Der Technokrat als Mittler

Israels Finanzminister Yaakov Ne'eman ist nur scheinbar das erfolgloseste Kabinettsmitglied. Tatsächlich ist er die wichtigste Stütze Netanjahus

Die israelische Tageszeitung Ha'aretz hat eine Erscheinung ausgemacht, die sie das "Ne'eman-Phänomen" nennt. Yaakov Ne'eman ist umstrittener Finanzminister der israelischen Rechts-Koalition. In dieser Eigenschaft hat er jüngst politischen Kredit verspielt, weil er bei dem großen Streik des Öffentlichen Dienstes als Hardliner aufgetreten war und die Gewerkschaftsorganisation Histradrut den Streik ziemlich klar gewann. Vorher war der glück- und parteilose Juraprofessor nach nur drei Monaten Amtszeit als Justizminister gescheitert, weil die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn wegen uneidlicher Falschaussage erhob. Ein durchaus typischer Vertreter der sich seit 18 Monaten von Panne zu Panne hangelnden Regierung des Benjamin Netanjahu also, so scheint es zumindest. Doch dieser Eindruck trügt.

Yaakov Ne'eman ist eine der wichtigsten Stützen des angeschlagenen Premiers Netanjahu. Ne'eman, selbst orthodoxer Jude, ist bei den schon lange schwelenden und Ende Januar erneut auf die Tagesordnung kommenden Auseinandersetzungen um das Konversionsgesetz der einzige Vermittler, der von den Orthodoxen, den Konservativen und den Reformjuden gleichermaßen anerkannt wird. Seine Kompromißvorschläge werden diskutiert. Er leitet eine Kommission, die einen für alle akzeptablen Weg auf diesem "religiösen Minenfeld" (Ha'aretz) finden soll. Der bislang vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, daß für alle Fragen des Übertritts zum Judentum nur noch das orthodoxe Oberrabbinat in Jerusalem zuständig sein soll. Folglich dürfen Reformrabbiner in den USA keine Konversion und keine Heirat mehr durchführen, die zu einer leichteren Einbürgerung in Israel führt. Die Empörung bei den Reformjuden in der Diaspora, vor allem in den USA, ist groß: "Trotz der Verbitterung, die die amerikanischen Juden über das Konversionsgesetz empfinden", notierte Ha'aretz, "wurde Ne'eman auf der Generalversammlung des Rats jüdischer Organisationen in Indianapolis als der Mann empfangen, der es schaffen könnte, eine tiefere Krise oder sogar eine tragische Spaltung zu verhindern."

Woher Ne'eman diese Fähigkeit nimmt, ist nicht leicht erklärbar. Seine Biographie weist den 1939 in Tel Aviv geborenen Juristen nicht als einfühlsamen Vermittler aus. An mehreren Universitäten in Israel und den USA studierte er Jura, wurde Anwalt in einer der angesehensten Kanzleien Israels und übernahm mehrere Professuren. Zwischenzeitlich war er Berater der Regierung und der israelischen Staatsbank. Er ist zudem Mitglied des Zentralkomitees der Weltbank.

Es scheint, als sei Ne'eman mehr Technokrat als Vermittler. Auch sein Auftreten beim Streik Mitte November legt diese Einschätzung nahe. Gegen Privatisierung von Staatsbetrieben und gegen nicht eingelöste Rentenversprechungen traten Mitte November 700 000 Menschen in den Ausstand - bei einer Gesamtbevölkerung von etwa fünf Millionen lag das Land still. Ne'eman, gegen dessen Finanzministerium sich der Streik richtete, beschimpfte den einst mächtigen Histradrut als "Feind der inneren Sicherheit Israels" und bezeichnete die Streikenden als "Zeitbomben" und "selbstgebastelte Sprengsätze".

Das "Ne'eman-Phänomen" läßt sich so beschreiben: Da, wo sein Job von ihm selbständiges kreatives Denken erfordert, kann er schon einmal versagen. Aber da, wo er mit seinen im Anwaltsberuf gelernten Fähigkeiten helfen kann, läuft er zu ganz großer Form auf. Ha'aretz formuliert es so: "Ne'eman ist nicht nur Finanzminister, vor allem ist er Netanjahus Anwalt. Er ist Netanjahus Draht zur Shas-Partei, zu den Nationalreligiösen, zum Rat der Jüdischen Siedler, zur liberalen Linken und auch zu den Unternehmern, die an der Privatisierung teilhaben wollen." Als Anwalt Netanjahus kann er in der Öffentlichkeit das sagen, was der Chef nicht sagen kann. So war Ne'eman auch der erste prominente Politiker Israels, der die Verschwörungstheorie gegen Shimon Peres - er solle Schuld an der Ermordung Yitzhak Rabins tragen - als diskutabel bezeichnete.

Mit einem wie Yaakov Ne'eman kann alles besprochen werden. Als tüftelten Anwälte eine außergerichtliche Einigung aus, wird plötzlich alles diskutabel, was denkbar ist. Er kann das Um-, also Abbauprogramm des Sozialstaates genauso glaubwürdig vortragen wie er den Fortgang des Friedensprozesses managen könnte. Er ist in der Lage, die absurde Beschuldigung Shimon Peres' zur seriösen Theorie zu erklären, genauso glaubwürdig kann er in der Attitüde des Unterhändlers den US-amerikanischen Kritikern das Konversionsgesetz vorstellen.

Die Ha'aretz hat bei einem Politiker wie Yaakov Ne'eman eine ganz böse Ahnung: "Der Tag wird bald kommen, an dem israelische Arbeiter 'Ausländer raus'-Schilder hochhalten, passend zu Le Pens französischem Modell. Aber wenn das passiert, wird Ne'eman sicher in seine lukrative Privatkanzlei zurückgekehrt sein."