»Ankara zeigt Zähne«

Weil Syrien die kurdische PKK unterstützt, droht die Türkei mit Krieg

"Unsere Geduld ist am Ende", drohte der türkische Präsident Süleyman Demirel vergangene Woche Syrien, dem ungeliebten Nachbarn im Südosten. Und als kleiner Vorgeschmack plazierte Ankara schon einmal Truppen an der syrischen Grenze - zu einer "Übung".

Kein großer Aufwand für die in der Region ohnehin stark präsenten türkischen Streitkräfte, geschult im Kampf gegen die kurdische Guerilla und durch Grenzübertritte in den Nordirak. Eine Frist von 45 Tagen gewährte die Türkei vergangenen Mittwoch der Gegenseite, um gegen die kurdische Separatistentruppe PKK vorzugehen. Die großen türkischen Tageszeitungen schrieben den Krieg bereits herbei: "Wir werden es ihnen zeigen", "Es ist genug" und "Ankara zeigt seine Zähne".

Der Konflikt ist uralt: Die Türkei wirft Syrien vor, die Guerilla der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu unterstützen und deren Chef Abdullah Öcalan in Damaskus Unterschlupf zu gewähren. Die PKK kämpft seit vierzehn Jahren gegen die türkischen Streitkräfte. Forderte sie zunächst einen unabhängigen Kurden-Staat, bemüht sich Öcalan mittlerweile um moderate Töne: Mehrere einseitige Waffenstillstände wurden ausgerufen, die PKK fordert nurmehr eine kurdische Autonomie innerhalb bestehender Grenzen. Ziel dieser Strategie ist es, die Verhandlungen auf eine diplomatische Ebene zu heben. Aber die Türkei weiß, daß sie dann mehr Zugeständnisse machen müßte, deshalb reduziert Ankara den Konflikt auf die PKK als Terrororganisation und weigert sich, "mit Terroristen zu verhandeln".

Syrien benutzt die PKK zweifellos als Trumpf gegen den mächtigen Nachbarn im Norden. Öcalan hat mehrere Quartiere in der Hauptstadt Damaskus, und die PKK unterhält eine Akademie und ein militärisches Trainingslager in der syrisch kontrollierten Bekaa-Ebene im Libanon. Diese Haltung Syriens resultiert aber keineswegs aus einem besonderen Verständnis für die Kurden. Die im eigenen Land lebenden Kurden mag Damaskus nämlich überhaupt nicht. Seit Jahrzehnten wird jegliche Autonomiebestrebung konsequent bekämpft und eine rigorose Arabisierungspolitik betrieben, die auch ein Zwangsumsiedlungsprogramm einschließt.

Schon 1961 wurde an der türkisch-syrischen Grenze ein "arabischer Gürtel" geschaffen: Viele Kurden mußten in die Nähe von Städten fortziehen, statt dessen wurden Araber angesiedelt. Die Duldung der PKK ist also ein taktisches Druckmittel in den traditionell angespannten Beziehungen zur Türkei.

Strittig ist zwischen beiden Ländern vor allem die Trinkwasserversorgung aus dem Fluß Euphrat. Die Türkei reguliert durch riesige Staudämme die Wasserzufuhr nach Syrien und droht gerne damit, "den Hahn zuzudrehen". Außerdem gibt es Territorialansprüche Syriens auf die nach einer Volksabstimmung 1939 in die Türkei eingegliederte türkische Provinz Hatay.

Dennoch zeigten sich die Regierungen in Damaskus und Ankara in der Vergangenheit kompromißfähig: Trotz Öcalans Aufenthalt in Syrien wurde vor elf Jahren ein Abkommen über Grenzsicherheit, wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Auslieferung von an "aufrührerischen Aktionen" beteiligten Personen unterzeichnet. In einem Zusatzprotokoll von 1992 bekräftigten beide Seiten ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Umgesetzt wurde es bisher jedoch nicht.

Die Türkei hat in der Region einen sehr schweren Stand. Die meisten arabischen Länder begegnen dem Kernland des ehemals imperial ihre Region beherrschenden Osmanischen Reiches mit großem Mißtrauen. Außerdem gilt Ankara als Verbündeter des Westens, und vor allem nimmt man der Türkei die guten Beziehungen zu Israel übel, die 1996 mit einem inoffiziellen Militärpaktes ein für die arabische Welt unakzeptables Niveau erreicht haben. Durch den Austausch von technologischem Knowhow, dem gemeinsamen Veranstalten militärischer Übungen im türkischen, weitläufigen Südosten und vor allem durch die geheimdienstliche Zusammenarbeit beider Länder versuchen Israel und die Türkei, ihre weitgehende Isolation in der Region zu puffern.

Deswegen reichte es vergangene Woche völlig aus, daß der syrische Außenminster Faruk el-Schara den Vorwurf erhob, die türkische Militärkooperation mit Israel sei der eigentliche Hintergrund der jüngsten Spannungen, um sich der Solidarität der arabischen Bruderstaaten gewiß zu werden. So unterstützt beispielsweise der als Vermittler auftretende ägyptische Präsident Hosni Mubarak die syrischen Beschwerden hinsichtlich der Aufteilung der Wasservorräte. Und andere Staaten, so Irak und Iran, haben den Konflikt ebenfalls gleich zum Anlaß genommen, sich über die Politik Ankaras in der Region zu beschweren. Vergangenes Wochenende erklärten sich 22 arabische Mitgliedsländer der Uno mit Syrien solidarisch.

Offenbar gestärkt von diesem Rückhalt ignoriert die syrische Seite die Forderungen der Türkei: Auslieferung Abdullah Öcalans und Auflösung der PKK-Stützpunkt auf syrischem Hoheitsgebiet. Der PKK-Chef werde nicht beherbergt, hieß es aus Damaskus. Statt verhandlungs- zeigte sich Syrien kampfbereit und reagierte auf die verstärkte türkische Militärpräsenz in Grenznähe mit der Stationierung von Scud-Raketen.

Für die Türkei, die sich bisher eher vergeblich bemühte, in der Region eine größere politische Rolle - vor allem als Vermittler zur westlichen Welt - einzunehmen, stößt aktuell aber auch auf den Nato-Partner USA. In Ankara ist man verärgert über die US-Bemühungen, die rivalisierenden kurdischen Gruppen im Nordirak zu versöhnen - und das ohne türkische Beteiligung. Zuletzt profitierte die Türkei von den Kämpfen zwischen den Kurdenführern Celal Talabani und Mesut Barzani, weil sie die Bildung einer funktionierenden autonomen kurdischen Region mit einem eigenem Parlament im Nordirak verhindern. Ein solcher Status wäre nämlich ein unerwünschtes und viel zu gefährliches Beispiel für die eigenen Kurden. Unter Berufung auf die Minderheit der Turkmenen im Nordirak hat Ankara deshalb schon häufig diplomatisch wie militärisch in die Region eingegriffen.

Den USA kommt der türkisch-syrische Konflikt jedenfalls denkbar ungelegen. Schließlich ist es Washington gerade erst gelungen, nach langem Stillstand den Nahost-Friedensprozeß wieder voranzutreiben. Und wenn erst einmal ein Durchbruch in der Frage des weiteren israelischen Truppenabzugs aus den palästinensischen Autonomie-Gebieten gelingt, möchte die US-Regierung auch den israelisch-syrischen Dialog wiederbeleben. Eine Auseinandersetzung des Verbündeten Türkei mit Syrien wäre eindeutig kontraproduktiv.

Der Konflikt ist aber auch ein Signal der Türkei an die Europäische Union: Nach der Beherbergung des kurdischen Exilparlaments in Italien und der erneuten Bekräftigung des Europaparlaments, die Kurdenfrage müsse diplomatisch gelöst werden, verharrt die Türkei auf ihrem Standpunkt: Der Kern des Problems sitzt - verkörpert durch Abdullah Öcalan und seine PKK - in Syrien.