Gegen den Fetisch Arbeit

Gibt es etwas Elenderes als mit einem Schild mit der Aufschrift "Nehme jede Arbeit an" durch die Gegend zu laufen? So gesehen bei der Erwerbslosendemo in Saarbrücken - in einer Gesellschaft, in der nur Menschen mit einem Job Wertschätzung genießen, ist es kein Wunder, wenn der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit zuweilen irrationale Züge trägt. Zumal, wenn sich die Gewerkschaften mit den Erwerbslosen verbünden: Die Forderungen der Initativen müßten gemeinsam mit denen der Beschäftigten in einer sozialen Bewegung gegen Arbeitslosigkeit gebündelt werden, forderte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ursula Engelen-Kefer. Arbeit, Einkommen und Vermögen, so die DGB-Vizechefin weiter, müßten gerechter verteilt, schon vorhandene Möglichkeiten wie Teilzeitarbeit verstärkt genutzt werden, ebenso wie der Abbau von Überstunden.

Warum aber malochen Beschäftigte freiwillig über die Regelarbeitszeit hinaus? Wahrscheinlich, weil sie die Hypothek fürs Haus, die Rate fürs Auto zurückzuzahlen haben, vielleicht, weil sie für den nächsten Urlaub oder für die Ausbildung der Kinder sparen. Ihnen die Überstunden zu versagen, heißt, innerhalb der Klasse zu verteilen. Und was bedeutet eine gerechtere Einkommensverteilung? Wer bestimmt, wem etwas weggenommen wird? Teilzeitarbeit kann sich auch nur leisten, wer genügend verdient.

Der DGB war schon immer der Wahlverein für die Sozialdemokratie, besonders vor Bundestagswahlen. Weil aber immer weniger Mitglieder auf ihre Gewerkschaften hören, die Versammlungen kaum besucht werden, brauchen die Gewerkschaften eine neue Kulisse, vor der die Botschaft von Arbeit und sozialer Gerechtigkeit verkündet werden kann. Hier fordert auch die sogenannte Mediengesellschaft ihren Tribut.

Daher muß die sich formierende Erwerbslosenbewegung höllisch aufpassen, daß sie nicht zu einer Alibiveranstaltung des DGB verkommt. Denn Gewerkschaftsfunktionäre sind Kinder des Wirtschaftswunders. Sie hängen den alten Rezepten nach: Einkommen bedeutet Nachfrage, diese erhöht die Produktivität und vermehrt den Wohlstand. Über den Sinn der Arbeit, der Arbeitsverhältnisse und der produzierten Güter wird nicht nachgedacht. Ein Beispiel: Das Werbeverbot für Tabakprodukte. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, hat nichts besseres zu tun, als davor zu warnen. Er betonte, von einem solchen Verbot seien 400 000 Menschen negativ betroffen. Mit der gleichen Logik könnte er die Mafia auffordern, mehr Menschen zu ermorden, schließlich sichere dies die Arbeitsplätze von Sargtischlern und Friedhofsgärtnern. Damit die Erwerbslosenbewegung nicht unter die Räder des DGB kommt - er ist gerade dabei, sich ihrer zu bemächtigen - muß sie eigenständige Forderungen entwickeln. Zum Beispiel nach einer Grundsicherung. Und wer arbeiten möchte, sollte nicht zur Annahme jedes Jobs gezwungen werden, sondern soll selbstbestimmtes Arbeiten fordern können. Die Erwerbslosenbewegung darf sich nicht dem Fetisch Arbeit um jeden Preis unterordnen. Die Krux dabei ist nur: Noch sind die meisten Erwerbslosengruppen finanziell von den Gewerkschaften abhängig und solange dies so ist, werden die DGB-Fürsten das Handeln diktieren. Schade eigentlich. Es wäre schön, wenn mal etwas wirklich Neues entstünde.