Kommt kein Schiff mehr

Wenn Giorgio Napolitano, Innenminister der italienischen Mitte-Links-Regierung, öffentlich spricht, hören zur Zeit alle genau hin. Denn seine Äußerungen bewirken in Europa schier Unmögliches.

"Wir werden allen Kurden, die darum bitten, politisches Asyl geben", äußerte er in der vergangenen Woche, woraufhin Österreich trotz der seit zwei Monaten aufgehobenen Grenz- und Zollformalitäten wieder zu Kontrollen an seiner Grenze zu Italien überging. Damit nicht genug: Das seit dem Luxemburger EU-Gipfel mehr als angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei hat sich schlagartig verbessert. Beide Staaten sind sich zumindest in ihrer Forderung gegenüber Italien einig: Macht endlich die Grenzen dicht, laßt keinen mehr rein und schmeißt die wieder raus, die schon drin sind, heißt es gleichermaßen aus Ankara und Bonn.

Nicht nur die inhaltliche, sondern auch die sprachliche Übereinstimmung - beide Staaten schimpfen auf "Wirtschaftsflüchtlinge", "Illegale" und "Flüchtlingsströme" - zeigt in Italien entsprechend Wirkung: Zuerst hieß es in Rom, man wolle bei den Ende Dezember und Anfang Januar gestrandeten 1 350 Flüchtlingen nur prüfen, ob diese aus Gebieten kommen, die der staatlichen Repression in der Türkei ausgesetzt sind. Danach, daß selbstverständlich die "Ängste" und Mahnungen der anderen europäischen Staaten ernstgenommen würden. Verstärkte Kontrollen der Ostküste in Süditalien sind die Konsequenz. Mittlerweile hat die italienische Regierung einer "italienisch-türkischen Expertenkommission" den Auftrag gegeben, ein "Abkommen zur Rückführung von Wirtschaftsflüchtlingen" zu erarbeiten.

Die Ausrichtung des Flüchtlingsabkommens ist klar: Die Ausreise von Flüchtlingsschiffen soll schon im Vorfeld verhindert werden. Das heißt, daß die von Ankara als PKK-Organisationen bezeichneten "Schlepperbanden" bekämpft und der "Sumpf der organisiertern Kriminalität ausgetrocknet werden" soll. Soweit besteht Einigkeit. Offen bleibt, inwieweit der italienische Vorstoß sich dem EU-Standard wieder annähert. Rom hat der Türkei seine Unterstützung auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft in der EU zugesagt, die Regierung in Ankara befürchtet, mit Italien einen wichtigen Verbündeten zu verlieren.

Da nicht zu erwarten ist, daß die sogenannten Experten, also Sozialtechnokraten aus den beiden Innenministerien, sich über Repression und Folter unterhalten werden, kann es nur um die Frage gehen, wer wann wohin abgeschoben wird und wer dort auf ihn oder sie wartet. Also um das, was den wenigen Pakistanern, Marokkanern und Ägyptern, die sich auch auf den Schiffen befanden, ohnehin droht.

Natürlich geht es nicht um Flüchtlinge und Asyl, um die Phrasen von "humanitärer Hilfe" oder eine "Liberalisierung" des Schengener Abkommens, sondern um veränderte Machtbeziehungen zwischen europäischen Staaten. Die italienische Regierung stimmt sich mit der französischen ab, bevor sie die traditionell guten Beziehungen zur Türkei belastet, stört damit aber gezielt - zumindest kurzfristig - die Bierruhe eines deutschen Innenministers, der nichts mehr haßt als "Illegale, die nicht ins Netz gehen". Und die "allseitige Beziehungspflege" eines deutschen Außenministers, der alles daran setzt, daß sich Waren und Dienstleistungen - nicht aber Menschen - in Europa so frei wie irgend möglich bewegen können. Immerhin.