Der Muffin-Man als Präsident

Zappa-Fan Vaclav Havel gewann knapp die Wahlen im tschechischen Unterhaus und Senat

Das war knapp: Zwar erhielt Vaclav Havel Mitte vergangener Woche im ersten Wahlgang nicht die nötige absolute Mehrheit, im zweiten Wahlgang wurde das "Gewissen der Nation" dann aber doch (mit 99 von 197 Stimmen im Unterhaus und 47 von 81 im Senat) wiedergewählt. Die "Stimme des Volkes", wie 1989 der erste, damals noch tschechoslowakische Nachwende-Präsident allseits genannt wurde, soll nun Anfang Februar zum zweiten und letzten Mal für fünf Jahre als tschechischer Staatspräsident vereidigt werden.

Als ob die politische Klasse Tschechiens mit ihrer seit Mitte November währenden Regierungskrise nicht genug zu tun hat, sollte der "Dichterpräsident" - so Havels dritter Kosename - auch noch gekippt werden. Abgeordnete der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) um den Ex-Premier Vaclav Klaus votierten in beiden Wahlgängen gegen Havel. Sie halten ihm vor, im November 1997 an "einem Putsch gegen Klaus" beteiligt gewesen zu sein. Klaus war seinerzeit über eine Parteispenden- und Korruptionsaffäre gestürzt und mußte seinen Posten als Ministerpräsident an den parteilosen Josef Tosovsky abgeben. Dieser steht seit seiner Vereidigung Anfang Januar einem Interimskabinett vor, das Tschechien bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im Juni regieren soll.

Im liberal-konservativen Regierungsbündnis sind auch zahlreiche Ex-ODSler vertreten, wie der alte und neue Finanzminister Ivan Pilip und der ehemalige Innenminister Jan Ruml. Zusammen mit rund einem Drittel ehemaliger ODS-Abgeordneter im tschechischen Unterhaus waren Pilip und Ruml vor einigen Wochen aus der ODS ausgetreten. Die von Ruml neugegründete Union der Freiheit (US) erhielt dafür im Gegenzug vier Ministerposten im Kabinett Tovorsky, das dennoch auf die Tolerierung durch die oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) angewiesen ist. Havel hatte das Zustandekommen eines Regierungsbündnisses unter Ausschluß der ODS nach Kräften gefördert, wofür ihn die ODS-Parlamentarier nun strafen wollten.

Kritik an der Amtsführung Havels wurde aber auch von anderer Seite laut: KP-Chef Miroslav Grebenicek warf dem 61jährigen kurz vor seiner Wiederwahl vor, gegenüber Deutschland "eine schwache und devote Haltung" einzunehmen. Die rechtsextremistische Republikanische Partei (RSC) wirft dies Havel seit Jahren vor. Ihr Parteivorsitzender Miroslav Sladek trat daher selbst als Präsidentschaftskandidat an, zumindest auf dem Papier. Denn während in Prag gewählt wurde, saß Sladek im Prager Gefängnis Pankrac in U-Haft. Sladek hatte für zwei Wochen eingesessen, da er wiederholt einer gerichtlichen Vorladung nicht gefolgt war. Von der Staatsanwaltschaft in Prag war er im Juni vergangenen Jahres erstmals wegen "Anstiftung zum Rassenhaß" angeklagt worden. Hintergrund: Bei einer Demonstration seiner Partei anläßlich der Unterzeichnung der "Deutsch-Tschechischen Versöhnungserklärung" vor einem Jahr soll Sladek gesagt haben, die Tschechen könnten nur bedauern, daß sie im Zweiten Weltkrieg "zu wenig Deutsche erschlagen" hätten. Doch seit Freitag vergangener Woche ist der Tschechische Nazi-Führer wieder frei: Ein Prager Gericht befand, daß ein Straftatbestand nicht erfüllt sei, da der von Sladek geäußerte Satz von den Anklägern aus dem Zusammenhang gerissen worden sei. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.

Die vorläufige Entlassung Sladeks scheint dem öffentlichen Druck geschuldet zu sein: Die 18 Unterhaus-Abgeordneten der Republikaner waren - unterstützt von der RSC-Anhängerschaft - in den vergangenen Wochen nicht müde geworden, den "politischen Prozeß" Sladeks mit "stalinistischen Schauprozessen der fünfziger Jahre" zu vergleichen. Ein Argument, das in Tschechien gut ankommt. Daß Sladek in der Vergangenheit des Landes als Mitglied der tschechoslowakischen Zensurbehörde selbst zu den Hardlinern gehörte, interessiert hingegen kaum noch. Vor allem nicht die Mitglieder und Sympathisanten des RSC: In der offiziellen Partei-Biographie Sladeks fangen dessen politische Aktivitäten erst 1989 an.

Im Parlament sind die Republikaner bisher vor allem durch Hetze und Prügeleien aufgefallen. "Wenn wir dich eines Tages ins Gas schicken, winken wir dir nicht einmal zu", rief im vergangenen Jahr ein RSC-Hinterbänkler dem sozialdemokratischen Abgeordneten Pavel Dost‡l zu. Einige Tage später wurde Dost‡l von RSC-Sympathisanten vor dem Parlament niedergestochen. Doch ein von den Sozialdemokraten angeregtes Verbot der RSC wurde weder von konservativen Parteien noch von Präsident Havel unterstützt. Dort ecken die Faschisten anscheinend nur wegen ihrer feindlichen Haltung gegenüber Deutschland an. "Nur ein toter Deutscher" sei "ein guter Deutscher", äußerte Sladek im letzten Jahr, und das ausgerechnet während des Staatsbesuchs von Bundeskanzler Helmut Kohl, auf den die politischen Eliten Tschechiens seinerzeit noch als Fürsprecher einer EU- und Nato-Integration Tschechiens setzten. Die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Sladeks - zusammen mit der von zwei weiteren RSC-Abgeordneten - durch die Abgeordnetenkammer ging danach in Rekordzeit über die Bühne.

Mehrere Verfahren gegen Republikaner-Funktionäre wegen verbaler oder physischer Angriffe gegen Roma ziehen sich hingegen seit Monaten in die Länge. Genauso wie die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft bei zahlreichen antiziganistischen Übergriffen. Erst vor zwei Wochen warf in Ostrava ein bislang unbekannter Täter einen Brandsatz in die Wohnung einer Roma-Familie, zwei Menschen wurden verletzt. Nur kurze Zeit später ging - ebenfalls in Ostrava - das Auto eines Roma in Flammen auf. Ostrava gilt zwar als RSC-Hochburg, doch lassen sich antiziganistische Angriffe landesweit beobachten.

Auf den Zusammenhang von institutioneller Diskriminierung und rassistischen Anschlägen wies Le Monde Diplomatique bereits im Oktober hin: "Häufig von der tschechischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, zu 70 Prozent arbeitslos und jeder Art von Kriminalität beschuldigt, werden die Roma häufig Opfer von Gewalttaten, die von der rassistischen Ideologie der rechtsextremen Republikanischen Partei beeinflußt sind." Städtische Behörden versuchen seit Jahren, Roma loszuwerden, indem sie ihnen Flugtickets nach Kanada schenken wollen. Doch manchen Bürokraten geht das noch nicht weit genug. Man müsse, äußerte im vergangenen Herbst Zdenek Klausner, Bezirksbürgermeister des größten Prager Stadtbezirks, "die asozialen Bevölkerungsschichten" - gemeint sind die in Prag lebenden Roma - "in Gebiete außerhalb der Stadt umsiedeln".