Eintracht im Seehotel

PDS und SPD in Mecklenburg-Vorpommern starten durch zur ersten rosa-roten Koalition

Lothar Bisky nahm die Entscheidung, wie man es von ihn gewohnt ist. Gelassen, mit einem leicht verwunderten Lächeln im Gesicht, stand der Parteichef mit dem Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch am Eingang des Saales, während von der Bühne am anderen Ende das knappe Ergebnis der Abstimmung verkündet wurde: 44 Delegierte der mecklenburg-vorpommerschen PDS sprachen sich dafür aus, daß ihre Verhandlungskommission vorab auf einen Koalitionskurs mit der SPD festgelegt wird. 45 hingegen wollten die Frage, ob die Sozialisten mit den Sozialdemokraten koalieren oder deren Minderheitsregierung tolerieren sollen, noch offen lassen. Darüber wird nun im November entschieden, wenn das Resultat der Gespräche vorliegt.

Eine kleine Schlappe für die Berliner Prominenz, war man doch extra am vergangenen Samstag nach Mecklenburg gereist und wollte Helmut Holter unter die Arme greifen. Denn wie Bisky, Bartsch und der Bonner Fraktionschef Gregor Gysi war auch der Landesvorsitzende davon überzeugt: Von diesem außerordentlichen Parteitag am Sternberger See sollte ein eindeutiges Signal für eine rosa-rote Koalition an Harald Ringstorffs SPD ausgehen. Man wollte auf Nummer Sicher gehen.

Schließlich waren die Sondierungsgespräche des Ministerpräsidenten mit der Union unerwartet freundlich verlaufen. Noch wußten die PDS-Politiker also nicht definitiv, daß sich die Sozialdemokraten am kommenden Tag in Güstrow für weitere Verhandlungen mit der PDS entscheiden würden. Und aus Bonn hatte Oskar Lafontaine einen Wink an die Rotsocken gegeben: "Ich halte es für falsch, der PDS zu erlauben, sich der Regierungsverantwortung zu entziehen."

Doch davon konnte in Sternberg ohnehin nicht die Rede sein. Niemand wollte ernstlich die traute Eintracht stö ren, in der sich die PDS-Vertreter im bieder geschmückten Saal des Seehotels zu Sternberg eingerichtet hatten. Nur die wenigsten der 94 Delegierten sprachen sich dafür aus, wie im Nachbarland Sachsen-Anhalt eine SPD-Minderheitsregierung zu tolerieren. "Entweder wir koalieren oder wir gehen wieder in die Opposition", brachte der Rostocker Wolfgang Methling die Stimmung auf den Punkt. In seinen Worten schwang trotzdem der Widerspruch mit, der den Sozialisten derzeit Anlaß zum Grübeln gibt. Entscheiden sie sich gegen eine Beteiligung an der Macht und für die Opposition, könnte ein Teil der Klientel der Partei künftig den Rücken kehren. Schließlich macht man sich an der Basis große Hoffnungen über die Möglichkeiten einer Regierungsbeteiligung. Stellt die PDS hingegen selbst einen Teil der Landesführung, würden sich manche ihrer Forderungen angesichts knapper Gelder als Luftschlösser erweisen und damit die Sozialisten desavouieren.

Um solchen Konflikten zu entgehen, hatte sich Sachsen-Anhalts PDS im April erneut für das Magdeburger Modell entschieden. Doch auch dort ist man skeptischer geworden, seit sich die Grenzen der tolerierten SPD-Minderheitsregierung immer deutlicher zeigen. Also gab sich selbst die Schweriner Fraktionschefin Caterina Muth, nach eigenen Worten eine "Tolerierungsanhängerin", zurückhaltend: Nicht das Modell, sondern das, was man der Bevölkerung vorweisen könne, sei entscheidend, sondern "Inhalte".

Inhalte? In einem 7-Punkte-Programm haben die Schweriner Sozialisten zusammengestellt, was zu den Basics der nun anstehenden Verhandlungen gehört: Schaffung von 20 000 Arbeitsplätzen, Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, Bildungsreformen, Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen, Verhinderung einer weiteren "Austrocknung" der ländlichen Regionen. Daß es hier nach ersten Sondierungsgesprächen mit der SPD "an vielen Stellen klemmt", wie Muth sagte, scheint allerdings verwunderlich. Denn schenkt man Aussagen Holters der vergangenen Woche Glauben, so ist unter den Koalitionären in spe hauptsächlich umstritten, wie die PDS-Forderungen finanziert werden sollen.

Und da half bisher auch nicht der Verweis der Sozialisten auf die 350 Millionen Mark, die das Bundesland ab dem Jahr 2000 aus den EU-Strukturfonds kassiert. Die SPD besteht darauf, daß die vorgesehene Obergrenze von 600 Millionen Nettoneuverschuldung um höchstens 25 Millionen überschritten wird, die PDS hingegen hält runde 100 Millionen für unabdingbar. Angesichts eines Jahreshaushalts von 14 Milliarden sind die strittigen Summen jedoch Peanuts, an denen die Koalition kaum scheitern wird. Dennoch fürchten die mecklenburg-vorpommerschen Genossen und Genossinnen, spätestens mit den Kommunalwahlen die Rechnung serviert zu bekommen. Allein in Rostock fehlten jetzt schon 30 Millionen Mark für soziale Einrichtungen, kritisiert Methling und fordert von der SPD ein klares Zeichen. Sonst sei die PDS mit einer Koalition auf der "Verliererstraße".

Das "sozialistische Profil", das man nach Meinung beinahe aller Redner und Rednerinnen in Sternberg durch eine Regierungsbeteiligung nicht preisgeben dürfe, wird wohl kaum ausgerechnet an diesen Beträgen scheitern. Vorab hatte die "antikapitalistische, systemoppositionelle Partei" (Landeschef Holter) im 7-Punkte-Programm auf andere linke Essentials verzichtet: Positionen zum Atomstandort Lubmin sucht man ebenso vergeblich wie zur Flüchtlingspolitik. "Antimilitaristen, Antirassisten und Anti-AKW-Kämpfer" seien, so kritisierte ein Redner, nicht vertreten.

Und der Delegierte Peter Ritter erntete zwar mit seinen Forderungen nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und der Abschiebehaft sowie der Einrichtung psychosozialer Betreuungsstationen für Flüchtlinge einige Zustimmung, im Verhandlungspapier fanden sie jedoch keinen Eingang. Das Programm wurde mit nur zwei Gegenstimmen verabschiedet, die Forderung des letzten Sprechers, man müsse "unabhängig davon, ob es die Massen anspricht, eigene Politikfelder belegen", verhallte beinahe ungestört im Raum.