Im Schutze der Demokratie

Jungle World-Gespräch mit Anne Jenssen von der antifaschistischen Gruppe Demos in Kopenhagen

Schon vor über 30 Jahren gründete sich aus der Solidaritätsbewegung gegen den Vietnam-Krieg die linke Gruppe Demos. Bis in die achtziger Jahre lag der Schwerpunkt von Demos in der antiimperialistischen Arbeit. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sie sich nun hauptsächlich mit der extremen Rechten. Seither gibt sie auch die Zeitung Demos Nyhedsbrev heraus, in der die Aktivitäten der dänischen Neonazibewegung und rechter Parteien dokumentiert wird. Anne Jenssen ist Mitarbeiterin der Kopenhagener Gruppe.

Am 15. August marschierten 130 Neonazis unter dem Motto "Rudolf Heß - das war Mord" durch das dänische Greve. Rund 5 000 Menschen nahmen an verschiedenen Gegendemonstrationen teil. Eine ganze Menge ...

Ja, es gab an diesem Tag gleich drei antifaschistische Demonstrationen. Die Jüdische Gemeinde Kopenhagens rief erstmals in ihrer Geschichte zu einer Demonstration gegen Neonazismus auf. Sie sprach sich aber nicht für ein Verbot des Marsches aus, was die Hauptforderung der Initiatoren der zweiten Demonstration war. Hier versammelten sich in der Volksbewegung gegen Neonazismus hauptsächlich ehemalige Widerstandskämpfer und die Dänische Kommunistische Partei. An diesen beiden Aktionen beteiligten sich zusammen mehr als 3 000 Menschen.

Eine dritte Demonstration fand direkt in Greve, 15 Kilometer südlich von Kopenhagen, statt. Hierzu hatte das Antirassistische Netzwerk aufgerufen, in dem auch wir mitarbeiten. Wir hatten das Ziel, dem Naziaufmarsch möglichst viele Hindernisse in den Weg zu stellen. Was uns gelang. Sie konnten weder in Kopenhagen noch in einer anderen großen Stadt einen Marsch durchführen.

Im Vorfeld wurde in den dänischen Medien das Verhältnis von Demokratie und der Tolerierung von Neonazismus breit diskutiert. Wie wird diese Frage in der dänischen Linken betrachtet?

Es gibt nur wenige, die ein Verbot von neonazistischen Aktivitäten fordern. Der größte Teil der Linken will kein Verbot, jedoch mehr Diskussionen um den Umgang mit Neonazismus. Auch die regierenden Sozialdemokraten planen keine Gesetzesänderungen in diese Richtung und liegen damit auf der Linie der anderen bürgerlichen Parteien.

Woher kommt das Vertrauen, daß die dänische Demokratie neonazistische Propaganda verträgt?

Nach gängiger Meinung ist die Gesetzgebung mit ihrem "Rassismusparagraphen" - das Verbot der sogenannten Aufstachelung zum Rassenhaß - stark genug, um die neonazistische Propaganda in Schach zu halten. Weil Neonazis im Namen der Demokratie erlaubt sind, werden sie auch von ihr geschützt.

Und was fordert Demos?

Wir wollen keine Gesetzesänderungen. Jedoch muß der "Rassismusparagraph" rigider gehandhabt werden. Wir sagen: kein Verbot, aber auch keinen Schutz. Dann werden die Nazis kaum noch Aktivitäten entwickeln können. Ein gutes Beispiel hierfür ist Meinolf Schönborns Rausschmiß aus Kvaers. 1993 versuchte Schönborn, der ehemalige Leiter der deutschen Nationalistischen Front (NF), vom dänischen Kvaers aus seinen neonazistischen Versandhandel neu aufzubauen. Als dies bekannt wurde, gab es breiten Widerstand gegen das Neonazi-Haus. Dieser mündete darin, daß nach einer nächtlichen Demonstration wütende Anwohner das Haus angriffen. Schönborn verließ nach diesen Aktionen das Land.

Steht im Hintergrund die historische Erfahrung? In Dänemark hat sich keine nationalsozialistische Massenbewegung wie in Deutschland entwickelt und die dänische Bevölkerung verhalf 1943 mehr als 6 000 Juden und Jüdinnen zur Flucht.

Daß Nazis, vor allem deutsche, in der dänischen Bevölkerung nicht akzeptiert werden, liegt vor allem in den Erfahrungen während der deutschen Besatzung von 1940 bis 1945, die sie selbst erlebt haben.

Nach der deutschen Besatzung blieben Regierung und König im Amt. Freiwillig meldeten sich 7 000 Männer zu Wehrmacht und Waffen-SS. Wurde dieser Teil der NS-Geschichte in der Öffentlichkeit aufgearbeitet?

Nein, die Zusammenarbeit zwischen der dänischen Regierung und der deutschen Besatzermacht ist ein Kapitel, das nicht beendet ist. Die Archive hierzu sind noch verschlossen. Vieles muß noch aufgearbeitet werden.

Welche Rolle spielt die extreme Rechte im Parlament?

Die kleine Fortschrittspartei und die etwas größere Dänische Volkspartei sitzen in der Folketing. Sie sind zwar politisch isoliert, aber ihre Positionen zur Einwanderungspolitik wurden zum Teil von der Regierung aufgenommen. Diese har die Gesetzgebung in den letzten Jahren unter dem Motto: "Schützt unsere Grenzen" drastisch verschärft.

Wie sehen Eure Strategien gegen Neonazismus aus?

Wir versuchen mit dem Antirassistischen Netzwerk, in dem sich Flüchtlingsgruppen, linke Jugendgruppen und autonome Antifagruppen zusammengeschlossen haben, einen breiten Widerstand aufzubauen. Kontinuierlich arbeiten wir mit dem progressiven Teil der Gewerkschaften zusammen. Unser Ziel ist es, die Neonazis gesellschaftlich zu isolieren und sie öffentlich nicht zu Wort kommen zu lassen.