Reif für Europa

Seitdem in der Slowakei das Kuriositätenkabinett Meciar regiert, gehen sogar die Uhren im Lande anders

Vor und während des EU-Gipfels in Luxemburg wurde es laut: "Ein Mythos von der Unterdrückung dieser Minderheiten" sei bei den Staaten der Europäischen Union mittlerweile entstanden, dabei sei die Betonung der "Minderheitenfrage" für die internationalen integrationspolitischen Absichten des Landes "schädlich".

Nein, nicht von der Türkei ist die Rede, sondern von der Slowakei. Die Äußerungen stammen nicht von Mesut Yilmaz, sondern von der slowakischen Außenministerin Zdenka Kramplova. Diese hatte bereits im Vorfeld des Luxemburger Treffens zu beschwichtigen versucht, da von vielen westeuropäischen Staaten auf internationalen Konferenzen die slowakische Politik gegenüber Minderheiten zuvor gerügt worden war. In einem Brief an ihre europäischen Außenministerkollegen drei Tage vor Konferenzbeginn fügte Kramplova auch einen überaus stichhaltigen Beweis an, daß die Vorwürfe nicht stimmen könnten: Immerhin würden in der Präambel der slowakischen Verfassung die "Mitglieder der Minderheiten und ethnischen Gruppen als Teile der bürgerlichen Gesellschaft bezeichnet".

Wenn es in der Slowakei um die sogenannten Minderheiten geht, stehen meist die etwa 600 000 in der Slowakei lebenden Ungarn, die etwa elf Prozent der Bevölkerung stellen, im Mittelpunkt. Nicht daß diese arme Leute wären, vom slowakischen Staat geschunden und geknechtet. Die drei politischen Parteien der Ungarn in der Slowakei fungieren, genauso wie in Rumänien oder Slowenien, als langer Arm des ungarischen Außenministeriums. Doch die seit 1994 in Bratislava regierende Koalition aus der Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS), der Slowakischen Nationalpartei (SNS) und der Vereinigung slowakischer Arbeiter (ZRS) hat sich bereits seit geraumer Zeit eine Menge einfallen lassen, um die "Ungarn nach Ungarn" (Wahlslogan der SNS) zu verfrachten:

Seit Anfang dieses Jahres gilt ein "linguales Reinheitsgebot". Das von der Regierung erlassene Sprachgesetz schreibt vor, daß in der Öffentlichkeit nur noch die slowakische Sprache gebraucht werden darf. Bei Androhung einer Strafe von bis zu 500 000 Slowakischen Kronen ist es "kulturellen Minderheiten" verboten, außerhalb ihrer Wohnung eine andere Sprache als die slowakische zu verwenden. Besonders im Süden des Landes, an der Grenze zu Ungarn, überwachen "Sprachkontrolleure" die Einhaltung des Gesetzes und richten Appelle an die Bevölkerung, "Sprachterroristen" anzuzeigen. Nach Interventionen der EU versprach Ministerpräsident Vladim'r Meciar, das Gesetz nicht in seinem vollen Umfang umsetzen zu wollen und im Lauf dieses Jahres ein neues "Gesetz über den Sprachgebrauch der Minderheiten" zu verabschieden. Aber dies ist bis heute nicht geschehen.

Im August schlug Meciar dem ungarischen Premier Gyula Horn sogar vor, die Minderheiten der beiden Länder einfach gegeneinander auszutauschen. Völlig perplex ordnete Horn an, diesen Vorschlag - der von seiner Seite abgelehnt wurde - auf jeden Fall geheim zu halten, um Meciar nicht zu blamieren. Doch derselbe posaunte seine Idee nur einen Monat später auf einer Parteiveranstaltung aus, wie die International Herald Tribune berichtete.

Die politischen Vertretungen der Ungarn werfen Premier Meciar daher seit Jahren vor, dieser "appelliere bei Bedarf an nationalistische Instinkte" und "spiele die ungarische Karte". Sie setzen auf ein Bündnis mit den Oppositionsparteien, auf die Vermittlungsposition von Staatspräsident Kov‡c und auf die Unterstützung der Medien.

Doch auch die Bündnispartner der Ungarn geraten zunehmend unter Druck. Vor allem die Medien: Nachdem Radio Twist, einer der wenigen unabhängigen Sender in der Slowakei vor zwei Wochen auf Anordnung der Regierung abgeschaltet wurde, kündigte Meciar Anfang Dezember an, daß Pressekonferenzen der Regierung künftig ersatzlos gestrichen würden. Slowakische Medien und Journalisten hätten ein zu "niedriges Niveau", als daß eine Beschäftigung mit ihnen sich lohnte. Sie seien "unkultiviert" und würden "Pseudojournalismus" betreiben.

Dabei hatte die bürgerliche Presse nur das getan, was sie überall macht. Ein wenig über die Funktion von Regierungsmitgliedern gerätselt und gespottet. Daß es eine Beraterin Meciars traf, nahm dieser übel. Er verweigerte nicht nur den Medien und der Opposition gegenüber jegliche Auskunft, sondern verhängte zudem die Kontaktsperre zur Presse und entließ zwei Pressesprecherinnen.

Den nicht in der Regierung vertretenen politischen Akteuren geht es nicht besser. Seit Mitte Oktober steht in Bratislava eine Uhr, die rückwärts läuft. Staatspräsidenten Kov‡c soll auf diesem Wege angezeigt werden, wieviele Tage im Amt ihm nach Ansicht der Regierung noch bleiben. Obwohl seine Amtszeit offiziell erst im März des kommenden Jahres endet, rückt die Uhr bereits im Februar auf Null. Seit Jahren kritisiert Staatspräsident Kov‡c den autokratischen Regierungsstil von Premier Meciar. Da eine Schmutzkampagne im staatlichen Fernsehen und die Verschleppung des Präsidentensohnes nach Österreich im Jahr 1995 nicht den gewünschten Erfolg brachten, muß nun in der Slowakei die Zeit rückwärts laufen.