Zwischen Nato und Groß-Ungarn

Nach einem erfolgreichen Referendum ist für Ungarn nun der Weg in die Nato frei

"Sind Sie einverstanden, daß die Republik Ungarn den Schutz des Landes durch einen Nato-Beitritt gewährleistet?" So lautete Mitte November die entscheidende Frage eines von der Regierung vorgelegten Referendums über den Nato-Beitritt Ungarns. Über 41 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für den Beitritt, allerdings hatten sich nur etwas mehr als 49 Prozent der zur Abstimmung gerufenen auch an dem Referendum beteiligt. Das entspricht umgerechnet einem Ergebnis von 85 Prozent Ja-Stimmen. Das Ergebnis ist für die Regierung bindend. Es wurde umgehend von Vertretern der seit 1994 regierenden sozial-liberalen Koalition als gutes Omen für die Parlamentswahlen im kommenden Mai gewertet. Nur Ministerpräsident Gyula Horn, Frontmann der Sozialistischen Partei (MSZP), wiegelte ab und beschwor die Gemeinsamkeit der Nationalisten: "Niemand sollte diesen Erfolg usurpieren, er ist das Verdienst aller Parteien, egal ob in der Regierung oder in der Opposition."

Einer eventuellen Ungültigkeit der Wahl wegen zu geringer Wahlbeteiligung war schon im Vorfeld durch eine Novelle des Volksabstimmungsgesetzes entgegengewirkt worden. Referenden sind seit dem Sommer dieses Jahres gültig, wenn 25 Prozent der Wahlberechtigten für Ja oder Nein stimmen. Daß von den insgesamt über acht Millionen Stimmberechtigten nicht mal die Hälfte zur Wahl ging, im Osten des Landes sogar nur zwischen 30 und 40 Prozent, wurde von allen Parlamentsparteien dennoch als deutlicher Erfolg gewertet. Seit Monaten hatten sie sich in einer großangelegten Medienkampagne für die Teilnahme am Referendum und für die Zustimmung ausgesprochen. Bei Umfragen im Februar und Juni dieses Jahres wurde eine Wahlbeteiligung von höchstens 35 bis 40 Prozent ermittelt, zustimmende und ablehnende Stimmen hielten sich die Waage. Nicht zuletzt wegen der nationalistischen Parolen der wenigen organisierten Nato-Gegner, vor allem von seiten der Rechten.

Die extreme Rechte, allen voran die Ungarische Partei des Lebens und der Gerechtigkeit unter Istv‡n Csurka, kann auf einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung vertrauen, wenn sie mit ihrer Gleichung Nato gleich Warschauer Pakt betont, die gerade erst erlangte Unabhängigkeit werde wieder einmal fremden Interessen geopfert. Zum Jahrestag des ungarischen Aufstands vom 23. Oktober 1956 werden seit Jahren mehrere Zehntausend Faschisten - ein breites Bündnis von Pfeilkreuzlern, Klerikal-Faschisten, rechten Skins und Hools der Budapester Fußballvereine - zu Kundgebungen und Demonstrationen mobilisiert. Die extreme Rechte greift zudem seit 1994 populistisch alle Proteste der Studenten, Bauern und Beamten gegen die Sparprogramme der Regierung auf und hetzt gegen Ministerpräsident Gyula Horn, der 1956 an der Niederschlagung des Aufstands teilgenommen hatte.

Wenn Albert Szabo vom Ungarischen Wohlfahrtsbund, einer Organisation, die sich selbst in der Tradition der Pfeilkreuzler sieht, herauskrakeelt, Ungarn werde "von Zigeunern und Juden regiert, die nicht zulassen, daß Ungarn den Ungarn gehört", weiß er, daß diese Position Anklang findet. "Kein Israel in Ungarn", skandierten im Oktober 1996 etwa zwanzigtausend Rechte vor dem Büro der Sozialistischen Partei. Wieder einmal hatte Istv‡n Csurka "zur Rettung des Ungarntums" geladen - und sogar Jean-Marie Le Pen vom französischen Front National war gekommen. In der ostungarischen Kleinstadt S‡toraljaœjhely wurden im Juni und September dieses Jahres mehrere Roma-Familien kurzerhand zu unerwünschten Personen erklärt. Die 60 Roma stellen nach Ansicht des gesamten Stadtrats "eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit" dar. Da sie zudem "hygienische Probleme" verursachen würden, müsse man die Roma "vertreiben", so der Bürgermeister von S‡toraljaœjhely.

Die im Parlament vertretene rechtspopulistische Partei der kleinen Landwirte betont (noch) ihre Eigenständigkeit gegenüber der extremen Rechten. Auch sie setzte im Vorfeld des Referendums, nur unter dem umgekehrten Vorzeichen der Zustimmung - genauso wie alle anderen Parteien - auf Nationalismus und Panmagyarismus, also die Beschwörung von Groß-Ungarn: J-sef Torgy‡n, Vorsitzender der Partei, betonte, "der Schutz ungarischer Minderheiten in den Nachbarländern" werde nach einem Nato-Beitritt besser geregelt werden können. Auch die Christdemokraten treten für ein neues Groß-Ungarn in den Grenzen von 1914 ein. Vorerst, indem sie die Grundverträge mit den Nachbarstaaten - insbesondere mit Rumänien und Slowenien - ablehnen und "Volksgruppenrechte" wie den "Schutz nationaler und kultureller Identität" der sogenannten ungarischen Minderheiten geltend machen. Mit der Nato-Mitgliedschaft erhoffen die Panmagyaren gegenüber Rumänien und Slowenien neue Druckmittel zur Destabilisierung erhalten zu haben. Vor allem, da die sogenannte ungarische Minderheit in Rumänien und deren politische Vertretung, die UDMR, zunehmend unter Druck gerät. Adevarul, die größte rumänische Tageszeitung, beschuldigte Mitte vergangener Woche die UDMR, die Regierungspolitik zu sabotieren, die Einheit des Landes zu untergraben und auf die Aufteilung Rumäniens hinzuarbeiten.

Zusammen mit Ungarn, Polen und Tschechien, die zu Nato-Beitrittsverhandlungen im Oktober eingeladen wurden, hatten sich im Juni auch Slowenien und Rumänien als Anwärter beworben, waren aber auf die nächste Runde der Nato-Erweiterung vertröstet worden.