In Spanien wurde der erste GAL-Prozeß abgeschlossen

Tradition und Staatsraison

In der demokratischen Aufbruchstimmung nach Francos Tod galt Felipe Gonz‡lez, Zögling der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung, als "Hoffnungsträger". Unbelastet von "totalitärer" Vergangenheit, avancierte er schon sieben Jahre nach Francos Tod zum spanischen Regierungschef. Seine Partei, die sozialdemokratische PSOE, stand für den Bruch mit den autoritären Traditionen des Franco-Staates und für die Einbindung Spaniens in die "westliche Wertegemeinschaft".

Aber Traditionen sind nicht zuletzt wegen ihrer fatalen Langlebigkeit berüchtigt. 1983 hatte die PSOE-Spitze die Grupos Antiterroristas de Liberaci-n (GAL) zwecks "Verteidigung der nationalen Integrität" ins Leben gerufen. Nach dem Vorbild südamerikanischer Todesschwadronen ermordeten spanische Polizisten gemeinsam mit internationalen Helfern wirkliche und vermeintliche Eta-Anhänger in Frankreich. Die offizielle Bilanz zählt bis heute mindestens 27 Tote.

Gonz‡lez und der PSOE droht nun der vaterländische Kreuzzug selbst zum Verhängnis zu werden. Zwar wurden im vergangene Woche abgeschlossenen GAL-Prozeß nicht die "antiterroristischen" Morde verhandelt - Gegenstand war die mit Staatsgeldern finanzierte Entführung eines loyalen Geschäftsmannes, den man mit einem Eta-Funktionär verwechselt hatte -, doch die Verurteilung des ehemaligen Innenministers und seines Staatssekretärs zu je zehn Jahren Gefängnis sollte eindeutig die PSOE mitsamt ihrem früheren Chef als kriminellen Haufen denunzieren. Zwar stieß die PSOE-Argumentation, die GAL-Methoden "hätten im Staatsinteresse gelegen" und seien schließlich auch "vor den Sozialisten angewandt worden" (NZZ) durchaus auf Verständnis, doch der neue Saubermann José Maria Aznar von der Partido Popular (PP) ist auch in dieser Hinsicht um einiges erfolgreicher.

Die Strategie der Aznar-Regierung gegen den baskischen Nationalismus kombiniert die klassischen staatlichen Repressionsmittel wie Kriminalisierung des Herri-Batasuna-Vorstandes und Verbot der linksbaskischen Zeitung Egin mit Elementen, die traditionell von der Gegenseite besetzt waren. Schon die PSOE hatte vergeblich gehofft, mit der Gewährung eines Autonomie-Status für das Baskenland die militanten Separationsbestrebungen zu befrieden. Die PP setzt nun auch auf ein für eine konservative Partei ungewöhnliches Mittel: die Massenmobilisierung fanatisierter Staatsbürger in der Manos-Blancos-Kampagne, als im vergangenen Jahr nach jedem Eta-Attentat auf PP-Kommunalpolitiker Anhänger der zentralstaatlichen Demokratie zu Hunderttausenden mit weißbemalten und -behandschuhten Händen auf die Straße gingen.

Felipe Gonz‡lez befindet sich auf dem absteigenden Ast. Noch im März war er vermittels deutscher Protektion als OSZE-"Vermittler" in das Kosovo geschickt worden. Kompetenz in terroristischen bzw. antiterroristischen Angelegenheiten qualifizierten ihn in den Augen seiner Protegés Kohl und Kinkel für diesen Job. Wenn es nach ihnen ginge, würde Gonz‡lez im nächsten Jahr auch den Vorsitz der EU-Kommission übernehmen; er wäre dann Repräsentant deutsch-europäischer Infragestellung der Dollar-Hegemonie auf den Weltmärkten. Die Zweifel des "Atlantikers" Aznar scheinen inzwischen auch in deutschen Medien ihren Niederschlag gefunden zu haben: Die Zukunftsaussichten für den einstigen "schlauen Fuchs" Gonz‡les werden mittlerweile als "mehr als fraglich" (FR) gehandelt.

Natürlich hat er recht, wenn er den GAL-Prozeß als politische Intrige der PP mit dem Ziel, "den politischen Gegner, seine sozialistische Partei also, vernichten zu wollen" (FR) wertet. Und selbstverständlich liegen deutsche Kommentatoren ziemlich daneben, wenn sie die Verurteilungen als "Sieg des Rechts" feiern. Denn das ist das Schöne an der spanischen Demokratie, daß sie noch nicht den volksgemeinschaftlichen Charakter ihres deutschen Vorbilds erreicht hat, daß an ihren Inszenierungen noch erfrischend unvermittelt der gewalttätige Charakter staatlicher Herrschaft studiert werden kann.