Rattenkönig gestürzt

Billy Wright kämpfte zu Lebzeiten gegen die Friedensgespräche in Nordirland. Erst sein Tod kann sie ernsthaft gefährden

"Es ist nur eine Frage der Zeit, wer diesen Bastard zuerst kriegt, wir, die IRA, oder die Ulster Volunteer Force", erklärte Hugh Annesley, der nordirische Polizei-Präsident, kurz bevor er sich vor zwei Jahren ins Privatleben zurückzog. Annesleys Erklärung galt dem Führer der Loyalist Volunteer Force (LVF) und gefürchtetsten Killer der loyalistischen Bewegung, Billy Wright. Am 27. Dezember letzten Jahres erschossen ihn im Hochsicherheitsgefängnis Maze nahe Belfast drei Gefangene der Irish National Liberation Army (INLA).

Wright war gerade dabei, in seinem Zellenblock einen Kleinbus zu besteigen, mit dem er in die Besucherzone gefahren werden sollte, als die auf dem Dach des Gebäudes versteckten INLA-Leuten ihn niederstreckten. Später stellten sich die drei und übergaben der Polizei die zwei Tatwaffen. In einer Erklärung nannte die als marxistisch geltende paramilitärische Organisation der Erschießung Wrights eine Reaktion auf den "anhaltenden Völkermord an Nationalisten" in Nordirland. Sowohl die INLA als auch die LVF lehnen den derzeitigen Waffenstillstand ab. Die LVF versprach Rache für den Anschlag, und noch am selben Tag wurde das IRA-Mitglied Seamus Dillon, der 14 Jahre wegen Mordes an einem Loyalisten im Gefängnis saß, vor einem Hotel in der nationalistischen Hochburg Dungannon erschossen. Dillon arbeitete als Türsteher und versuchte, die Gäste einer im Hotel stattfindenden Tanzveranstaltung vor dem Kommando zu schützen.

Am Silvesterabend kostete ein Feuerüberfall loyalistischer Extremisten auf die Cliftonville Tavern, einer Bar im katholischen Viertel Belfasts, einen Menschen das Leben, fünf weitere Besucher wurden verletzt. Zwei maskierte Angreifer stürmten die Bar und schossen mit Maschinenpistolen wahllos auf die Gäste. Die erst nach dem vorläufigen Ende der gewalttätigen Auseinandersetzungen eröffnete Kneipe in einem der gefährlichsten Viertel Belfasts wurde von den Nationalisten umgehend in "Waffenstillstands-Bar" umgetauft: An gleicher Stelle eine Kneipe zu betreiben war in den Kriegsjahren nicht möglich. Belfast ist Territorium der Ulster Volunteer Force (UVF), der größten paramilitärischen Organisation der Loyalisten. Daher gilt als sehr unwahrscheinlich, daß die LVF ein solches Attentat innerhalb der Stadtgrenzen ohne die Zustimmung der größeren UVF verüben konnte.

Sollte sich das bestätigen, würden die am 12. Januar in eine neue Runde gehenden Friedensgespräche, an denen die UVF beteiligt ist, in Gefahr geraten. Sollten Kader der UVF vorab von dem Attentat Kenntnis gehabt haben, gilt deren Ausschluß von den Verhandlungen als sicher. Die Möglichkeit, daß Anschläge von der Art des Überfalls auf die Cliftonville Tavern jeden beliebigen Katholiken in Nordirland treffen können, wird von loyalistischen Gruppen seit Jahren bewußt eingesetzt: Die daraus resultierende Angst innerhalb der katholischen Bevölkerung hat laut Meinung vieler Protestanten die IRA dazu gezwungen, den Krieg gegen Großbritannien zu beenden. In den dem Waffenstillstand von 1994 vorausgehenden Jahren brachten loyalistische Gruppen mehr Menschen um als IRA und INLA zusammen.

So wird davon ausgegangen, daß Billy Wright selbst bis zu 20 Morde begangen hat. "Entweder werde ich zu Unrecht verurteilt, erschossen oder eines Tages einfach verschwinden", erklärte er im Herbst 1996, über ein Jahr vor seiner Ermordung. Wright entging mehreren Versuchen der IRA, ihn zu eliminieren und engagierte sich vehement gegen die anlaufenden Friedensverhandlungen: Mitsamt seinen Anhängern aus der Grafschaft Tyrone wurde er im Juni 1996 aufgrund des Mordes an dem katholischen Taxi-Fahrer Michael McGoldrick während des bereits in Kraft getretenen Waffenstillstandes aus der UVF ausgeschlossen. "Rattenkönig" Wright, wie er sich selbst nennen ließ, trat daraufhin zusammen mit einem Parteikollegen von Pfarrer Ian Paisley bei einer Veranstaltung auf und rief die Loyalist Volunteer Force ins Leben.

Die sogenannte "Dial a catholic"-Taktik wurde weiterhin benutzt, um ohne größere Vorbereitungen an Opfer zu gelangen: Wahlweise wurden Taxi oder Pizza von einer Firma aus katholischem Gebiet per Telefon geordert, der Taxi-Fahrer respektive der Pizzalieferant wurden dann bei Ankunft prompt erschossen. Der Rattenkönig erschoß seine Opfer stets aus nächster Enfernung, da es ihm wichtig war, zuerst die Angst in den Augen seines Opfers zu sehen. Mit derselben Pistole, mit der Wright in den Kopf von Michael McGoldrick schoß, wurde im Juli dieses Jahres auch Bernadette Martin, eine 18jährige Katholikin hingerichtet, als sie neben ihrem protestantischen Freund im Bett lag. Zwei Funktionäre des Verbandes für irische Sportarten und ein katholischer Tramper, der zu Tode geprügelt wurde, fielen seitdem der LVF zum Opfer.

Das gelungene Attentat auf Wright ist nur eine weitere Panne in einer Reihe von Sicherheitsmängeln im angeblich sichersten Gefängnis Europas. Im Maze-Gefängnis sind zur Zeit 700 politische Gefangene beider Seiten inhaftiert - streng nach ihren Organisationen getrennt und in verschiedenen Blocks untergebracht. Nach dem Hungerstreik des Jahres 1981, als sich zehn Mitglieder von IRA und INLA im Kampf um die Anerkennung als "Kriegsgefangene" zu Tode hungerten und nach spektakulären Massenausbrüchen ist das Gefängnis nun tatsächlich eine Art Kriegsgefangenenlager - ständig von Elitetruppen umgeben. Wollen die Vollzugsbeamten einen der Blöcke von Maze betreten, müssen sie bei den "Kommandeuren" der jeweiligen Organisation um Erlaubnis bitten. Im Gegensatz zu der scharfen Bewachung des umliegenden Territoriums herrschen im Gefängnisinneren nahezu laxe Verhältnisse, die die Hinrichtung von Wright ermöglichten. Angesichts der jüngsten Entwicklungen gilt nun als fraglich, ob der nordirische Friedensprozeß weiterhin Bestand haben wird.