Verrätern" erklärten Dissidenten geregelt. Auch der als "PKK-Dissident" protegierte Selim Cürükkaja war vor seinem Bruch mit Öcalan offenbar selbst als Hardliner in der PKK-Führung bekannt. Eine Folge dieser internen Struktur der PKK-Führung ist jedenfalls das Fehlen einer anerkannten und glaubwürdigen Ersatzfigur für Öcalan.

Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser PKK-Strukturen sind in jüngster Zeit Zweifel an Öcalans unumschränkter Autorität über die PKK laut geworden. Öcalans in letzter Zeit zunehmend verhandlungsbereiter und auf diplomatische Kanäle setzender Kurs wird von Teilen der Guerilla möglicherweise nicht mitgetragen. Diesen neuen Kurs hatte Öcalan sowohl im Bewußtsein um die militärischen Grenzen des kurdischen Befreiungskampfes als auch in der Hoffnung eingeschlagen, auf diplomatischem Parkett als anerkannter kurdischer Führer nach dem Vorbild Arafats zu reüssieren. Auf dem glatten Parkett der internationalen Diplomatie ist Öcalan nun aber gestolpert. Kraft ihrer durch den Aufmarsch an der Grenze zu Syrien nochmals nachdrücklich unterstrichenen überlegenen Militärmacht hatte die Türkei Syriens Präsident Hafiz al Assad zu einer Ausweisung Öcalans und der im syrisch kontrollierten Teil des Libanon operierenden PKK-Einheiten bewogen.

Öcalans Weg führte - vermutlich entgegen anfänglicher kurdischer Dementis - zunächst nach Moskau, von wo aus er nach vergeblichem Ersuchen um politisches Asyl am Donnerstag nach Italien flog. Kurdische Quellen sprachen Ende Oktober von Einladungen Öcalans in verschiedene osteuropäische Länder, u.a. die Ukraine. Unter Berufung auf das US-Außenministerium hieß es nun am Wochenende, daß - neben der Türkei - die USA auf Rußland Druck ausgeübt haben, dem "Terroristen" Öcalan kein Asyl zu gewähren. So begab sich Öcalan von Rußland also nach Italien, das mit der Türkei schon seit längerem in der Kurdenfrage über Kreuz liegt. Im Sommer hatte es gar dem von der türkischen Regierung als Werkzeug der PKK bezeichneten kurdischen Exilparlament die Räume des römischen Parlaments zur Verfügung gestellt. Es könnte daher durchaus sein, daß Öcalan sich bewußt in die Hände des italienischen Staates begeben hat.

Ob Manöver oder nicht - jedenfalls hat Italiens neue Regierung mit Öcalan nun ein Problem. Die Türkei wird alle ihr zur Verfügung stehenden Hebel einsetzen, um Öcalans Auslieferung zu erreichen und ihm in Ankara öffentlichkeitswirksam den Prozeß zu machen. Daß es dabei rechtsstaatlich zugehen wird, ist kaum zu erwarten. Einer Auslieferung an die Türkei steht jedenfalls nicht nur die prinzipiell freundliche Haltung zahlreicher italienischer Politiker gegenüber dem kurdischen Befreiungskampf entgegen, sondern auch die italienische Verfassung. Die verbietet die Auslieferung an Länder, in denen den Ausgelieferten die Todesstrafe droht. Da dies bei den gegen Öcalan in der Türkei erhobenen Anklagepunkten - Führung einer terroristischen Vereinigung, Anstiftung zum Mord und Gefährdung der territorialen Integrität der Türkei - der Fall ist, hat der türkische Justizminister Hasan Denizkurdu bereits die Abschaffung der Todesstrafe angekündigt - bezeichnenderweise nach Öcalans Verhaftung.

Dennoch haben sich italienische Regierungspolitiker bis zum Senior der christdemokratischen UDR, Francesco Cossiga, dafür ausgesprochen, Öcalan als in der Türkei politisch Verfolgtem Asyl zu gewähren. Die Frage ist, ob Italien diese Haltung gegen alle Gebote außenpolitischer Rücksichtnahme durchhalten wird. Insbesondere ein Auslieferungsbegehren der BRD auf der Grundlage des Schengener Abkommens dürfte schwer auszuschlagen sein. Der grüne Staatssekretär im italienischen Außenministerium, Franco Corleone, jedenfalls sprach am Wochenende im Hinblick auf Öcalan schon von einer "außenpolitischen Zwickmühle", in der sich Italien befinde.

Die PKK wird die neue Situation ebenfalls zu nutzen suchen. Ob es ihr gelingt, die kaum abzustreitende Niederlage auf militärischem Gebiet nach Öcalans Festnahme doch noch in einen Erfolg auf dem Gebiet internationaler politischer Anerkennung umzuwandeln, bleibt vorläufig offen. Möglich sind in der derzeit kopflosen Situation der PKK auch Selbstmordanschläge und Verzweiflungsaktionen eigenständig operierender Teile der Guerilla. Am Wochenende meldete dpa eine Selbstverbrennung von 19 kurdischen Gefangenen in einem türkischen Gefängnis aus Protest gegen Öcalans Verhaftung, bei der sieben der Gefangenen zu Tode gekommen seien. Weitere Aktionen dieser Art wären auch eine Konsequenz aus der von Öcalan gepflegten messianischen Erweckungsrhetorik, die vergangene kurdische Selbstmordaktionen als höchste Form patriotischer Selbstaufopferung verklärte.