Grenzverschiebungen sind möglich

Interview mit Pernando Barrena, Vorstandsmitglied von Herri Batasuna

Viele politische Kräfte im Baskenland beziehen sich positiv auf den Friedensschluß in Irland. Inwiefern könnte die Entwicklung in Nordirland sich auf die hiesige Situation auswirken?

Der Prozeß in Irland hat einen pädagogischen Effekt. Die dortige Entwicklung und das Dokument von Stormont Castle belegen, daß es sich um politische Konflikte handelt, die durch Verhandlungen gelöst werden können. Das gilt auch für das Baskenland. Früher wurde immer von Friedensprozessen geredet, die außerhalb Europas in der sogenannten Dritten Welt stattfanden. Im kapitalistischen Europa schien es zum Beispiel unmöglich, Grenzen zu verschieben. Dabei ist heute alles möglich, wenn es von allen Seiten den wirklichen Willen zu einer Konfliktlösung gibt.

Seit einigen Jahren schon redet die Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland von Friedensverhandlungen, warum sollten sie ausgerechnet jetzt zustande kommen?

Zwar versucht die Regierung unverändert, die Auseinandersetzungen durch polizeiliche Maßnahmen zu beenden, aber es gibt Anhaltspunkte dafür, daß auch der spanische Staat zu einer politischen und demokratischen Lösung am Verhandlungstisch bereit ist.

Nachdem der Konflikt in Irland mittlerweile gelöst wurde, ist das Baskenland in Europa die einzige Region, in der es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt. Das schafft einen Druck auf die spanische Regierung, den es bisher nicht gab. Andererseits müssen wir in der baskischen Gesellschaft Druck auf jene ausüben, die keine Dialoglösung wollen und sie überzeugen, daß wir miteinander reden müssen.

Sie sind sehr optimistisch, obwohl die gesamte ehemalige Leitung von Herri Batasuna im Gefängnis ist. Sie soll ein Video von Eta veröffentlicht haben, in dem Eta der spanischen Regierung ein Verhandlungsangebot zur Entmilitarisierung des Konflikts machte. Zudem wurde der Parteisitz von HB in Vitoria mit Wanzen, Kameras und durch Agenten des militärischen Geheimdienst bespitzelt.

Das hängt natürlich mit dem besonderen Charakter der spanischen Demokratie zusammen. Sie ist ein fast totalitäres System, in das die Politik und Medien involviert sind. Es gibt eine starke Tendenz zur Manipulation der Leute durch die Massenkommunikationsmedien. Deshalb kann Herri Batasuna als legale politische Organisation mit mehr als 600 Mandatsträgern durch Geheimdienst und Polizei ausspioniert und verfolgt werden.

Ähnlich ergeht es aber auch der Kommunistischen Partei. In einem anderen Land, beispielsweise in Deutschland mit seiner demokratischen Tradition, wären diese Vorfälle skandalös, hier sind sie ganz normal. Im spanischen Staat gibt es wie in keinem anderen Mitgliedsland der Europäischen Union einen ausgebauten Polizei- und Militärapparat. Die Beeinträchtigungen der demokratischen Freiheiten ist äußerst erschreckend.

Früher hat die Sozialistische Alternative KAS, ein Sammlungsprojekt mit sozialistischem Selbstverständnis, die politischen Ziele formuliert. Heute aber wendet sich Herri Batasuna an die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) als Bündnispartner. Die steht aber eher rechts und für ein anderes Gesellschaftsmodell.

Um überhaupt etwas zu erreichen, ist es wichtig, mit den anderen baskischen Parteien einen Minimalkonsens zu finden. Wir müssen versuchen, alle nationalistischen oder fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte des Baskenlandes einzubinden, bei der die politischen Unterschiede erst einmal zurückstehen sollten. In sozio-ökonomischen Fragen oder der Etablierung der baskischen Sprache haben wir ja auch gemeinsame Interessen. Außerdem haben wir im Baskenland den großen Vorteil, daß die nationalistischen Kräfte in der Mehrheit sind.

In Nordirland hat die IRA durch einen einseitigen Waffenstillstand den Verhandlungsprozeß enorm vorangebracht. Wäre ein solcher Schritt von Eta nicht notwendig?

Vor einer solchen Maßnahme muß Eta vom spanischen Staat zuerst gewisse Garantien verlangen. Momentan scheint man in Madrid dazu nicht bereit zu sein. Und nicht nur in Madrid - auch der baskische Ministerpräsident Ardanza hat davor gewarnt, auf einen Waffenstillstand der Eta als Mittel zur Spaltung der "Einheit aller demokratischen Kräfte" hereinzufallen.

Vor einem Waffenstillstand wäre es unvermeidbar, daß es politische Kontakte zwischen Eta und der spanischen Regierung gibt, um die Verhandlungsbereitschaft zu sondieren, wo beide Seiten deutlich machen, zu welchen Zugeständnissen sie bereit sind. Ohne einen solchen Schritt, bei dem auch die Regierung anerkennt, daß es von Eta eine Bereitschaft zu einer politischen Lösung gibt, wäre ein Waffenstillstand völlig unnütz.

Der heute 32jährige Pernando Barrena trat mit 15 Jahren dem Wahlbündnis Herri Batasuna bei. 14 Jahre lang war er Mitglied des Parlamentes seiner Heimatstadt Berri Iozar und stieg im Februar in die Parteiführung auf. Barrena beobachtete für HB den Friedensprozeß in Irland.