Autonomie - das klappt nie

Die USA haben sich mit ihrem Verhandlungsmodell für Kosovo durchgesetzt. Die Bundesregierung ist nicht begeistert, zieht aber mit

Fünf Monate nach Ausbruch der Kämpfe in der südserbischen Provinz ist für den Kosovo in der vergangenen Woche erstmals wieder eine Verhandlungslösung im Gespräch. Nach einem Treffen von EU-Vertretern mit Jugoslawiens Präsidenten Slobodan Milosevic am vergangenen Donnerstag erklärte Wolfgang Ischinger, politischer Direktor des Bonner Außenministeriums, in Belgrad: "Wir werden ihn beim Wort nehmen, denn es gibt nicht mehr viel Zeit." Milosevic habe den EU-Vertretern versichert, daß die serbische Militäroffensive im Kosovo beendet sei - auch über eine Selbstverwaltung für die südserbische Provinz habe der Präsident erstmals mit sich reden lassen.

Dennoch erscheint eher der Wunsch nach einem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen denn die tatsächliche militärische Situation Ischingers Worte bestimmt zu haben. Denn trotz der Zusage Milosevics dauerte die Belagerung der durch die Kosovo-Befreiungsarmee UCK kontrollierten Enklave Junik im Westen des Kosovo bis zum Wochenende an.

Die politischen Direktoren der Außenministerien Großbritanniens und Österreichs, die gemeinsam mit der BRD seit Anfang Juli die EU-Troika bilden, bezeichneten außerdem parallel zu Ischingers Äußerungen die Lage in den Kosovo-Ortschaften Malisevo und Kijevo als "schockierend": "Es sind klare Fälle von exzessiver Militärgewalt" zu beobachten, die bisherigen Kampfgebiete seien menschenleer und viele Häuser zerstört, hieß es. Daher wollten sie den Worten Milosevics keinen Glauben schenken, auch wenn sie auf die bislang erhobenen Genozid-Vorwürfe an die Adresse des jugoslawischen Präsidenten diesmal verzichteten.

Die erneute Annäherung der EU an Milosevic dürfte aus der diplomatischen Offensive der USA resultieren. Durch die Pendeldiplomatie des US-Beauftragten für Restjugoslawien, Richard Holbrooke, und des US-Botschafters in Mazedonien, Christopher Hill, drohte den Europäern die Verhandlungsführerschaft im Kosovo-Konflikt in den letzten Wochen zu entgleiten. Deswegen die Kooperation mit Milosevic.

Nachdem die EU-Staaten innerhalb der Nato noch bis vor einem Monat Militärschläge gegen serbische Stellungen nicht ausschließen wollten, setzt die EU-Troika nun verstärkt auf eine Verhandlungslösung zwischen Belgrad und den Separatisten im Kosovo. Nicht zuletzt abgeschreckt durch militärische Berechnungen des Nato-Rats, wonach für eine Intervention bis zu 100 000 Soldaten benötigt würden (Jungle World, Nr. 31/98), nahm die EU ihre Drohszenarien letzte Woche zurück.

Allen verbalen Unterstützungsappellen an die bewaffneten Sezessionisten der UCK zum Trotz, ist ein Waffenstillstand mittlerweile oberstes Ziel der EU-Diplomatie. Auf Druck der US-Amerikaner, die sich in der Balkankontaktgruppe gegen die EU-Forderung nach einem Rückzug der serbischen und jugoslawischen Einheiten aus der umkämpften Provinz durchsetzten, wollen sie zumindest den Verhandlungstisch nicht allein Washington überlassen.

Mit der Ankündigung Milosevics, die Militäroffensive sei beendet, sind zudem die Kosovo-Separatisten wieder in Zugzwang geraten. Die von Milosevic seit Beginn der Krise Anfang März eingeschlagene Taktik, dem selbsternannten Kosovo-Präsidenten Ibrahim Rugova Gesprächsangebote zu unterbreiten, die dieser konsequent ablehnte, ist damit erfolgreich: Denn EU und USA wollen Verhandlungen, und Milosevic hat seine Bereitschaft dazu bereits erklärt. Die militärischen und politischen Repräsentanten des Kosovo hingegen streiten um eine gemeinsame Regierungs- und Verhandlungsmannschaft.

Die stillschweigende Bonner Unterstützung der UCK-Rebellen im Kampf für ein unabhängiges Kosovo scheint nach dem Treffen der letzten Woche ein vorübergehendes Ende gefunden zu haben. Aus dem europäischen Konsens, daß eine Abspaltung des Kosovo von Jugoslawien nur weitere Instabilität auf dem Balkan schaffen würde, mag auch die Bundesregierung zur Zeit nicht ausbrechen. Ischingers Chef, Außenminister Klaus Kinkel, kündigte Ende letzter Woche an, er werde Gespräche mit den UCK-Unterstützern in der BRD führen, um zu verhindern, daß von Kosovo-Albanern gespendetes Geld weiterhin zu Waffenkäufen für die UCK genutzt werde.

Auch dies ist ein Zugeständnis an die USA. Holbrooke hatte vor Monatsfrist insbesondere von der BRD gefordert, durch Sperrung von Konten den Waffennachschub für die Skipetaren-Guerilla zu unterbrechen. Kinkel zerpflückte dann auch in der vergangenen Woche in einem Interview mit der Berliner Zeitung die von Bonn geschürten Hoffnungen der UCK, die stets auf einen Nato-Eingriff spekuliert hatten: "Die UCK hat drei unrealistische Vorstellungen: Erstens, sie glaubt, sie könne Unabhängigkeit erreichen, das wird nicht möglich sein und zwar einfach deshalb, weil niemand in der Völkergemeinschaft bereit ist, eine solche Unabhängigkeit und mögliche Grenzveränderungen zu unterstützen." Kinkels zweiter Einwand gegen die Separatistenstrategie kommt einer Anerkennung von Milosevics Kriegspolitik in seiner Südprovinz gleich. Nachdem Einheiten der jugoslawischen Armee und der serbischen Polizei die UCK-Hochburgen Malisevo und Kijevo im Zentralkosovo zurückerobert hätten und die Enklave Junik an der Grenze zu Albanien ebenfalls von jugoslawischen Militärs belagert sei, erklärte Kinkel, sei es unrealistisch, daß die UCK sich militärisch gegen Belgrad durchsetzen könne.

Anfang Juni noch ermutigt durch das Nato-Flugmanöver "Determined Falcon" über Albanien und Mazedonien, scheint die UCK mit ihrer Strategie einer "Daytonisierung" des Konflikts gescheitert zu sein. Kinkel stellte klar: "Die UCK glaubt, sie könne durch ihre militärischen Aktionen die Nato in ein Engagement hineinzwingen. Das Gegenteil ist der Fall." Obwohl es bereits zu Schießereien zwischen jugoslawischen Soldaten und albanischen Grenztruppen gekommen ist, will Kinkel von einer Ausweitung der Kämpfe nach Albanien oder Mazedonien nichts wissen. Das Faustpfand der UCK - die Ausbreitung der Kämpfe auf die Nachbarstaaten und Montenegro - scheint ihr derzeit nicht weiterzuhelfen.

Mit dem Fall ihrer Hochburg Malisevo mußte die albanische Guerilla binnen zehn Tagen die dritte Niederlage hinnehmen. Am letzten Juli-Wochenende hatte die serbische Polizei bereits Orahovac zurückerobert, Anfang letzter Woche gelang es der jugoslawischen Armee, die seit Monaten von der UCK kontrollierte Hauptverkehrsstraße von Pristina nach Pec bis Kijevo unter ihre Kontrolle zu bringen. Damit steht das von den Sezessionisten besetzte Gebiet im Mittelkosovo vor dem Zerfall in zwei Teile.

Und auch innenpolitisch droht der UCK weiterer Prestigeverlust. Hatten die Rebellen gegenüber Rugova immer mehr an Boden gewonnen, scheint nun der "Kosovo-Gandhi" wieder die Oberhand zu gewinnen. Wie die in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, erscheinende Tageszeitung Koha Ditore berichtete, gebe es in Kosovo eine neue Koalitionsregierung. Demnach ist Mehmet Jajrizi, Generalsekretär der Albanischen Demokratischen Bewegung, neuer Regierungschef und ersetzt den in Deutschland lebenden Ministerpräsidenten Bujar Bukoshi, der Rugovas Demokratischer Liga des Kosovo angehört. Der Vorsitzende der Parlamentarischen Partei, Adem Demaci, soll zum Verhandlungsführer in Gesprächen mit Belgrad ernannt worden sein. Nach dem Zeitungsbericht hat die UCK in der Regierung die Ressorts Verteidigung und Polizei zugesprochen bekommen. Deren Sprecher Jakup Krasniqi bekräftigte daraufhin Ende letzter Woche die UCK-Position, wonach kein Politiker das Mandat habe, für die bewaffnete Gruppe zu sprechen und in ihrem Namen zu verhandeln.

Den Bemühungen Kinkels, Milosevic weiter zu schwächen, stehen die innenpolitischen Veränderungen im Kosovo jedoch nicht im Wege. Auch wenn ein Angriff der Nato vorerst in den Hintergrund getreten ist, hält sich der FDP-Mann die militärische Option weiter offen. Das Modell Dayton dient dabei als Vorbild; ein Protektorat innerhalb Jugoslawiens ist das Ziel. Die Frage der Berliner Zeitung, ob er eine "militärische Sicherung" im Kosovo selbst erwäge, antwortete er lakonisch: "Richtig."