Italien und der Euro

Justice can wait

Eigentlich sollte das alles längst vorbei sein. Korruption, Bestechung, Ämter- und Auftragsvergabe nach Parteibuch und Proporz, Tangentopoli als Primärökonomie, kurz: Italiens Erste Republik.

Oberflächlich betrachtet, sprach vieles dafür, daß der Übergang zur Zweiten Republik keinen Übergang, sondern einen Bruch darstellte. Die Ermittlungen der Mailänder Staatsanwaltschaft unter Antonio di Pietro gegen Bankiers, Anwälte, Politiker, der Niedergang der Democrazia Cristiana unter Giulio Andreotti und des Partito Socialista unter Bettino Craxi, der Wechsel zu einem bipolaren parlamentarischen System ...

Italien sollte auf den Weg zu einem stinknormalen bürgerlichen Staat unter anderen stinknormalen bürgerlichen Staaten in Europa gebracht werden: Mit dem üblichen Maß an Korruption und Klientelwirtschaft - aber im Rahmen des bürgerlichen Rechtsstaates.

Doch schon die Rechts-Regierung (Lega Nord, Alleanza Nazionale und Forza Italia) ab 1994 mit dem Craxi-Vertrauten Silvio Berlusconi als Premier wies mehr fließende Übergänge denn Brüche auf. Ebenso die Kontinuität von Senatoren und Parlamentariern in teils alten, teils neuen Parteien - auf seiten des Polo della libertˆ wie des Ulivo-Bündnisses. Und auch die Anklagen und Prozesse gingen weiter: Im Dezember vergangenen Jahres erwischte es sogar Silvio Berlusconi, mittlerweile Polo-Oppositionschef.

Wegen Bilanzfälschung wurde er von einem Mailänder Gericht zu 16 Monaten Haft (die er aber nicht absitzen muß) und zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt. Mit seinem Firmenimperium Fininvest ist er in über 20 weitere Verfahren wegen Bestechung, Vorteilnahme, illegaler Parteienfinanzierung und ähnlicher Kavaliersdelikte verwickelt. Am 3. Februar wird das nächste Verfahren - wegen Bilanzfälschung und schnöder Steuerhinterziehung - gegen ihn eröffnet.

Auch seinem Anwalt und Vertrauten, Cesare Previti, sollte in der vergangenen Woche der Prozeß gemacht werden. Die Staatsanwaltschaft in Mailand versuchte, Previti die parlamentarische Immunität wegen "Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr" entziehen zu lassen. Dem ehemaligen Außenminister wird vorgeworfen, Schmiergelder in zweistelliger Milliardenhöhe (Lira) gezahlt zu haben, um Richter-Entscheidungen (bei Ermittlungen gegen Berlusconi und leitende Mitarbeiter seines Konzerns) zu beeinflussen. Die Gelder sollen von Fininvest stammen und über Schweizer Konten an die entsprechenden Richter weitergeleitet worden sein.

Doch mit 341 zu 248 Stimmen lehnten die Abgeordneten eine Aufhebung der Immunität Previtis deutlich ab. Die Übermacht des Mitte-Links-Bündnisses im Abgeordnetenhaus war dabei günstig, viele "Exdemocristiani" und "Exsozialisti" sind bei Ulivo untergekommen. Aussagen Previtis vor Gericht - und damit eine erneute Behinderung der Politik durch die Justiz - passen ihnen nicht ins Konzept.

Was zur Zeit gar nicht so schlecht ist. Ist doch die Teilnahme Italiens an der europäischen Währungsunion seit der Billigung des italienischen Haushaltsplans durch die EU-Finanzminister in der vergangenen Woche erstmals seit langer Zeit wieder in greifbare Nähe gerückt. Anfang Mai soll auf einem EU-Sondergipfel offiziell über die Teilnehmer entschieden werden. Verurteilungen wegen Klüngel und Korruption wären bis dahin nur Wasser auf die Mühlen der deutschen und niederländischen Gegner eines raschen Beitritts Italiens zur Währungsunion.